Fluch der Karibik (Ltd.) - eine Live-Film-Performance zur aktuellen Finanzkrise von Gehre/Kessler
Meuterei in der Bad Bank
von Ute Grundmann
Leipzig, 29. April 2009. Es ist die Zeit der Piraten – auf See und in den Geldinstituten. Es ist die Zeit, in der sich auf "bad boys" gerne mal "bad banks" reimen lässt. So dachten es sich offenbar Klaus Gehre und der Schauspieler Torben Kessler, als sie eine "Live-Film-Performance zur aktuellen Finanzkrise" ersannen. Die soll den Kino-Schinken "Fluch der Karibik" mit dem Treiben der "Peanuts"-Bankiers und anderer Reiter über den pekuniären Bodensee unter einen Theaterhut zwingen. Der Ort dafür ist das Leipziger "Lofft", die Bühne der Freien Szene, die sich das Haus am Lindenauer Markt mit dem "Theater der jungen Welt" teilt.
Haupt- und Alleindarsteller Torben Kessler hat bis zum Ende der letzten Saison etliche Straßen weiter, im Schauspielhaus, während der Intendanz von Wolfgang Engel vorzugsweise die jungen Helden gespielt. Jetzt muss er sich, in der Koproduktion von Klaus Gehre und "Lofft", in gleich 14 Rollen strecken, vom Piraten bis zum Papagei.
Mythos Piraterie
Dafür ist im Theaterraum ein offenes Rechteck aus Tischen zusammengeschoben, auf, unter und neben dem sich Projektoren befinden, dazu ein Puppenstubenwohnzimmer, Segelschiffmodelle, ein Nußknackersoldat, ein Totenkopf mit Mütze, eine Modellbaustraße (ein Bühnenbildner wird nicht genannt). Dass sich dort auch Banken- und Immobilienreklame reihen und ein Mini-Sportwagen parkt, wird die Kamera von Klaus Gehre immer mal wieder einfangen, schließlich will man ja politisch-kritisch sein.
Das haben sich die beiden Performance-Macher auf die Fahnen geschrieben, leider wird keine Piratenflagge daraus. Die weht lediglich am kleinen Segelschiff, das eine der Hauptrollen spielt, denn vordergründig erzählt Torben Kessler den Kinohit "Fluch der Karibik" auf der Bühne nach, die Geschichte von Käpt'n Jack Sparrow und Kommodore Norrington, von Will und Elizabeth, von verfluchten Goldmedaillons und kämpfenden Piraten.
Goldschatz und Götterfluch
Die kommen hier klitzeklein daher: Torben Kessler steckt sie sich als gestrickte Püppchen auf die Fingerspitzen, wie sie staksen und streiten, überträgt die Kamera auf Leinwand und Monitore. Hat er eine blonde Perücke auf dem Kopf, ist er die schmachtende Elizabeth, hält er den Kopfschmuck in der Hand, ist er Will, der Elizabeth anschmachtet. Den Nußknacker-Kommodore lässt er röhren, als spräche Otto Waalkes in seinen besten Zeiten einen Piraten.
So wird Szenchen für Szenchen der Karibik-Fluch nachgestellt, man sieht es auf der Leinwand und zugleich, wie es – mit Gießkanne, Nebelmaschinchen, ein Grillrost als Gefängnisgitter – her- und dargestellt wird. Das hat den Charme einer Dampflokfahrt auf der Modelleisenbahn, die von Hand betrieben wird, und ist als Gag ziemlich schnell verbraucht.
Solist Torben Kessler ist, in allen 14 Rollen, auch der Erzähler, der die Piratengeschichte im Märchenonkel-Ton darbietet und mit der aktuellen Finanzkrise zu verbinden versucht. Da ist mal von der "Win-win-Situation" der Piraten die Rede, wird über Sprichwörter philosophiert, bei denen stets auch das Gegenteil richtig ist. Vom mit Götterfluch verseuchten Goldschatz der Piraten lässt sich auf Kontoauszüge kommen, die bei den Fonds plötzlich rote Zahlen zeigen.
Am Ende schlaffe Segel
Immer wieder wendet Kessler sich kumpelhaft ans Publikum "Habt ihr nicht auch das Gefühl...", um es in seinen Monolog über Meuterer und Moneten einzubeziehen. Auch Oskar Lafontaine und der Sozialismus kriegen kurz ihr Fett weg, Klimakatastrophe, Billiglöhne und Terrorismus passen auch noch rein, ehe Kessler dann wieder die Kurve von Anlageprojekten und Renditen zum Gefecht der Piraten kriegen muss. Schlag auf Schlag aber kommt diese Performance leider nicht daher, der Text ist nicht geschliffen, sondern wie am Küchentisch erzählt und mit viel Küchenpsychologie gewürzt. So kommt der "Fluch der Karibik" mit ziemlich schlaffen Segeln daher, die Lacher des Publikums halten sich in Grenzen und 90 Minuten können ziemlich lang sein.
Fluch der Karibik (Ltd.)
Text, Kamera und Regie: Klaus Gehre, Sound: Michael Lohmann.
Mit: Torben Kessler.
www.lofft.de
Kritikenrundschau
"Toll ironischer Karibik-Fluch", schreibt Jana Kagerer in der Leipziger Volkszeitung (2.5.2009) über "Fluch der Karibik Ltd.". Es handele sich um eine "ungewöhnliche wie faszinierende Theaterproduktion". Die Inszenierung sei gespickt mit "witzigen Gags und Effekten". "Fingerfüße ahmen Jackos Moonwalk nach, Plastik-Skelette tanzen, ein Grillrost mutiert zur Gefängniszelle, eine Gießkanne erzeugt eine stürmische Brise." "Herrlich komisch" seien die Geräusche von Michael Lohmann, "herausragend" verkörpere Kessler "die Personage in Andeutungen", Jack Sparrow etwa tauche "nur als Hand mit abgesppreizten Fingern auf". Allein die "philosophischen Exkurse in die Weltwirtschaft" seien zwar "interessant", überforderten aber. Fazit: es handele sich um eine "einzigartige Off-Theater-Produktion mit dem bewusst gesetzten Charme des Unfertigen".
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Was dieses Stück für mich spannend macht, ist der Mut, diesen Liberalismus in seiner Ambivalenz zu erfassen: Das moderne Wirtschaften ist eben nicht nur zerstörerisch (Stichworte: Klimakatastrophe, Ressourcenverschwendung, "Fluch des Piratentums"). Es setzt auch andersherum genau jene kreativen Potentiale frei, die uns überhaupt über den dumpfen Naturzustand erheben (Stichwort: Faszination am trickreichen Jack Sparrow). Deshalb, so sehe ich es, bemüht dieser wunderbar subtile Erzähler beständig einander widersprechende Sprichwörter. Er will die beiden Seiten der Medaille im Bewusstsein halten.
Das Stück sucht keine einfachen Grenzziehungen und wird doch kritisch in seinem direkten Appell an uns, wenn unsere "kleinbürgerliche" Konsumhaltung (immer mehr für niedrigere Preise) pars pro toto für die Logik des Gesamtzusammenhangs attackiert wird. Dass es einfach wäre, aus diesen Haltungen herauszukommen ("Bürger lasst das Ramschen sein, auf die Straße, reiht Euch ein!"), wird nicht behauptet. Mit Recht: Wir Bürger/Gegenwartsbewohner werden ja von Kindheitstagen an tief verankert in diesem Dispositiv moderner Wachstumsökonomie. Da kann man fürs erste froh sein, wenn man es überhaupt merkt, wenn man sich als Teil des Problems begreifen lernt.
Was diese ökonomische Frühprägung anbelangt, da scheint mir die Inszenierung einen adäquaten Ausdruck gefunden zu haben, indem sie den Reiz der Piraterie/des Liberalismus mit Puppenspielen in Miniaturwelten aufdeckt. Das ist in aller Subtilität und allem Understatement: Arbeit gegen den Mythos.
Ansonsten gelten zwei Grundregeln der Kommunikation: 1. Wer es nicht gesehen hat sollte sich kein Urteil erlauben, 2. jedem, auch einem Freund des Regiseurs oder dem Dramaturgiehospitanten dürfte es gestattet sein seine Meinung kundt zu tun.
LG Markus
Im Übrigen scheinst auch Du ein bisschen vom Palmetshofer-Syndrom in diesem Forum erfasst zu sein (siehe die jüngsten Diskussionen): Gedanken sind hier stets verdächtig, egal ob sie von Stücken, Kritiken oder eben Zuschauereinträgen vorgebracht werden. Da muss dann mit Vehemenz die "och nö"-Keule geschwungen werden.
Ich schreibe echt nicht, weil mir das jmd. aufgetragen hat. Zudem habe ich ja nicht nur positives od. nur "Dramaturgiegeschwätz" geäußert. Ich finde es nur entmutigend in einem Forum seine Meinung nicht sagen zu dürfen und so harsch angegangen zu werden. Du kennst mich nicht, weißt nicht wer ich bin oder was ich mache und unterstellst mir bzw. puppeteer, wir würden für den Regisseur od. im Auftrag eines anderen kommentieren. Das grenzt echt ein bisschen an Paranoia (Momentan scheint die aber in Deutschen Theatern weit verbreitet). Gerade die OFF-Theater-Inszenierungen zeigen, dass es auch anders geht: Gehres Inszenierung kam auch ohne einen riesigen Hospitantenstab aus, der Reclame machen musste. Sicher gibt es gute Freunde, die für die Sache werben. Aber zeugt das nicht viel mehr von Vertrauen, Zusammenhalt und Einigkeit innerhalb einer Szene, in der ansonsten nur Denunzianten rum zulaufen scheinen? Ich kann mir gut vorstellen, dass dieses Modell der Mund-zu-Mund-Propaganda Schule machen sollte. Ich finde es in keinster Weise verwehrflich, wenn jeder auf seiner Weise öffentlich schwärmt, so wie es Puppeteer getan hat, oder kritisiert, so wie ich es getan habe. Wenn einem dieses Privileg verboten wird, denke ich, sind wir auf dem gesellschaftlichen Stand, auf dem wir schon des Öffteren in der deutschen Geschichte waren: Misstrauen, Paranoia, Angst ... ihr habt das vielleicht sogar noch selber erlebt ... am wichtigsten ist aber: hört Euch das doch erst einmal an, was der andere sagt oder schreibt! Zuhören!!!! Das ist das A und O. Nicht gleich immer wettern. Tauscht mal Eure Nummern aus und trefft Euch im Cafee *Smile*
Markus
Soweit ich weiß kam es 2 mal in LE, und 2 mal in Berlin. Vielleicht ist nächstes Jahr in Frankfurt eine Wiederaufnahme geplant. Hoffen wir's!!! (Thorben Kessler geht dorthin). Muss dazu sagen: Deinen jugendl. Kindern hätten sicher auch die Spielerein am Rande gut gefallen (dieses fetzige Daumenkino od. die Besichtigung der Objekte nach der Vorstellung) So etwas erlebt man echt nicht alle Tage!
LG Markus