Medienschau: Der Spiegel – Matthias Hartmann über das fernbleibende Publikum
"Es will gemeint sein"
"Es will gemeint sein"
7. Dezember 2022. In der aktuellen Ausgabe des SPIEGEL hat sich der Intendant und Regisseur Matthias Hartmann zum Phänomen des Publikumsschwunds geäußert (€). Auffällig sei, so Hartmann, dass die von der Kritik hochgeschätzten Theater wie das Bochumer Schauspielhaus und das Wiener Volkstheater besonders unter der geringen Publikumsnachfrage litten, während Theater, "die nicht oder nur naserümpfend beurteilt werden: zum Beispiel Salzburg, Kiel oder das Berliner Ensemble", weniger Probleme hätten, ihre Säle zu füllen.
Das Publikum halte sich eben nicht an die "Abläufe und Parameter des Systems", sondern entscheide "impulsiv und nicht strategisch". Es sei so gesehen "sogar eine Art Störfall". Es fehle daher auch in dem "geschlossenen Energiekreislauf", den "Kulturjournalisten, Theatermacher und Kulturpolitiker" bildeten. Das allerdings sei das Kernproblem der gegenwärtigen Krise: "Das Publikum will der Grund sein, warum Theater stattfindet. Gibt es diesen Grund nicht, versteht das Publikum nicht, warum es überhaupt kommen soll."
Das Theater hingegen habe sich seit der Pandemie "ausschließlich mit internen Machtstrukturen und seinem gesellschaftlichen Impact beschäftigt". Hinzu komme, dass der "Echoraum für Kryptobedeutung", also das, was die Theater "Außenwirkung" nennen, durch die schwindende Anzahl reisender Kritiker:innen kleiner werde: "Qualitätsmedien können und wollen sich kaum noch herumreisende Theaterkritiker leisten,
weil der Aufwand hoch ist und die Effekte gering sind (...)". Stattdessen sei "die Website 'Nachtkritik' der Resonanzraum über Bedeutung und Nichtbedeutung des Theaters geworden, was vom Publikum wohl weitgehend ignoriert wird".
Hartmann imaginiert den Kieferorthopäden seiner Tochter, der sich unversehens in einer "'Überschreibung' von irgendeinem Klassiker durch ein Autorenkollektiv" wiederfindet und sich nicht traut, schon vor der Pause nach Hause zu gehen. "Überschreibung, Performance, Dekonstruktion" seien zwar "das Vokabular des Bedeutungstheaters". Den Kieferorthopäden halte das Theater heute aber "für einen Spießbürger, der sich nicht am progressiven inhaltlichen und ästhetischen Diskurs unserer Zeit beteiligen will". Es schaue "auf ihn herab, denn er hat ja nicht kapiert, dass hier das Theater der Zukunft entsteht".
Das Publikum wolle aber, dass man ihm "auf Augenhöhe begegnet". Es wolle "gemeint sein". Dann werde es auch "neugierig jeden Weg" mitgehen.
(DER SPIEGEL / jeb)
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