Die Hand ist ein einsamer Jäger - Volksbühne Berlin
Pinke Party
von Simone Kaempf
Berlin, 23. Mai 2019. Auf eigenen Füßen zu stehen, kann so einfach sein. Die Schauspielerin, die eben noch als glitschiger Säugling auf der Bühne zappelte, wird links und rechts untergehakt, hochgehievt und in rosa Puschen gesteckt. Schon hält sie ihre Dankesrede ans Erwachsenwerden. Danke Danke dafür, dass aus ihr etwas hätte werden können. Danke, dass sie nicht sichtbar werden musste. Danke auch, dass sie erlernte, nicht Nein zu sagen.
Gender-Themen sind en vogue
Solche bittere Töne stecken in Katja Brunners neuem Stück "Die Hand ist ein einsamer Jäger", mit dem die Autorin thematisch so einige der Gender-Themen trifft, die gerade en vogue sind. Die Diskussionen vom vergangenen Burning-Issues-Wochenende sind noch frisch und beschäftigen einen noch weiter. In einem der Workshops wurde von Theaterverlags-Seite diskutiert, dass sich das Interesse an Theaterstücken dann in Grenzen hält, wenn es um Frauen-Beziehungen untereinander geht oder wenn die Frauenrollen von bestimmten Normen abweichen. Brunners heftiges Stück kommt da gerade zum richtigen Zeitpunkt, auch wenn es eigentlich schon länger parat liegt und ursprünglich schon im vergangenen Jahr uraufgeführt werden sollte.
Der weibliche Körper steht im Mittelpunkt. Der, der einerseits begrabscht wird wie in der Party-Szene, in der plötzlich eine fremde Hand im Höschen steckt. Aber auch der weibliche Körper, der sich in Szene zu setzen und zu positionieren weiß. Der gebärt, altert – oder sich kotzend entleert. Dann zum Beispiel spricht der Chor der Bulimikerinnen und zählt auf, auf was alles gekotzt wird: Vaterland, Mutterland, EU, auf die Väter und deren Väter, kotzen für dich, gegen uns, ein wenig für mich. Eine wilde Sprachsuada steckt auch in dem Stück. Brunner nimmt kein Blatt vor dem Mund, lässt eine Prinzessin Selda zu Wort kommen als körpergewordene Männerfantasie. Die Göttin der Körper-Entleerung tritt auch auf, die nämlich, vor der man kniet auf dem Klo. Credo: "Auf dem Klo, da bin ich so froh."
Mit roten Leuchtvulven
Der Kalauer steht original so im Text. Aber die roten Leuchtvulven im Schritt stammen von Pınar Karabulut. Die Regisseurin inszeniert die Textcollage maximal bunt, poppig, absolut unpädagogisch, und anfangs sogar fast esoterisch auftrumpfend, als wolle sie den Körpern wirklich zu Leibe rücken. Im roten Dämmerlicht sitzen die Schauspieler*innen mit weit gespreizten Beinen, die bunten Lampen im Schritt, sie fallen in murmelnde Gesänge, verbeugen sich vor einer unsichtbaren Gottheit. Ja, denkt man da noch, das Malträtieren der Körper steckt in vielerlei Hinsicht in Brunners Text und so ein körperlicher Zugriff korrespondiert damit schon ziemlich gut
Karabulut biegt dann aber doch voll in die Komödie, mit den fünf Spieler*innen in rosa Nickistoff-Shorts, weißen Turnschuh und Schweißbändern wie auf dem Tennisplatz. Knallrosa leuchtet die Bühne, ein großer Spielplatz der Gender Consciousness, in der sie sich bald in unterschiedlicher körperlicher Ertüchtigung üben. Auf großen Gummibällen rotieren die Beckenböden, dazu werden Lust- (oder sind es Geburts-) Schreie ausgestoßen. Den komödiantischen Höhepunkt erreicht der Abend in einer Abendmahl-Szene: Elmira Bahrami lässt sich als streng-skurrile Ober-Heilige die Leuchtmuschi küssen, verteilt die Hostie und erteilt den Männern die Absolution. Vermutlich für ihre toxische Männlichkeit. Wobei der Szenen-Reigen zu solchen konkreten Begriffen doch eher Abstand hält.
Zum Schlussapplaus erscheinen Katja Brunner und Pınar Karabulut in bester Feierlaune wie zwei Freundinnen, die gerade eine richtig gute Party gestemmt haben. Stimmt ja auch, aber der Abend sieht über weite Strecken eben auch aus wie eine poppige Nebenbühnen-Uraufführung. Quietschbunt, mit viel Musik, wechselnden Kostümen und erhöhtem Spaßfaktor, aber auch ohne die Verletzungen und Bedrohlichkeiten real zu fassen zu bekommen. Einige Szenen ragen leuchtraketenhaft heraus. Der Bilder-Regen und -Segen, den Brunner sich im Epilog wünscht, löst sich durchaus ein. Aber im Ganzen gerät der Abend zu bruchstückhaft, mit viel Show und Spaß, wobei jedoch die Zurichtung der Körper und der schmale Grat zwischen körperlicher Lust, Selbstentfaltung und Verletzung nur angerissen wird.
Die Hand ist ein einsamer Jäger
von Katja Brunner
Uraufführung
Regie: Pınar Karabulut, Bühne: Franziska Harm, Kostüme: Johanna Stenzel, Musik: Daniel Murena, Licht: Denise Potratz, Dramaturgie: Degna Martens, Hannah Schünemann.
Mit: Elmira Bahrami, Malick Bauer, Paula Kober, Skye MacDonald, Linda Vaher.
Premiere am 23. Mai 2019
Dauer: 1 Stunde 45 Minuten, keine Pause
www.volksbuehne.berlin
Kritikenrundschau
"Erzählungen wie diese sieht man noch zu selten im Theater - gerne mehr davon", schreibt Anna Fastabend in der Süddeutschen Zeitung (4.6.2019). "Als die Ausgehungerten in Zeitlupe einen Burger verspeisen, weiß man nicht, ob man lachen oder heulen soll. Ebenso grandios ist die Abendmahlszene, in der sich Elmira Bahrami von ihren Spielpartnern und einem Zuschauer auf die Blinklicht-Vulva küssen lässt, ihnen Hostien in den Mund steckt und sie mit einem gelangweilten 'Amen und Tschüss' wieder entlässt."
Ein "Manifest der wütenden Weiblichkeit" sei Brunners Text so Bernd Noack von der Neuen Zürcher Zeitung (7.6.2019). Der Text sei "in Massen originell". Karabulut treibe der "Brunner-Nachdenklichkeit mit comedybunter Bühnenbeliebigkeit" jeglichen Ernst aus.
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Da die Schweizer Autorin keine Unbekannte ist und beispielsweise auch schon mit dem Mülheimer Dramatikerpreis (2013 für „Von den Beinen zu kurz“) ausgezeichnet wurde, verwundert es, dass ihr neuer Text längere Zeit herumlag, bevor ihn Pinar Karabulut zur Uraufführung brachte. Der Stücktext „Die Hand ist ein einsamer Jäger“ muss sich garantiert nicht verstecken, hat deutlich mehr Substanz als die Uraufführungen von Moritz Rinke oder Ferdinand Schmalz, die am DT in dieser Spielzeit zu erleben waren, und vom Autorenprogramm des Berliner Ensembles trennt ihn ein Klassenunterschied.
Karabulut bekam den Text, der auch auf großer Bühne bestehen könnte, bei der Uraufführung im 3. Stock der Volksbühne nicht richtig in den Griff. Popfeministisch umtänzeln ihn die jungen Spieler*innen, zwei von ihnen (Malik Bauer und Paula Kober) gehören zum neuen Ensemble sehen, das Klaus Dörr vorgestellt hat.
Fazit: Es wäre lohnend, den Text noch einmal mit einem anderen, entschiedeneren Regie-Zugriff zu sehen. Katja Brunners Drama ist so stark, dass es hoffentlich nicht einfach – wie so viele andere neue Stücke – in der Versenkung verschwindet. Pinar Karabulut konnte bei ihrer ersten Arbeit in Berlin noch nicht überzeugen. Es wäre interessant, frühere, hochgelobte Arbeiten als Gastspiele an die Volksbühne einzuladen.
Komplette Kritik: daskulturblog.com/2019/05/24/die-hand-ist-ein-einsamer-jager-volksbuhne-theater-kritik/
gibt es hierzu noch eine Presseschau oder sind dies die einzigen Kritiken, die ja eher ein wenig unglücklich machen? Eigentlich wollte ich diese Vorstellung besuchen, aber so...
Gibt es noch Zuschauermeinungen?!
Komplette Rezension: stagescreen.wordpress.com/2019/10/05/im-rosa-nebel/