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Tarifverhandlungen: Einigung über Gagen erreicht
28. Juni 2022. Der Deutsche Bühnenverein und die Künstler:innengewerkschaften GDBA, VdO und BFFS haben sich in der vierten Runde ihrer Tarifverhandlungen auf eine neue Gagenregelung für die Solobeschäftigten und Bühnentechniker:innen verständigt. Das melden die Verhandlungsparteien heute in einer gemeinsamen Presseerklärung.
Demnach wird die Mindestgage in zwei Stufen von bisher € 2.000 ab dem 1.9.2022 auf zunächst € 2.550 und ab dem 1.1.2023 auf € 2.715 angehoben. Ebenso werden die Gastgagen entsprechend erhöht und erfahren damit auch eine Steigerung von mehr als 35 Prozent.
Die Tarifparteien hätten sich darüber hinaus geeinigt, die Mindestgage ab den Tarifrunden 2023/2024 zu dynamisieren. So sei sichergestellt, dass sich diese genauso wie die übrigen Gagen und Gehälter an den Bühnen linear entwickelt.
Teil des Abschlusses ist auch die Einführung einer Stufe in Form einer ebenfalls dynamisierten Beschäftigungszulage in Höhe von € 200 auf die Mindestgage zu Beginn der Spielzeit 2023/2024. Solobeschäftigte und Bühnentechniker:innen, die länger als zwei Jahre an Theatern, die dem Deutschen Bühnenverein angehören, gearbeitet haben, erhalten dann mindestens € 2.915.
"Deutlich verbesserte Bedingungen"
"Dies ist ein historischer gemeinsamer Erfolg", zitiert die Presserklärung Lisa Jopt, Geschäftsführende Präsidentin GDBA. "Die Dynamisierung der Gagen ist seit über dreißig Jahren ein Thema der Gewerkschaften. Dass Bühnenkünstler:innen im Vergleich zum öffentlichen Dienst wie Küchenhilfen und Bot:innen bezahlt werden, ist vorbei. Weitere Verbesserungen werden wir angehen."
Mit dem Tarifabschluss würden "deutlich verbesserte Bedingungen für künstlerisch Beschäftigte an den Bühnen" geschaffen, erklärt auch Claudia Schmitz, Geschäftsführende Direktorin Deutscher Bühnenverein. Gleichzeitig appelliere sie an die Rechtsträger: "Der aktuelle Abschluss stellt für die Bühnen eine finanzielle Herausforderung dar, die sie alleine nicht schultern können. Die Bühnen brauchen dringend die Zusage der Rechtsträger, diesen Mehraufwand mitzutragen. Dieser Abschluss nimmt uns alle – gemeinsam – in die Verantwortung."
(Deutscher Bühnenverein / GDBA / VdO / BFFS / jeb)
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Ein Bärendienst also?
Unabhängig davon ist eine Erhöhung der Mindestgage natürlich zu begrüßen.
Aber das Verhandlungsergebnis hat eben zwei Seiten.
Entweder, sie sind Teil der Rechtsträger selbst (als abhängiger kommunaler Regiebetrieb oder Landesbetrieb zum Beispiel) oder sie werden von der öffentlichen Hand gefördert.
(Von "Subventionen" spricht man dann, wenn der Staat nicht wettbewerbsfähige private Unternehmungen aus seinen finanziellen Ressourcen stützt oder diesen (zum Beispiel) steuerrechtliche Vorteile verschafft.)
Die Öffentlich-rechtlichen Theater sind Teil der kulturellen Daseinsvorsorge der sie tragenden Körperschaften. Natürlich besteht die Herausforderung, dass es mancherorts die Fehlentwicklung gibt, dass eben Förderungen oder Etats innerhalb der öffentlichen Haushalte zum Beispiel gedeckelt sind. Hier ist gemeinsames politisches Handeln der Tarifvertragsparteien gefragt, zum Beispiel durch gemeinsam erreichte Abschlüsse wie diesen und nicht das Befolgen einer sozusagen neoliberalen Logik nach dem Motto: "bevor wir Arbeitsplätze gefährden, bezahlen wir lieber alle, die einen Arbeitsplatz haben, schlecht".
Es ist übrigens unter anderem gerade auch der unter Theaterleuten (die es eigentlich besser wissen müssten) immer wieder vorkommende grundfalsche Gebrauch des Wortes "Subventionen", der dazu führt, dass die Falschwahrnehmung, Theater und Orchester seien "irgendwie von der Öffentlichen Hand unabhängiges Institute" nach wie vor weit verbreitet ist.
Die nächsten linearen Tarifsteigerungen für Beschäftigte mit einem NV Bühne im Geltungsbereich des TV-L stehen bereits seit Längerem fest (zum 1. Dezember 2022).
Die nächsten Tarifsteigerungen für Beschäftigte mit einem NV Bühne im Bereich TVöD finden Anfang kommenden Jahres (2023) statt, wenn hier für die Tarifbeschäftigten mit einem TVöD ein Tarifabschluss feststeht.
Diese tariflich feststehende Systematik besteht so schon seit Jahren.
Nackte Zahlen meiner Schauspieler- Erwerbsbiographie:
36 Berufsjahre von 1986 bis 2022, davon 14 Jahre Festengagement und 22 Jahre Freiberuflichkeit.
70 Theaterrollen, 40 Film- und Fernsehrollen.
Von 1996 bis 2022 beträgt meine Gagenerhöhung am Theater für 26 Jahre insgesamt 823€. Das entspricht einer jährlichen Steigerung meines Lohns um 31,65€. (Bühnen-Dienstverträge von 1995 und 2022 liegen vor.)
Berufserfahrung, Lebensleistung und Altersvorsorge bzw. Fürsorge werden in dieser Rechnung nicht berücksichtigt.
Wie sagte schon damals ein Bochumer Bühnenmeister zu mir jungem Schauspieler: „Bis Du Stephan so viel verdienst wie ich, sollst Du mindestens 80 Jahre arbeiten.“
Bei den nun verabredeten Sprüngen sind kleinere Häuser gezwungen Haustarifverträge zu verhandeln. Wenn das nicht gelingt, Stellen abbauen.
In der Konsequenz ist dieser Tarifabschluss darum ein Bärendienst. Wenigstens eine Differenzierung zwischen kleineren und größeren Häuser wäre hilfreich gewesen, da die größeren ohnehin mehr zahlen. Kein Grund also zu feiern!
Hat Frau Jopt sich wirklich einmal auch mit den kleineren und mittleren Theatern beschäftigt?
Sind die Folgen wirklich durchdacht worden?
Was haben wir derzeit?
Steigende Energie- und Materialkosten bei gleichbleibenden Finanzierungen klammer Kommunen.
Dazu weniger Einnahmen durch weniger Publikum.
Gerecht dazu muss die Anhebung der Gagen langjähriger Ensemblemitglieder sein.
Alleine schon, um ein neidloses Miteinander zu erhalten. (An kleineren und mittleren Theatern liegen die Gagen bei Ensemblemitgliedern mit 7 Jahren Berufserfahrung etwa bei der neuen Mindestgage – findet sich schnell im Theateralmanach)
Was also bleibt den mittleren und kleineren Theatern, die jetzt schon am Limit laufen, um diese Steigerungen der Mindestgage aufzufangen?:
Stellenabbau? Nur noch Berufsanfänger*innen? Verzicht auf das Engagieren von freischaffenden Künstler*innen? Reduzierung der Produktionen?
Bei weniger Theater oder minderer Qualität (sorry, liebe Berufsanfänger*innen, aber ich weiß aus eigener Erfahrung, dass man vieles erst über mehrere Jahre im laufenden Betrieb lernen und manche Rollen erst dann begreifen kann) werden sicher einige Kommunen die Finanzierung ganz einstellen.
Wäre es nicht sinnvoller gewesen, erst einmal ein neues Finanzierungskonzept der Theater anzustreben, damit das alles auch finanziert werden kann?
Jetzt kommen die üblichen Argumente. Die Theater werden schließen, die Kommunen die Unterstützung zurückziehen, die Ensemble-Stellen gekürzt werden. Wenn das so sein sollte, dann müssen das die Städte eben auch begründen. Es gibt Schauspielsparten an mittelgroßen Stadttheatern mit 23 festangestellten Spieler*innen und 20 Premieren pro Spielzeit, dann sind es eben nur noch 20 Spieler und 17 Premieren, wenn das Geld nicht mehr da ist. Bei den ganz kleinen Häusern muss überlegt werden, was die Stadt kann - und was womöglich Land oder Bund dazusteuern können. Aber weiterhin Menschen mit einem Hochschulabschluss so derart schlecht zu bezahlen, Menschen, für die dieser Beruf einmal ein Traum war, das geht einfach nicht - und ist glücklicherweise jetzt vorbei.
Danke GDBA!
Sie treffen den Nagel auf den Kopf. Das Pferd ist nun hinten aufgezäumt worden.
Die neuerdings äußerst öffentlichkeitswirksame GDBA hat nun einen Coup geschafft. Für sich. Ob die Strategie aufgeht, ist ungewiss und dieser Führung anscheinend egal. Sollten einzelne, kleinere Theater schließen oder Ensembles radikal geschrumpft werden, dann war es bestimmt wieder die böse Politik oder wahlweise der/die böse, gierige Intendant*in. Es wird vielen bestimmt besser gehen durch diese Haurucktherapie für eine Berufsgruppe. Und ich gönnes auch jedem vom Herzen. Ob ein gemeinsames Vorgehen von GDBA und Bühnenverein im Hinblick auf eine andere, bessere, zeitgemäßere Grundfinanzierung gegenüber der Kulturpolitik nicht langfristig besser gewesen wäre, hat die Schauspielerin Jopt wahrscheinlich nicht interessiert. (...)
Ok, das ist in na anderen Ländern ne auch nicht anders. Aber es ist unverantwortlich, das nicht auch so zu kommunizieren.
Aber auch mit Gästen kann man gutes Staggione-Theater machen.
Allgemein gesprochen: Gibt es nicht gesellschaftliche Mindestanforderungen für den Wert von Arbeit, auch wenn man sie mit Leidenschaft betreibt? In den besonders klammen Kommunen müssen sich die Politik und Stadtgesellschaft grundsätzlich darüber verständigen, ob sie ein Theater als Teil der öffentlichen Daseinsvorsorge haben wollen. Wenn sie diese Frage mit "ja" beantworten, müssen sie die entsprechenden Kräfte eben entsprechend bezahlen und die Häuser ausreichend ausstatten. Hierzu gibt es ja verschiedene vorstellbare Modelle, neben Haustarifverträgen, seien es verbindliche und nachhaltige Kooperationen mit Sponsor*innen/Förder*innen/Unternehmen oder politisches Engagement, das auf Zuschüsse von Land/Bund hinwirkt. Letztlich geht es um sehr wenig Geld, das zusätzlich aufgewendet werden muss. Der Nutzen der höherern Mindestgage ist hingegen immens – besonders, wenn es auch Auswirkungen auf das gesamte Gagengefüge an den Häusern hat, wie hier einige schon richtig geschrieben haben.
Im Gegenteil werden die Theaterleitungen versuchen das zu kompensieren, in dem sie sich bei Gehaltserhöhungen zurückhalten.
Die verdiente, langjährige Schauspielerin verdient dann womöglich nur noch wenig mehr, als der ungelernte Souffleur-Anfänger. Kann man gut finden, muss man aber nicht.
Liebe Marlene S.,
das ist echt schlau, was sie da schreiben. Wenn die Leitung nicht anfängt die Gelddruckmaschine anzuwerfen, dann ist sie ihr Geld nicht wert. Stammtisch, hallo! Die Gelder werden eher von der Politik verteilt, oder? Aber diese toxisch-schlichte Denke wird es wohl immer verhindern, dass die Theater stark gegenüber der Kulturpolitik auftreten werden. Einmal über den Tellerrand schauen und größere Zusammenhänge miteinbeziehen, wäre vielleicht strukturell-schlauer und strategisch effektiver für alle. Ob eine gemeinsame Demo in der Fußgängerzone da unbedingt das beste Mittel der Wahl ist, können sie ja mal überprüfen angesichts eines bedrohlichen Zuschauer*innenrückgangs. So many people do not care at all about us. Zerlegen wir uns doch einfach betriebsintern selbst, während Stagflation, Krieg und Klimakrise laufen und berechtigte Zweifel nähren, daran dass Theater überhaupt noch gebraucht werden, dann hat sich das endlich mal mit diesem verrückten Kunstsystem. Fassungslos.
Viele im NV beschäftigten arbeiten de facto nur Teilzeit,
das wird durch die hohe Mindestgage nun unterbunden.
Für Vollzeitarbeitende war auch vorher eine höhere Gage jederzeit möglich.
Ich gehöre auch zu denen, die trotz einiger Jahre im Beruf erstmal so viel verdienen wie frische Absolvent*innen. Ist das fair? Nein, aber es ist nicht die Schuld der Gewerkschaft, sondern Ausdruck der auch vorher schon dominierenden und von den Theaterleitungen instrumentalisierten Ungerechtigkeit innerhalb der Theaterinstitutionen (Stichwort TVÖD/TV-L/NV-Bühne). Aber es ist solidarisch, sich erstmal über die Entwicklung zu freuen und es den nachkommenden Generationen zu gönnen. Solidarität ist keine Bewegung nach oben nach dem Motto "Wenn ich nicht mehr bekomme verdient es niemand", sondern die Mitnahme und Solidarität mit den Schwächsten und das vorläufige (!) Aushalten von subjektiver Ungerechtigkeit zur Verbesserung der Gesamtsituation und vor allem der Verbesserung einer Mindestgage, die Berufsanfänger*innen in heutigen Zeiten ansonsten in Armut lassen würde.
Niemand hat hierdurch wenige, sondern erstmal haben einige mehr. Und die reflexartigen, von den Theaterleitungen geschürten Angstszenarien vom Ende des Theaters haben nichts mit der Mindestgage zu tun, sondern mit von ihnen verschlafenen Entwicklungen ohne Weitblick.
Erhebt mal Zahlen an euren Theatern, in welchem Umfang in den letzten Jahren die Verwaltungsapparate aufgeblasen wurden und wie die Gehälter in anderen Tarifbereichen und insbesondere die Führungspersonen gestiegen sind. Da hat auch bisher niemand geschrien. Aber durch Verbesserungen bei den Künstler*innen, die an den meisten Theatern die Minderheit stellen und jetzt noch immer nicht das gleiche verdienen wie die meisten anderen Menschen am Theater, droht jetzt direkt der Untergang des Abendlandes. Da stimmt was nicht in dieser Rechnung. Und wieder wird Fortschritt torpediert durch den Egoismus einzelner und den Neid unserer Berufsgattung. Und ihr wundert euch, warum nie was passiert ist und andere Berufe am Theater so viel mehr verdienen? Das ist nicht einfach vom Himmel gefallen. Die mussten dafür auch harte Arbeitskämpfe führen, aber das konnten sie auch, denn: sie waren in der Gewerkschaft und haben sich nicht gegeneinander ausspielen lassen.