Macbeth - Sebastian Hartmann präsentiert die blutrünstige Tragödie als rabiates Spaßtheater
Wir sind böse!
von Matthias Schmidt
Leipzig, 30. Oktober 2008. Kaum hatte Uschi die Bühne betreten, da musste sie mal und pinkelte direkt vor den Eisernen Vorhang. Auf dem steht merkwürdigerweise seit der "Matthäuspassion" der Koppelspruch der deutschen Soldaten (bis 1945) "Gott mit uns". Die Polizei trug die Dinger noch bis 1970, doch das nur am Rande. Jedenfalls war Uschis Auftritt der erste große Lacher des Abends.
Uschi ist nämlich ein schwarzer Mops, weshalb ihr Pinkeln noch lustiger war als das Kacken von Macbeth. Der macht in einen Eimer, dessen Inhalt dann auf diverse Mitspieler verteilt wird. Schokopudding im Gesicht, das war nicht lustig, sondern eklig und böse. Überhaupt war vieles betont lustig und vieles betont eklig und böse an Sebastian Hartmanns "Macbeth". Auf der Rückseite des Programmzettels stand in Riesenlettern: Wir sind böse. Wer dabei dachte, das kann ja heiter werden, behielt schließlich aber auch recht.
Die wollen nur spielen
Der erste Auftritt gehört in Leipzig Macduff, den Guido Lambrecht als edlen Wilden gibt, mit freiem Ober- und bald auch freiem Unterkörper. Blutbeschmiert erkundet er Zuschauerraum und Bühne. Kein Hexenzauber, keine Kriegerromantik – Hartmann fokussiert von Anfang an auf das Gewaltpotential dieser brutalen Tragödie. Vornehmlich laut, gerne nackt (im weiteren Verlauf: Duncan, Lady Macbeth und Rosse) und immer blutig ist die Gewalt präsent. Und weil ohnehin fast jeder weiß, dass am Ende von Shakespeares Tragödien alle Beteiligten tot sein werden, spielt man das von Anfang an mit.
Duncan hat das Messer schon in der Brust, als er noch unangefochten König von Schottland ist. Eine Idee, die frühzeitig klärt, dass alles nur ein Spiel ist, wenn auch ein böses. Sicher gibt es so ein "Messer in der Brust" auch als Faschingskostüm.Die Zeichen dafür, dass hier "nur gespielt" wird, verdichten sich, als Uschi auftritt, der Mops. Uschi spielt die Hexen von Birnam, was an sich jeder Logik entbehrt. Wenn dann das große Morden beginnt, wenn Macbeth zu Holger Bieges Gut-Menschenlied "Reichtum der Welt" (was macht eigentlich Holger Biege?) immer größere Waffen in Duncan bohrt und dieser sterbend durch den Bühnensand tanzt, gibt es keine Zweifel mehr. Die sind nicht böse, die wollen nur spielen.
Das Prinzip Thomas Lawinky
Wir sehen eine Schauspieltruppe, die böse Jungs spielt: herumbrüllende, simpel gestrickte Militärs, eine Handvoll abgestumpfter Dummköpfe unter Waffen. Soll es geben! Wir sehen eine Schauspieltruppe, die nach improvisierten Gags sucht, so, wie es dem Volkstheater der Shakespeare-Zeit nachgesagt wird. Wir sehen eine Inszenierung, die keinen Effekt scheut. Ob Stroboskop-Licht, Nebel, Musik oder Video: hier wird mit großem Besteck großes Bilder-Theater gemacht.
Die Schauspieler fühlen sich sichtlich wohl in diesem Spiel, trotz ihrer vom vielen Brüllen heiseren Stimmen. Das "Prinzip Thomas Lawinky" (Macbeth) funktioniert großartig, und Peter René Lüdecke als Banquo steht ihm in nichts nach. Souverän fallen sie aus den Rollen und versuchen sich in Situationskomik, der nichts zu albern scheint – als Banquo Macbeth einen Ratschlag gibt, rollt beispielsweise ein Rad auf die Bühne. Ein Rad-Schlag, na ja, manches geht auch in die Hose. Eine solche Spielfreude aber gab es im Leipziger Theater seit Jahren nicht zu besichtigen. In Anspielung auf den ernsten Kontext der Tragödie: es wird gespielt ohne Rücksicht auf Verluste.
Macbeth – der Comic
Dass dabei ein guter Teil des Stückes (und auch der ambitionierten Dramaturgenprosa, mit der das Haus für die Inszenierung wirbt) auf der Strecke bleibt, ist angesichts dieser guten Nachricht zu verschmerzen. Zu blass die Lady Macbeth (Cordelia Wege), ein zwar triebhaftes, aber nie mächtiges Weib. Ihr Einfluss auf Macbeth und ihr späterer Wahnsinn sind nicht einmal ansatzweise glaubhaft. Die Söhne Duncans sind kaum mehr als ulkige Vögel, und warum der schottische Than Rosse (Emma Rönnebeck) als nackte Frau stirbt - sei's drum! Sebastian Hartmann hat den "Macbeth" auf Comic-Niveau gestutzt, und das ist in diesem Falle gut so.
Vielleicht wird das Shakespeare sogar mehr gerecht als eine neuerlich nuancierte Suche nach DER moralischen Botschaft, die wir ohnehin schon kennen. Buhrufe und Jubel dafür hielten sich die Waage. Im Theateralltag fehlt die johlende Hartmann-Premieren-Fangemeinde; die "Matthäuspassion" wird sehr schlecht besucht. Mit dem "Macbeth" ist das Centraltheater endgültig an die Freunde des rabiaten Theaters übergeben. Dennoch ist es gut so, wie es ist, denn vorher war das Haus bekanntlich auch nicht voller. Nur waren da eben die drin, die jetzt draußen bleiben. Es soll ja Stadttheater geben, die dafür eine Lösung finden…
(PS.: Ein Stück Rindfleisch hat auch noch mitgespielt, als Opfer, war aber billig: 2,57 Euro)
Macbeth
von William Shakespeare
Inszenierung: Sebastian Hartmann, Bühne: Sebastian Hartmann, Kostüm: Hildegard Altmeyer. Licht: Rainer Casper.
Mit: Maximilian Brauer, Andreas Keller, Jörg Kleemann, Guido Lambrecht, Thomas Lawinky, Peter René Lüdicke, Emma Rönnebeck, Henrike von Kuick, Cordelia Wege.
www.centraltheater.de
Mehr zu Sebastian Hartmann im nachtkritik-Archiv: Seine Leipziger Intendanz trat er im September mit der Matthäuspassion an. Anfang Oktober legte er dort seine Hamburger Inszenierung von Peter Handkes Publikumsbeschimpfung wieder auf.
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Ich weiß einfach nicht, wo das hinführen soll.
Immerhin: die Bühne sah schön aus, ein Fortschritt gegenüber der Matthäus-Passion. Die ein oder andere Szene hat eine schöne Idee angedeutet... doch solche auszuarbeiten fällt dem billigen Effekt anheim.
Schade, irgendwie. Ich stelle mich schon auf das nächste gleiche Stück ein.
Es bleibt die Vermutung, keine Pause eingefügt zu haben, weil man Angst hatte die Besucher würden flüchten.
Schade, ich hatte mich schon so auf den neuen Wind gefreut.
wenn dass das nieveau der hiesigen rezensionen ist und bleibt, kauf ich mir lieber noch ein lvz-abo. auf dem dumm-dreisten klugmacher-boulevard-niveau möchte ich hier eigentlich keine rezensionen lesen.
90er jahre-ironie-ironisch-finder sind doch irgendwie auch von vorgestern. och nö
P.S.: Plural=Jahren
Das Problem der Nacktheit auf unseren Bühnen liegt m.E. darin, daß es immer die falschen sind, die sich ausziehen. Entweder unansehnliche, dicke, ungepflegte Männer oder Frauen, die die besten Jahren schon hinter sich haben. Oder umgekehrt. Oder beides.
Vielleicht sollte man verbindliche, ästhetische Kriterien für das Blankziehen einführen. Ideen?
Wir sind als Touristen kurzfristig ins Theater gegangen und nach dem Anfangsgeschrei zunehmend angetan gewesen: so muss zeitgemäßes Theater sein.
Ich denke auch, dass man damit auch eine gute Chance hat, das Theater mit jüngerem Publikum zu füllen...
Kleine Einwendung: wenn der Text verstanden werden soll, dann müsste ein Schauspieler in der Lage sein, deutlich zu sprechen... aber bei so schönen Bildern brauchts das ja nich immer.
Ein mutiger Versuch alte Fesseln zu sprengen, aber ich weiß nicht ob das in diesem Extrem Sinn macht - Menschen die noch nie McBeth gelesen haben, werden keine der Andeutungen verstehen, geschweige denn die Geschichte nachvollziehen können.
Auch was die Nacktheit angeht - irgendwann hab ich mich gefragt: "Was? Der jetzt auch? Aber warum das denn?"... ich habe einfach versucht es als Symbol für Verletzlichkeit u.ä. zu interpretieren....
Dennoch: tolle Bilder, darstellerisch auch sehr schön - meiner persönlichen Meinung nach das nächste Mal vielleicht: "Weniger ist mehr"...
auffällig wie unreflektiert Schmidts eigener artikel ist. Der 2. Teil macht es deutlich, nämlich wie wiedereinmal frauenfiguren in hartmann vorstellungen vorkommen. wie kann man eine lady macbeth nur in so eine figur verwandeln?! "warum der schottische Than Rosse (Emma Rönnebeck) als nackte Frau stirbt - sei's drum!" sei es drum? ich bitte darum, dass ist echt totaler schwachsinn. es sollte sich nur einfach ma wieder jmd ausziehen...das ist doch langweilig, deswegen geh ich nicht ins theater!
Das Stück ist großartig.
Wäre das STÜCK MACBETH nicht so großartig, hätte ich Hartmanns Inszenierung wahrscheinlich gut finden können. Unter anderem Titel und somit anderen Vorzeichen eben... Schon ein simples “nach” Shakespeare hätte wohl geholfen – dem Zuschauer, im Endeffekt auch dem Theater/ den Schauspielern.
Als “Macbeth” war das für mich ein in sich nicht stimmiges, erschreckend oberflächliches, teilweise bedauernswert albern-lächerliches Ärgernis, das Unmengen Selbstverliebtheit und Arroganz über die Rampe schickte. Ein Inszenierungsteam feiert Party mit sich selbst (“Teeniegeburtstag”nannte es ein junger Mensch in der Reihe vor mir ) und wundert sich, wenn im Publikum die Aufmerksamkeit nach und nach respektloser (hier resignierter, da belustigter) Unruhe weicht. Die Qualität mancher Schauspieler findet wenig Raum, wo es doch eigentlich Wahnsinns-Rollen sind...hätten sein können...sollen...
Es gab starke Momente, starke Bilder en masse, teilweise starke Figuren... nur schade, daß die Charaktere und Handlungsfäden des Shakespeare-Stückes, in das man vermeintlich geht, allenfalls angedeutet, oft platt verkaspert, kaum mal jedenfalls “entwickelt”(geschweige denn für Nicht-Stoff-Kenner begreifbar vermittelt) wurden - “Comic”, wie der Herr Nachtkritiker es nannte, trifft es recht gut. Es war streckenweise großartig anzusehen, aber es ergriff mich nicht. Fast gar nicht. Was die “Hartmann-Family” über Krieg, Macht, die psychischen Deformierungen usw. denkt, ist nach ungefähr zwölfeinhalb Minuten hinlänglich mitgeteilt und trifft sich mit z.B. meinen Ansichten ziemlich gut. Aber warum braucht’s dafür das Etikett “Macbeth”?
Ich laß mich gern von neuen Sichten auf alte Stoffe überraschen, mich im Theater “umhauen” sowieso – emotionale Wucht in wirklich JEGLICHER Ausprägung: her damit! Klasse-Optik und Mörder-Sound scheinen mir kaum mehr als kleine Schritte auf dem Weg dorthin.
Herr Schüttelbier, hätten Sie meine Zeilen aufmerksam gelesen, wäre Ihnen womöglich aufgefallen, daß ich es NICHT werktreu brauche. Aber konsequent hätt ich’s gern. So wie z.B. Kruses “Don Juan”. Oder, in ganz anderer Weise, die “Publikumsbeschimpfung”. Ich fühle mich zwar von Ihren markig-hämischen Schmähungen der Werk- und Werttreuen nicht im geringsten getroffen, weil mich im Theater tatsächlich was völlig anderes interessiert, verstehe aber angesichts solcher Haudraufreaktionen immer besser diejenigen meiner Bekannten, die früher begeistert in Petras-, Lauterbach- oder ähnliche Inszenierungen (es ist halt ein weites Feld ... und, Achtung: Text-/Werktreue bei jenen eher mäßig!) mitgekommen sind und mir mittlerweile einen Vogel zeigen, weil ich mir jede Centraltheater-Inszenierung ansehe. Mästen Sie sich gern weiter am Leiden über die kritischen Dummköpfe – ich selber lass mir davon meinen Spaß an leidenschaftlichem Theater und meine Hoffnung auf wirklich Neues, das mich umhaut, nicht nehmen.
kam nach Engel auch nichts gutes. Hartmanns Inszenierungen sind platt, meist durchgehend schlecht gesprochen, von unglaublich idiotischem und schlechtem Humor durchsetzt, pubertär fäkaldurchweicht, ohne neuen Ansatz, oder Rafinesse. Das schönste das Anfangsbild mit viel grüner Petersilie auf rotem Blut. Danach nur noch idiotisch langweilig inkonsistent, versatzstückartig. Grausam!
wenn ich eines zu bemängeln hätte, dann die zwischenzeitliche (inszenierte? improvisierte?) unsicherheit lawinkys, der uns theaterbesuchern vor dem letzten akt anbot, den saal zu verlassen. warum? denn von langeweile oder buh-rufen war weder was zu spüren noch zu hören im saal. so radikal und anstößig wars doch gar nicht. ich will das verdammt nochmal zu ende sehen! und so wie es scheint auch die anderen theatergäste (für einen dienstagabend fand ich es alles andere als "leer").
nacktheit? - ich seh da nur einen körper. den körper des schauspielers. na huch!
geschriene dialoge? - kamen am dienstag nicht vor. und selbst wenn. die musik darf doch auch gern laut sein.
kein text im sinne shakespeares? - vielleicht sollte man sich zunächst statt des reclam-heftchens die übersetzung von thomas brasch zur lektüre nehmen.
geschichte nicht nachvollziehbar? - meine begleitung hatte macbeth noch nie gelesen und konnte der dargestellten handlung durchaus folgen.
schauspieler, die "ihre rollen runterrasselnd wahrnehmen"? - war ich in einem anderen stück? in einem anderen theater? selten habe ich schauspieler bei so viel spielwut und mit so viel überzeugungskraft erleben dürfen.
ein hund als hexen? - wem sonst schreibt man denn heutzutage eine höhere sinnessensibilität (á la: "meine katze hat das schon viel früher gemerkt, dass gleich jemand stirbt") zu, als unseren haustieren?
aber gut, über geschmack lässt sich streiten. das ist ja auch das spannende daran. ich bin nicht vom fach, aber mir ist es eine herzensangelegenheit dem negativen meinungsüberfluss ein quentchen gegengewicht zu geben. leute, geht mehr ins theater! das sind keine "idioten, die märchen erzählen", sondern engagierte schauspieler und regisseure im dunstkreis unserer zeit und gesellschaft.
Was ich dabei dachte: Hat William das verdient? Ist Thomas Lawinky gut?
Gefaellt mir das?
Dreimal ja! Habe nun, ach,soviele Macbeths gesehen. Der hier war jut!