Medienschau: Süddeutsche Zeitung – Leander Haußmann räsoniert über die derzeitige Theater-Sinnkrise

Lob der Dilettanten

Lob der Dilettanten

17. Dezember 2022. "Ist das Theater wirklich in einer Sinnkrise? Oder müssen wir einfach mal akzeptieren, dass das Publikum von Natur aus untreu ist?" Das fragt Regisseur und Ex-Intendant Leander Haußmann im Aufmacher des Gesellschaftsteils der Süddeutschen Zeitung und gibt darauf eine ebenso unterhaltsame wie empowernde und selbstkritische Antwort (und nebenbei auch eine Replik auf Matthias Hartmanns Publikumsschwund-Essay im Spiegel vor einer Woche).

"Ich werde wahnsinnig. Ich höre immer nur: Krise und leere Zuschauersäle. Ist das wirklich so? Ich weiß es nicht", holt Leander Haußmann ganzseitig und unbedingt lesenswert aus. Er könne aus Erfahrung sagen: "Die Zuschauer sprechen sich nicht untereinander ab, sie rufen sich nicht gegenseitig an, sie spannen kein Netzwerk. (...) Sie kommen wieder, wenn es gut ist. Und wir machen weiter und arbeiten, weil wir dran glauben."

Dass die Jungen es nicht können und man die Alten wieder ranlassen solle: "So viel kann ich aus Erfahrung sagen, daraus wird nichts", so Haußmann (Jahrgang 1959), "die Zeit lässt sich nicht zurückdrehen. Auch im Blätterwald rauscht es gewaltig. Übermüdete Feuilletonistinnen trauern ebenso den alten Zeiten nach wie wir wetternden Intendanten aus unserer Ofenecke. Doch der Lärm, den wir veranstalten, verhallt hinter schalldichten Türen, wo uns niemand hört, außer wir selbst."

Ist es wirklich so, dass es ohne Kunst still werde? Überhaupt sei doch eine ganze Menge los. "Die Häuser sind dabei, ihre Speicher wieder zu füllen, unbemerkt, am Mainstream vorbei. Die Stummen fangen an zu sprechen, das Denken verändert sich. Meine Generation, die durch die Gehirnwäsche täglicher Diskriminierung gegangen ist und teilweise nicht in der Lage ist, sich selbst zu sehen, sollte gut zuhören."

Wir selber nehmen unsere Arbeit sehr ernst. "Sie ist ja auch ganz nebenbei unser Broterwerb. Ein Wegbleiben gefährdet diesen." Aber man vergesse, dass die Zuschauer womöglich andere Probleme habe, "Inflation, Ukraine, Pandemie, Gaskrise. Die Theaterkrise ist wohl das Letzte, was ihn quält."

Auch auf Matthias Hartmanns Beitrag im Spiegel und dessen These, dass die heutigen Theater Schlupfwinkel für Dilettanten seien, kommt Haußmann zu sprechen. "Damit hat er in gewisser Weise recht, aber das waren sie schon immer, und mir persönlich waren Dilettanten immer lieber als die, welche sich für Profis hielten. Oder die ihren röhrenden Hirschen für Kunst hielten, nur weil sie das Handwerk beherrschten, ihn zu malen."

(sueddeutsche.de / sik)

Kommentare  
#1 Haußmanns Lob der Dilettanten: Schöner AphorismusAmphore 2022-12-21 16:02
Was für ein schöner Aphorismus Herr Haußmann.
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