Publikumsbeschimpfung - Sebastian Hartmann legt seinen Hamburger Handke von 2004 wieder auf
Da hast du dich geschnitten, Guido
von Johanna Lemke
Leipzig, 2. Oktober 2008. Von dem Vorbild ist kein Loskommen. 1966 in Frankfurt am Main uraufgeführt, war Peter Handkes "Publikumsbeschimpfung" in der Inszenierung von Claus Peymann eine der wichtigsten Arbeiten jener Zeit, die später mit dem Stempel "68" versehen und zum Inbegriff des Umbruchs wurde. In Videoausschnitten ist die als Skandal geborene Kult-Aufführung vom Theater am Turm auch in Sebastian Hartmanns Leipziger Inszenierung als Pate dabei. Man will nicht verbergen, dass man hier mit Geschichtsträchtigem handelt.
Aber kann ein Stück, das vor 40 Jahren den Nerv der Zeit traf, heute noch aufregen oder amüsieren? Ja. Denn Hartmann hat einen zweiten Kern darin gefunden. In Handkes Stück geht es nämlich nicht nur um die Anprangerung von Mitwissern und heimlichen Tätern des Nationalsozialismus, sondern auch um das Theater selbst. Sein erstes "Sprechstück", in dem keine Figuren gespielt und keine Dialoge geführt werden und das in Tiraden an das Publikum gipfelt, hebt den tradierten Begriff von Theater auf. "Wir sind keine Darsteller. Wir stellen nichts dar. Wir stellen nichts vor", heißt es. Und die stille Vereinbarung, die Grundlage der bürgerlichen Theatersituation, die den Zuschauer zum schweigenden Voyeur macht, wird aufgekündigt. Auf diesen Punkt konzentriert sich der Intendant des Schauspiels Leipzig, das jetzt Centraltheater heißt.
Wahrhaftigkeit in der Resignation
Da sind vier denkbar unprätentiöse Männer, die scheinbar ohne Plan die Bühne zum Nicht-Theater machen. Ihr Spiel beschränkt sich auf läppische Slapstick-Einlagen, stümperhafte Deklamationen und billiges Playback. Felix Goeser, Thomas Lawinky, Peter René Lüdicke und Guido Lambrecht befinden sich in einem Gewirr aus kleinen Katastrophen, Kabbeleien und Bauchnabelschau. Aber ihre Nummern sind permanent am Kippen. Manchmal bringen sie vor lauter Stottern und Haspeln kein verständliches Wort hervor oder deklamieren bis zur Unkenntlichkeit.
Momente der blanken Wahrhaftigkeit entstehen, wenn die Sprecher zwischen ihren peinlichen Show-Einlagen und albernen Zauberstücken in Resignation verfallen. Dann schaut Thomas Lawinky dem Pechvogel Guido Lamprecht dabei zu, wie dieser sich beim Rasieren schneidet: "Du hast dich irgendwie geschnitten, Guido, ziemlich doll. In die Halsschlagader, glaube ich." Und Lambrecht heult hysterisch, aber helfen kann ihm keiner. Was soll man auch noch sagen im Theater von heute, wenn man alle Botschaften schon zig Mal gehört hat.
Es ist dieses fortwährende Brechen der theatralen Situation, das Aufbauen einer Form, die im nächsten Moment, im vollen Angesicht des Zuschauers, zertrümmert wird. Wo sich der Zuschauer eben noch in den einlullenden Bild-Musik-Räumen verloren hat, wird er sofort wieder wachgerüttelt, weil die Musik plötzlich abbricht oder mal eben der Zuschauerraum komplett erleuchtet wird.
Und dann krabbelt Lawinky auf den Schreibblock zu...
Hartmann ist nicht der erste, der sich mit den bürgerlichen Bühnen-Konventionen auseinandersetzt. Im Grunde ist es seit jeher eine zentrale Praktik des Theaters, die eigene Hypnosewirkung auf den Zuschauer zu persiflieren. Aber Hartmann wendet diese Methode mit hartnäckiger Geschicklichkeit an und hat großartige Schauspieler zur Verfügung. Guido Lambrecht als der tragische Trottel mit dem dummdreisten Mondkalb-Blick ist so komisch wie lange nichts mehr, gerade durch die Einfachheit seiner Sketche. Er stößt sich immer wieder den Schädel und fällt in Zeitlupe auf den Misthaufen, und das Publikum quiekt.
Thomas Lawinky hingegen spielt erstaunlich weich und präzise. Wenn er sorgfältig seine Schuhe scheuert und losstapft, einen großen Spiegel zu holen, dann ist das von liebenswerter Ernsthaftigkeit. Einmal, als er durch den Zuschauerraum krabbelt, kommt der Kritikerschreck dem Schreibblock gefährlich nahe. Doch er lässt sich nur gemütlich auf einem leeren Sessel nieder und bietet seiner Sitznachbarin einen Schluck Weißwein an. Aus der Flasche natürlich.
Mit Schimpfwörtern holt man heute niemanden mehr hinterm Ofen hervor, das ist das Eingeständnis dieser Inszenierung. Wer im Saal hätte sich auch von "Nazischweine" oder "Genickschuss-Spezialisten" angegriffen gefühlt? Und so krächzt Lambrecht im prolligen Dialekt "Ihr seid Thäma unserer Bä-schimpfung, ihr Glotzaugäään!" und ein etwa elfjähriges Mädchen kommt auf die Bühne und dient als Sprachrohr für die Pöbeleien im Playback. Die Männer schimpfen im flackernden Licht kaum verständlich in eine Kamera – aber mehr für sich selbst, als dass sie irgendjemanden damit treffen wollten. Eine Schale mit Feuer steht auf der Bühne, zusätzlich wird das Publikum buchstäblich eingenebelt. Das geht ein paar wenige Minuten so, und dann verlassen die fünf Darsteller ganz plötzlich über Seitentüren den Saal.
Publikumsbeschimpfung
von Peter Handke
Regie: Sebastian Hartmann. Bühnenbild und Kostüme: Sebastian Hartmann. Mit: Felix Goeser, Guido Lambrecht, Thomas Lawinky und Peter René Lüdicke sowie im Wechsel Nora Dubilier und Florentine Zimmermann.
www.schauspiel-leipzig.de
Mehr lesen über Sebastian Hartmann und seine Neuerfindung des Schauspiels Leipzig als Centraltheater? Hier geht es zur Kritik (samt Kritikenrundschau und ausgiebiger LeserInnendiskussion!) zu Sebastian Hartmanns Matthäuspassion, hier zum Bericht über Jorinde Dröses Die Schock-Strategie. Hamlet.
Kritikenrundschau
Als "grandios hintersinnige Mogelpackung" feiert Gisela Hoyer in der Leipziger Volkszeitung (4.10.2008) Sebastian Hartmanns Lesart des 1966 uraufgeführten Stücks. Außerdem gebe es "viel zu lachen". Mal "mehr oder minder böse", dann wieder "mitleidig", "schadenfroh", oder sogar "einvernehmlich". Entgegen der Ankündigung im Stücktitel jedoch bleibe der Saal eher ungeschoren. Stattdessen geht es zum Wohlgefallen der Kritikerin auf der Bühne vor allem um "Philosophie und Theater", "Raum, Zeit, Welt, Erwartung, Wirklichkeit, Kunst und die verloren gegangenen Gewissheiten."
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(konnte ich mir gerade nicht verkneifen)
Der Vorgang ist in der Tat nicht empörend. Die Frage, ob man das nicht erwähnen müsste, war eher an Nachtkritik gerichtet, zumal die Redakteure ja in der Kritikenrundschau noch ausdrücklich anmerken, von der überregionalen Kritik sei niemand dagewesen. Ja, warum wohl?
1.Wie spricht man "desorbiert" aus? de-sorbiert oder des-orbiert?
2. Gibt es neben dem Bildverlust und dem Weltverlust auch einen Gehirnverlust?
Vielen Dank für sachdienliche Hinweise!
Heribert_Faßbender@Verblödungs.de
erholsam, im vergleich zum "kolonie"abend vorher ging es mal nicht nur darum, mich zu provogäääähnzieren.
trotzdem, wir waren zu ca. hundertst, an einem samstag, am zweiten aufführungstag am beginn einer neuen intendanz. bitter. leipzig will halt oper, will gewandhaus, will muko, will dinnertheater und maximal noch kleinkunst mit lokalmatadoren, aber theater? das hatte eben doch nix mit engel zu tun, daß die reihen leer waren. das ist einfach leipzig momentan, da muß ein schauspieler erstmal "richtig berühmt" werden, also tv machen, dann kommt das volk. wie damals, 97 an der kasse, als der herr vor mir sagte, es sei ihm egal, welches stück, hauptsache die schicke blondine ausm fernsehen spiele mit. lisa tittenrausfürsschauspielhaus martinek. das waren noch zeiten.
übrigens: de-sor-bie-ren. ist gar nicht so schwer, wie man meint.
Oder die entsprechende materiale Implikation:-xp&yq=>HW
(xp) und (yq) sind somit hinreichende Bedingungen für Heriberts Wissen! Es ist, in der Tat, ganz einfach.
Nabend allerseits!
let`s Rock......
Oder frei nach B.B.: "Da sich herausgestellt hat, daß unser Publikum eine dumme Hammelherde ist, empfehlen wir der Theaterleitung, sich ein anderes zu wählen." Hö Hö!
und @herrn schau: warum liest dus denn? das ist das forum für meinungen, nein? und sicherheiten und endgültigkeiten und so ist es und nicht anders gibt es halt nicht bei theaterrezeption.
lg
um die diskussion geht's mir doch gar nicht, die begrüße ich sogar. was viel peinlicher und entstellender daherkommt, ist die art und wiese, wie diese "diskussion" hier stellenweise geführt wird, denn das hat mit mario barth mehr zu tun als letztlich mit "theaterrezeption". kaum eine meinung wird hier ernst genommen, hier wird um die wette diffamiert und angegriffen, dass einem schwindlig wird.
diskussion: ja! aber sein hirn sollte man deshalb trotzdem nicht gleich auf den kompost schleudern.
Die selbstgerechte Art der neuen "Schauhäusler" auf Werbung oder Fotos in den schönen Fenstern zur Straße zu verzichten - oder wenigstens anderweitig auf die (leicht verschlafenen) Leipziger zuzugehen wird keine Zuschauer bringen.
Das Thesentheater von Hartmann wirkt auf mich nicht spielerisch und durchgearbeitet und entwickelt in seiner Ruppigkeit keinen Sog (ich fand die Schauspieler auch nicht "unprätentiös" sondern im Gegenteil unerträglich eitel) - das köchelt in seinem Insidersaft vor sich hin und interessiert sich null für DIE Zuschauer, die weder vom Feuilleton noch vom Fach sind. Der inflationäre Einsatz von Volksbühnenmitteln wie Endloswiederholungen, Körperkonfussionen, Sprachfehlern oder in-den-Eimer-scheißen (das kommt bald bei Macbeth - übrigens genauso wie Publikumsbeschiftung eine Übernahme, die vom Centraltheater gegenüber der Öffentlichkeit als neue Inszenierung angekündigt wird) erreicht doch eh nur die Auskenner, die allerdings rar sind Leipzig.
Dazu kommt: Die Dramaturgietexte (ups entschuldigung! DENKEN-UND-HANDELN-Texte) auf der Website und das Wenige, das über Print verbreitet wird, sind so unerträglich verschwurbelt, daß es fast an REALSATIRE grenzt.
Für 12 Millionen Subventionen im Jahr muß man schon ein Mindestmaß an Qualität bieten und nicht nur groben Formalismus und "Energie", sonst überlebt das Projekt Centraltheater keine zwei Spielzeiten.
Denn: die Leipziger Kulturpolitik ist verpeilt (siehe Hartmanns Einstellung) und gemein (siehe Opern-Maiers Rausschmiß).
Viel Spaß noch an der Pleiße ...
Ps: Die Auslastung in der Skala hat sich von am Anfang 50 Leuten auf jetzt durchschnittlich 15 stabilisiert und der "reaktive" Abend über den Zusammenbruch des Kapitalismus seht auch noch aus (ich meine natürlich nicht irgendwelche abgelutschten, altlinken Verschwörungstheorien von Naomi Klein, sondern neue Gedanken).
Theater ist halt nicht so einfach - manchmal muß man sogar 2 Wochen überlegen und danach 4 Wochen üben.
sebastian versucht was neues und offensichtlich funktioniert es nicht. aber vielleicht werden wir bald eine überraschung erleben.
ich glaube an das theater und an die menschen die es machen.
ich lass mich von euch nicht fertigmachen!
Kruse kommt ja auch noch, und der kann ja nu wirklich tolle Abende machen ...
Dann noch die Eitner-Acheampong fürs Märchen (sie hat die dicke Erika in der TV-Serie Stromberg gespielt - großartig !!!), die vor Jahren schonmal das Weihnachtsmärchen im Schauspiel Leipzig besorgt hat (war nich so doll, hat aber wenigstens funktioniert). Der Sebastian hat bei diesem Engagement allerdings wirklich keine große Orginalität bewiesen ... oder war Engel am Ende doch ein Avangardist?
Dann hätten wir noch den "Sufjan Stevens des Ostens" Reinald Grebe, der über einen großen Rückhalt in der hiesigen Bevölkerung verfügt und der, wenn er sich nicht durch diesen rohen, hingeworfenen, pseudogenialen "Centraltheater-Stil" korumpieren läßt, sondern einfach seriös arbeitet, sicherlich in der Lage ist einen erfolgreichen Abend auf die Bühne zu bringen. Auf mich wirkt die Atmosphäre im ehemaligen Schauspiel Leipzig z.Z. jedoch ziemlich popfeindlich (zuviel Artaud, zuwenig Beach Boys) - einfach wird das nicht.
Tja, so siehts aus - die dummen, oberflächlichen Leipziger Rentner sind schon nach 4 Wochen vertrieben und abgesehen von einigen hysterisierten Schauspiel- und Theaterwissenschaftsstudenten tut man sich noch schwer an den akademischen Nachwuchs ranzukommen.
@mitarbeiter
Niemand will irgendjemand fertigmachen, aber wer im Vorfeld so unqualifiziert und gemein die Fresse aufreißt, und sich dermaßen als künstlerischer Heilsbringer inszeniert wie Hartmann das getan hat muß jetzt auch ein bißchen Feedback bekommen.
@sebastian hartmann
Hey Sebo - verblüff mich mal !!!
Achja: und ersetz den Ober-Schwurbler Poali doch einfach durch einen GUTEN Dramaturgen.
Dann klappts vielleicht auch mit dem Centraltheater.
du bist nicht uli wahl.
"Gehen die nicht ins Theater wenn etwas Neues dort geschieht?" schreibt z.B. hier oben jemand vermutlich Junges. Na klar, so ist das - wer kritisiert oder nicht kommt, kann ja nur konservativ, geistig träge bis völlig verblödet, früherer Engel-Angestellter oder was ähnlich Bemitleidenswertes (gern auch alles zusammen) sein. Eine besonders niveauvolle Art der Publikumsbeschimpfung.
Dabei geht es gar nicht um 'Publikumsbeschimpfung', sondern darum, daß man nicht jeden Regisseur oder Künstler [ich weiß, ich weiß, in einer evtl. Reaktion auf meinen Kommentar wird man in Abrede stellen, daß Hartmann überhaupt Regisseur oder Künstler ist, schon gut, schon gut...] wie Schlachtvieh über den Markt treiben kann, nur weil man selbst Vegetarier ist. Daß man Auslastungszahlen oder Diffamierungen aus [seriösen] Medien 'mühelos' beziehen kann, stimmt so mit Sicherheit nicht.
Vom Theater wird gerade seitens älterer Zuschauerschichten immer wieder gerne Ausgewogenheit verlangt, die seitens der Zuschauerschichten aber allzu oft ausbleibt, wenn ihre 'Theaterbedürfnisse' nicht adäquat befriedigt werden. Über eine Intendanz, die ein in 13 Jahren festgefahrenes Haus übernimmt, nach nicht einmal vier Wochen zu nörgeln wie Kinder, die ihren Willen nicht kriegen, ist schon reichlich dumm.
Könnten Sie vielleicht etwas artikulierter und durchschaubarer jammern?
Immer ruhig Blut, liebe Leute.
Die Koinzidenzen in der Art der hier stattfindenden Diskussion und der Samstag stattgefundenen Premiere sind schon auffällig.
Ich habe gar nicht verstanden, warum da plötzlich ein grab ausgehoben wurde, warum Guido Lambrecht ständig gegen Wände stößt oder warum es verdammt noch mal so lange dauert, bis Lawinky seine Mehltüte holt und dann DOCH mit einem Spiegel zurückkehrt.
Ich habe bereits während des Applauses den Gedanken gehabt, dass ich womöglich niemandem gezielt empfehlen würde, extra nach Leipzig zu reisen, um Publikumsbeschimpfung zu sehen.
Und dann habe ich eine Nacht drüber geschlafen und mich besonnen! Verdammt! Wie gut dieser Hartmann mich immer wieder austrickst! Da denke ich doch, ich hätte alles schon gesehen, wenn auch nur auf Video (Claus Peymanns Premiere 1966). Damals konnte noch allein durch Handkes Text provoziert werden. Heute fällt das schon schwerer. Wie kann man Theater hinterfragen, auseinandernehmen, dekonstruieren, ohne zu kopieren (was 66 schon war)? Wie kann ich dem Namen alle Ehre machen, ohne das Publikum verbal anzugreifen? Wie kann ich verstören, verwirren, beschimpfen?
Plötzlich fällt mir ein, dass es Hartmann eben DOCH geglückt ist, meine Erwartungen zu killen. Ich habe tatsächlich "nichts von dem (ge)sehen, was (ich) hier immer gesehen (habe)". Und ja: natürlich: Ich habe mir "vielleicht etwas anderes erwartet". Die Atmosphäre, die Handlung, die Welt, die ich mir erwartet habe, bekomme ich eben nicht zu sehen/hören.
Ich danke Hartmann und seinem Ensemble für diese gelungene und vor allem intelligente Übersetzung, die auch über 40 Jahre später noch provoziert. Danke, dass ihr mich überlistet habt. Danke für einen durchaus gelungenen Theaterabend, der auch über die zwei Aufführungsstunden hinaus reicht. Danke, dass ihr einen interessierten, intelligenten Zuschauer voraussetzt!
erst scheiße gefunden, dann eine nacht "drüber" geschlafen, dann toll gefunden ...
da ist dir wohl im traum der heilige sebastian erschienen?
Dann trat der erste Besucher nach vorn, zur Bühne hin, wo symbolisch eine Schaufel stand. Die griff er sich und gab sie Lüdicke. „Wir lassen uns nicht auf die Schippe nehmen.“ Nutzte nichts. Der nächste Gast wagte sich deshalb weiter vor, versuchte das Ensemble auf der Hinterbühne zum Eingreifen zu bewegen. Vergebens. Dann noch zwei tatkräftige Zuschauer, ein Mann und eine Frau. Souverän gingen sie nach vorn, griffen sich Peter René Lüdicke samt Stuhl – und entsorgten ihn im Bühnenhintergrund auf einem Haufen Dreck. Sagenhaft!
Centraltheater-Intendant Hartmann will den aktiven Zuschauer: Der nicht nur konsumierend in seinem Sessel klebt und sich in eine andere Welt entführen lässt, sondern der eine eigene Meinung hat und diese auch vertritt. Die Leipziger „Publikumsbeschimpfung“ lädt dazu ein, die vielfach zitierte Vierte Wand zu überwinden – ohne dabei bloß billiges Mittmachtheater zu sein. Gestern Abend fiel diese Wand. Nach fast dreieinhalb Stunden statt der geplanten zweieinhalb, und am Ende gab es Standing Ovations. Sebastian Hartmann scheint in seiner Geburtsstadt jeden Tag ein Stückchen mehr anzukommen. Er bietet spektakuläres und anregendes Theater. Das sehen nicht alle Leute vor Ort so, klar. Doch immer mehr sind neugierig auf das Neue und genießen den frischen Wind.