Medienschau: Standard, SZ, FAZ etc. – Über den Intendanzwechsel am Wiener Burgtheater

"Einer, dem man das zutraut"

"Einer, dem man das zutraut"

23. Dezember 2022. Die Zeitungen bewerten die Berufung Stefan Bachmanns zum neuen Direktor der Wiener Burg höchst unterschiedlich – von "gute Wahl" bis "kein Neuanfang" ist alles dabei.

"Kusej ist ein hervorragender Regisseur, und die Qualität vieler seiner Arbeiten übertrifft jene seines Nachfolgers Stefan Bachmann", schreibt Stefan Hilpold im Standard (21.12.2022). "Dieser bewies allerdings bereits bei seinem ersten Auftreten, dass es bei einem Theaterdirektor um viel mehr geht als nur darum, auf der Bühne zu überzeugen - besonders in einer Zeit, in der Teamfähigkeit unumgänglich und die Skepsis gegenüber Hierarchien riesig ist." Über beides scheine Bachmann weit mehr zu verfügen als sein in Inszenierungen alle Abstufungen von Schwarz und Grau
durchdeklinierender Vorgänger. "Bei seinem ersten Auftreten vermittelte der ab Herbst 2024 amtierende neue Burgtheaterdirektor alles, was für einen Neuanfang notwendig ist: Enthusiasmus, Ideen, Humor - und eine Portion Selbstkritik."

"Als Regisseur ist Bachmann nicht unbedingt progressiv, aber bildstark, konsequent und ein Garant für feines, exakt gearbeitetes Schauspielertheater", so Christine Dössel in der Süddeutschen Zeitung (21.12.2022). Für das Burgtheater brauche man jemanden mit Intendanzerfahrung, jemanden, der sich mit dem nötigen Standing und Selbstbewusstsein auf dem Minenfeld, das dieses österreichische Nationaltheater umgibt, sicher zu bewegen weiß. "Stefan Bachmann ist einer, dem man das zutraut."

"Bachmann ist eine gute Wahl", findet auch Wolfgang Höbel im Spiegel (21.12.2022). "Während Kušej als eher konservativer, textbegeisterter Theatermacher bekannt geworden ist, hat sich Bachmann von Beginn seiner Karriere an mit offeneren Spielweisen und oft zeitgenössischen Spielvorlagen hervorgetan." Zwar sei es "ein wenig unfair", dass Kušej von der Politikerin Mayer inmitten seiner ersten, lange von Corona eingeschränkten Amtszeit abgesägt werde – seine bisherige künstlerische Bilanz sei nicht glänzend, aber keineswegs mies. Allerdings habe sich Kušej innerhalb und außerhalb seines Hauses den Ruf eingehandelt, ein einigermaßen ruppiger Theaterleiter zu sein.

"Eine solide Wahl", meint hingegen Simon Strauß in der Frankfurter Allgemeinen Zeitung (21.12.2022). Der 1966 in Zürich geborene Bachmann sei im Betrieb als besonnener Mann be­kannt. "Er gehört nicht in die Riege international bekannter Namen wie Thomas Ostermeier oder Barrie Kosky, die ebenfalls als Nachfolger gehandelt wurden, aber hat einen Ruf als zuverlässiger Theatermacher mit einer langen Karriere am Stadttheater."

"Eine gute Nachricht für das Wiener Publikum - aber auch für den Theatermacher, der damit in die höchste Liga der Theatermacher gehoben wird", so wertet Ueli Bernays in der Neuen Zürcher Zeitung (21.12.2022) Bachmanns Berufung, die einen Karrierehöhepunkt bedeute. "Immerhin handelt es sich um das grösste deutschsprachige Theater und um eines der ältesten in Europa überhaupt." Es stehe nicht nur für österreichischen Nationalstolz, sondern als Bastion theatraler Tradition, aber mehr noch als Spielstätte, in der Qualitätsstandards gesetzt werden sollen. "Dass Stefan Bachmann diesem Anspruch künstlerisch gerecht werden kann, dürfte niemand bezweifeln."

"Man kann dem gereiften Intendanten und Regisseur zutrauen, dass er nicht nur Wasser predigt, um gegenüber dem Ensemble am Wein zu nippen", schreibt Ronald Pohl im Standard (21.12.2022) zu den einstigen Mobbingvorwürfen gegen Bachmann in Köln. "Die Nachdenklichkeit, um den Burgtheater-Bediensteten ein guter Hausvater zu werden, besitzt er inzwischen sehr wohl."

"Ein Neuanfang zu mehr Geschlechtergerechtigkeit, Di­versität, eine Antwort auf den Strukturwandel, den die Branche gerade durchlebt, ist diese Berufung nicht", kommentiert Uwe Mattheiss in der taz (21.12.2022). Erstaunlich sei, wie sehr sich die Profile des alten und neuen Direktors glichen. Martin Kušej (61) und Stefan Bachmann (56) gehören einer Generation an, haben als Regisseure im Stadttheatersystem ihren Weg gemacht. "Mit ihnen verbindet sich eher das, was am Theater, wie man es kannte, technisch gut war, nicht unbedingt die inhaltliche Zukunft. Sie stehen für ein traditionelles Führungsmodell, die Machtfülle der regieführenden Intendanten. Etwas, das als Modell in der Debatte um Macht und Abhängigkeiten im Theaterbetrieb in die Diskussion geraten ist."

Auf der Pressekonferenz habe sich Bachmann "als eloquenter Macher" geziegt, schreibt Jakob Hayner in der Welt (21.12.2022): "Gut angepasst, kein Claus Peymann jedenfalls." Er wolle ein "lernender Burgtheater-Direktor" sein. Das Signal sei deutlich: "Durch offene und transparente Kommunikation sollen die Probleme der Vergangenheit nicht die der Zukunft werden."

(geka)

 

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