Debatte um die Zukunft des Stadttheaters - "Kulturinfarkt"-Co-Autor Dieter Haselbach zum Reformbedarf des deutschen Theatersystems
Beharrungskräfte und institutioneller Wandel
von Dieter Haselbach
24. Januar 2017. Wie anfangen? Den Sektor Theater und Musik lassen sich die öffentlichen Hände in Deutschland 3,5 Mrd. Euro pro Jahr kosten. Das sind knapp 35 Prozent der öffentlichen Kulturausgaben oder 43 Euro pro EinwohnerIn und Jahr.
Oder auch: Das öffentliche Theater ist in der Krise. Vor allem fehlt es an Geld. Alle wissen, dass es nicht mehr gibt. Und an vielen Orten knirscht es deutlich: Rostock, Wuppertal, Trier, Hagen. Öffentliche Theater sind dort, wo Kommunen arm sind (also fast überall außer im Süden des Landes), häufig unter wirtschaftlichem Druck, bekommen Sparauflagen oder es wird sogar über mögliche Schließungen diskutiert.
Oder so: Die deutsche Theater- und Orchesterlandschaft soll nun auch in die internationale UNESCO-Liste des Immateriellen Kulturerbes eingetragen werden. Was das bedeutet, ist unklar: Wird mit dem Welterbe-Status alles festgeschrieben, wie es jetzt ist?
Was macht das Theater in Deutschland
so teuer?
so arm?
so besonders?
Die Antwort ist dreimal dieselbe: Es geht um das Ensembletheater.
Bannkreis des Ensembletheaters
Was macht diese Form aus? Der Name sagt es: Es gibt ein festes, am Haus angestelltes Künstlerensemble. Hinzu kommen künstlerische Leitungen, also Mitarbeiter, die das Ensemble zu seinen künstlerischen Produktionen führen, Regie, Dramaturgie, Bühnenbildner. Im Musiktheaterbetrieb finden sich unter der Verantwortung des Hauses weiter die künstlerischen Gruppen, also das Orchester, den Chor, nicht selten auch ein Ballett. Schließlich findet sich in allen Ensemblebetrieben ein großer Apparat von technischen Mitarbeitern und Mitarbeiterinnen, die für die künstlerischen Produktionen die notwendigen sachlichen und technischen Voraussetzungen herstellen. Dann gibt es noch, wie in anderen Kulturbetrieben, die Öffentlichkeitsarbeit, inzwischen meist eine pädagogische Abteilung, dazu die Verwaltung. Geleitet wird der Betrieb in der Regel von einem Menschen, der mehr Künstler als Manager ist, der Intendantin.
International ist diese Form eine Ausnahme. Nur der deutschsprachige Raum, also Deutschland, Österreich und die Schweiz (hier aber nur die deutschsprachigen Regionen), kennt sie als Normalform. Auch die Theaterdichte ist in diesem Raum außergewöhnlich groß. Nirgendwo auf der Welt gibt es so viel öffentliches Theater wie in Deutschland, nirgendwo auch so viele Orchester.
Wofür beanspruchen Theater öffentliches Geld? Was ist der öffentliche Auftrag? Kulturpolitik hat entschieden, dass Theater kulturell wertvoll und also förderwürdig ist. Dieses Wertvolle mag sich darin ausdrücken, dass sie gelegentlich die Wirklichkeitssicht von Zuschauern irritieren. Oder darin, dass die Auseinandersetzung mit dem dramatischen Stoff des Menschlichen lebendig gehalten wird. Es mag darin liegen, dass sich die Besucher an den edlen Haltungen der Klassiker laben können oder an der Schönheit der Musik Wagners. Darin, dass der eine oder andere Fremde zu Besuch kommt und vor dem Theaterbesuch einen Espresso trinkt. Schließlich mögen die Pausen wertvoll sein: Im Theaterfoyer – wo sonst? – kommt die Zivilgesellschaft einer Stadt zusammen, kann sich selbst als wirk- und gestaltungsmächtig erfahren – und für nächste Geschäfte vernetzen. Die Liste ist unvollständig. Alle Fördergründe aber richten sich darauf, dass Theater gespielt wird, nicht aber darauf, wie es produziert wurde. Doch gerade dieses "wie" steht im Mittelpunkt, wo es um das Ensembletheater geht.
Schluss nach der zehnten Vorstellung
Die Strukturentscheidung, ein festes Ensemble in einem Theater zu unterhalten, legt fest, wie am Theater gearbeitet und gewirtschaftet wird. Ich will dies an einem fiktiven Schauspielbetrieb in einer mittleren Großstadt in Deutschland, mit vielleicht einer Viertelmillion Einwohnern, etwa die Mitte zwischen Bielefeld und Darmstadt, zeigen. Sprechen wir also von Bielstadt. Das Ensemble (manchmal mit Gästen) bestreitet in der Saison 2016/17 im Schauspiel 15 Premieren und 5 Wiederaufnahmen. Das heißt, dass 15 Mal ein vollständiger Probenprozess durchlaufen wird und 15 Mal der vollständige technische Produktionsprozess eines Stücks. Fünf Mal ist es weniger aufwendig. Um alles zu schaffen, braucht es Probenraum, Lagerraum, Transportkapazität. Aber vor allem braucht es Zeit und Personal. Es wird am Theater intensiv und dicht gearbeitet. Ensemblemitglieder wie technische Mitarbeiterinnen des Theaters haben schon einen langen Tag hinter sich, wenn sich abends der Vorhang hebt. Wenn das eine gespielt wird, muss schon das nächste und übernächste Stück geprobt und gebaut werden.
Wie oft wird ein Stück aufgeführt? Das Theater kann nur so oft spielen, wie der lokale Markt nachfragt. In Bielstadt mögen dies 8 oder 10 Aufführungen sein. Danach ist der gesamte Aufwand, der in die Produktion des Stückes eingegangen war, die Probezeit, das Bühnenbild, die Kostüme, die Lichteinstellung, das Wissen der Technik, der Text und das Spiel in den Körpern und Köpfen der Schauspieler, abgeschrieben, wertlos. Weil so viel Verschiedenes produziert wird, muss der technische Apparat hinter dem Ensemble groß sein. Die Ensembles sind nur ein kleiner Teil des Personals am Ensembletheater.
Digitalisierung der Oper setzt Zeichen
Eine Verminderung der möglichen Abspielungen, etwa weil das Interesse am Theater oder an Inszenierungen nachlässt, hat eine betriebswirtschaftlich paradoxe Wirkung: Je weniger Abspielungen, desto mehr Produktionen müssen hergestellt werden. Denn das Personal ist ja da und muss beschäftigt werden. Außerdem ist eine Eigenquote zu erwirtschaften. So weist möglicherweise die Klage über die Unterfinanzierung des Theaterbetriebs in Deutschland darauf hin, dass eine Absatzkrise die Kosten des Betriebs erhöht.
Eine Entwicklung, die durch Digitalisierung möglich geworden ist, betrifft die Oper, aber nicht das Schauspiel: Aufführungen großer Opernhäuser werden per Breitband-Datenübertragung hoher Qualität an andere Spielorte (etwa Kinosäle) übertragen und können in Echtzeit erlebt werden. Es mag dies ein Zeichen dafür sein, dass das Dogma, 'Theater müsse 'live‘ stattfinden, wenigstens in diesem Genre nicht mehr gilt.
Ich fasse zusammen: Ein Theaterbetrieb mit einem stehenden Ensemble bedeutet die Entscheidung für einen kostspieligen Betrieb. Denn die Zahl der Produktionen ist hoch, die der Abspielungen hingegen klein. Das Theater braucht einen großen technischen Apparat. Die Arbeitsbelastung der Ensemblemitglieder ist hoch. Kosten steigen, wenn das Interesse des Publikums am Theater abnimmt.
Gedankenexperiment: Betrieb und Ensemble trennen
Gibt es Alternativen? Machen wir ein Gedankenexperiment, trennen wir Betrieb und Ensemble: Dann gibt es hier Theater, an denen gespielt wird. Woanders finden sich Menschen zusammen, die Theater produzieren. Wie kommen die beiden zueinander? Ganz einfach: die Produktion reist zum Theater.
Was würde sich bei unserem Beispielbetrieb in Bielstadt ändern, wenn es nur noch spielt, nicht mehr produziert? Das Theater muss die Programmkosten der Gastspiele inklusive Reisekosten tragen. Mit dem Wegfall der handwerklichen Gewerke verringert sich der Personalbedarf des Hauses radikal. Der Bedarf an baulicher Infrastruktur nimmt ab. Insgesamt ist mit einer deutlichen Senkung im Zuschussbedarf des Hauses zu rechnen. Weiter verantwortet und disponiert eine Intendanz das Programm.
Wie sieht es bei einer Theatertruppe aus? In der Produktion wird der Aufwand höher. Aber selbst wenn er sich verdoppeln oder verdreifachen sollte: Die Kosten pro Aufführung sinken, denn die Produktionskosten verteilen sich nicht auf wenige, sondern auf eine große Zahl von Aufführungen. Allerdings gibt es unternehmerisches Risiko: Ein Stück muss ja erst einmal verkauft werden.
Das System insgesamt wird schlanker. Der Aufwand des Reisens allerdings kommt hinzu, er vermindert die Einsparung. Was ändert sich für das Publikum? Nun, sie werden ihr Ensemble vermissen –, oder eben nicht. Es ist – wie beim Ensemblebetrieb – zu hoffen, dass den Besucherinnen und Abonnenten ein interessantes Programm finden. Dies ist und bleibt Aufgabe der Intendanz.
Staus Quo des Systems
Theatersysteme in anderen Ländern funktionieren genau so: Es gibt in Frankreich, um ein Beispiel zu nennen, mit der Comédie française genau ein Schauspielhaus mit Ensemble. Der Rest der Theaterangebote wird von reisenden Truppen bestritten. In Britannien sind die Verhältnisse ähnlich.
Auch in Deutschland gibt es – besonders in kleinen Städten – Erfahrungen mit Häusern ohne Ensemble und mit Produktionen ohne Häuser, aber die dominante Form bleibt das Ensembletheater. Wenn die Dinge so liegen: Warum geht, angesichts der schwierigen Theaterfinanzen, von den schwächeren Standorten kein Druck auf einen Systemwechsel aus, der vom Ensembletheater wegführt?
Interessen am Erhalt des Status Quo gibt es vielfach. Institutionen ist ein struktureller Konservativismus eigen. Immer gibt es ein starkes Interesse an ihrem Erhalt. Gäbe es dieses Interesse nicht, würde die Institution kaum längeren Bestand haben. Veränderungen sind anstrengend.
Veränderungs-Interessen
Natürlich stehen die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter für ihr Theater ein. Langfristige Beschäftigung in einem geregelten tariflichen Arbeitsverhältnis oder zumindest für die Dauer einer Intendanz, ist nicht zu verachten. Diese Interessen sind sehr artikulationsfähig, öffentliches Auftreten ist Kernkompetenz eines Theaters. Überall dort, wo öffentlich gefördert wird, gibt es eine Tendenz zur Komplizenschaft zwischen den Verantwortlichen für die Förderung in der Verwaltung und den Geförderten. Beide Partner bestärken sich gegenseitig darin, dass sie Sinnvolles tun. Eine solche Komplizenschaft gibt es auch zwischen Theatern und den Medien, dem Feuilleton. Das Theater misst sich an der Berichterstattung im Feuilleton, dem Feuilleton erwächst Existenzberechtigung aus den vielen Theaterproduktionen. Interessenten am Theater sind natürlich auch die Besucher und Besucherinnen, die Abonnenten, eine kommunale Öffentlichkeit, mit dem Freundeskreis, den Premierenbesuchern. Auch hier werden Veränderungen in der Regel eher skeptisch gesehen, nicht wegen einer Fixierung auf die Form, sondern schlicht, weil Veränderungen irritieren.
So ist umgekehrt zu fragen, ob es Interessen an einer Veränderung des Systems gibt. Und ob und wo diese Interessen stärker sind als die an einem Erhalt. Ein Veränderungsinteresse könnte allenfalls vom politischen System ausgehen. Es wäre getrieben von der Aussicht, Theater zu einem niedrigeren Förderbetrag zu erhalten. Politiker aber überlassen im Regelfall den geförderten Betrieben, wie sie arbeiten. Aus dem Theatersystem erfahren sie, dass das Ensembletheater alternativlos sei. Theaterdebatten gehen dann so: Die Politik verlangt pauschal Kürzungen, setzt diese gelegentlich sogar durch. Die Theaterbetriebe können entweder versuchten, im knapperen Rahmen zu wirtschaften, ihn unter besseren Rahmenbedingungen dann wieder auszuweiten. Oder sie sprengen den gegebenen Rahmen, machen Verluste, für die die öffentlichen Haushalte dann wieder einzustehen haben, wenn der Betrieb nicht eingestellt werden soll. Die Alimentierungspflichten für die Mitarbeiter bleiben bestehen; das schränkt den Handlungsraum von Politik weiter ein. Generell gilt: Politik ist nicht entscheidungsfreudig, sondern konfliktscheu: Am besten aus der Sicht des politischen Systems sind Maßnahmen, denen alle zustimmen. So gibt es in der Politik immer gute Gründe, die Dinge so zu lassen, wie sie sind.
Beharrungskräfte des Theaters
Bei Beharrungskräften im System sprechen Sozialwissenschaftler von Pfadabhängigkeit. Aus einmal getroffenen Strukturentscheidungen erwachsen Folgen, die die anfangs getroffene Entscheidung stabilisieren. Solche Pfadabhängigkeit entsteht im Theater zweimal. Zum einen unterliegt ein Großteil des Personals den Beschäftigungsbedingungen des öffentlichen Dienstes. Es ist fast nicht kündbar oder anderweitig einsetzbar. Wohin mit dem Orchestermusiker mit noch 18 Jahren bis zur Pensionierung? Zum anderen: Es gibt für die Bespielung der Häuser nicht genügend Anbieter, aus denen sich ein gutes Programm zusammenstellen lässt. Ein solches Angebot wird aber nur entstehen, wenn die entsprechende Nachfrage zu erwarten ist. Dem Angebot fehlt die Nachfrage, der Nachfrage das Angebot. So bleibt das System im Status Quo gefangen.
Bleibt also alles wie es ist? Auch hier gibt die Theorie der Pfadabhängigkeit ein Denkmuster. An Kreuzungspunkten, dort also, wo viele Pfade zusammenkommen, ist es wohl möglich, den Pfad zu wechseln. Hat man keine Landkarte, mag der Pfadwechsel chaotisch geraten. Aber man kann auf einen anderen Pfad kommen.
Nah an der Wege-Gabelung
Einige Städte sind in der politischen Auseinandersetzung über die Finanzierung ihrer Theater in den letzten Jahren einem solchen Kreuzungspunkt recht nahe gekommen. Wo Einsparvorgaben, die sich aus allgemeinen Zwängen zur Haushaltsgestaltung ergaben, in einer Kürzung resultierten, die im Rahmen der Produktionsweise eines Ensembletheaters sich weder erfüllen noch unterlaufen ließen, wäre zumindest für das betroffene Theater ein Systemwechsel zu vollziehen oder das Theater zu schließen.
Vermehren sich solche Anlässe, so könnte der Markt für die Bespielung sich erweitern. Und es würden sich Kerne eines anderen Theatersystems entwickeln. Veränderungswiderstände würden löchrig, die Angst der Politiker vor Widerstand auffangbar mit Verweis auf schon existierende Gegenbeispiele. Weit entfernt wäre man dann noch von einem Markt, auf dem – wie etwa auf dem jährlichen Off-Festival in Avignon in Frankreich – mehr als tausend Theatercompagnien sich mit über 1.500 Stücken den booking agents der Theaterhäuser präsentieren. Aber es ginge in diese Richtung.
Prof. Dr. Dieter Haselbach, habilitierter Soziologe. Seit mehr als 20 Jahren Kulturberater und Kulturforscher. Arbeitete als Hochschullehrer in Kanada, England, Österreich und Deutschland. Geschäftsführer des Zentrums für Kulturforschung, Business Partner der Integrated Consulting Group, apl. Prof. für Soziologie an der Philipps-Universität in Marburg. Zertifizierter systemisch-interaktiver Coach. Sorgte 2012 für Furore als Co-Autor des Buchs Der Kulturinfarkt.
Mehr zu der Debatte: Auf Dieter Haselbach antwortet nachtkritik.de-Redakteur Christian Rakow mit einem Plädoyer fürs Ensemble- und Repertoiretheater.
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Der Artikel klingt wie ein Bewebungsschreiben bei lokalen Kulturpolitikern, die auf der Suche sind nach jemandem sind, der ihnen bei der Abwicklung ihres Stadttheaters oder Orchesters als Berater zu Hilfe eilen kann. Das scheint ein einträglicher Beruf zu werden, wenn die Prophezeiungen des Professsor Haselbach eintreten werden.
Vielleicht lohnt sich ein Blick dorthin?
Und eine Frage: Wie verträgt sich diese ökonomische Herangehensweise mit der Realität von den Theatern z.b. in Frankfurt/Oder oder Meissen, oder... wo Ensembles aufgelöst wurden und die Zuschauer sich seitdem kaum noch für das Theater interessieren?
es ist jetzt langsam gut mit all diesen halbgaren Unternehmensberatern, die sich zu Wort melden. Man muss nicht studiert haben, um zu wissen, dass ein Theater ohne Ensemble, ohne Werkstätten und mit En-suite-Betrieb billiger ist. Das ist völlig klar. Warum also all das subventionieren? Nur weil die Stadtgesellschaft im Foyer gern Kaffee trinkt!
Es ist müßig, hier jetzt ein Gegenreferat mit allen Argumenten zu eröffnen.
Nur drei Dinge:
1. Theater, wo die geringe Zahl der Aufführungen in keinem Verhältnis mehr zum Aufwand der Produktion stehen, muss man reformieren. Vollkommen klar. Das spricht aber nicht gegen das System an sich.
2. Deutschland geht es ökonomisch so gut wie nie. Warum also solche Debatten?
3. Polemik: warum wendet der Wissenschaftsbetrieb seine Erkenntnisse nicht auf sich selbst an? Home Office für freelancende Wissenschaftler, die mit ihren Erkenntnissen auf Tournee durch die Unis gehen. Das spart Apparatkosten und führt zu Effizienz. Denn es ist völlig ineffektiv, Wissenschaftler dafür zu bezahlen, dass sie jede Vorlesung nur ein bis zweimal halten und sie anschließend in Büchern oder Zeitungen weiterverwerten, für die es keinen Markt gibt.
Genau dieser Abbau an Vielfalt passiert übrigens gerade - und insofern ist das nicht nur Polemik, sondern ein Horrorszenario - tatsächlich im Journalismus. Noch nie wurde die Vielfalt der berichtenden Journalisten innerhalb weniger Jahre so stark dezimiert wie in den letzten zehn Jahren. Ist das gut so?
Es gibt im Wissenschaftsbetrieb wie in der kultur Gottseidank auch noch andere Logikern als die der betriebswirtschaftlichen Effizienz
Und das sollte auch so bleiben - Reformwille ist natürlich hie wie dort immer wünschenswert. Nur: nach welchen Kriterien und mit welchem Ziel?
Liebe Grüße
Joachim Lux
ich erlaube mir einige kritische anmerkungen. ihre argumentation ist sehr einseitig, ihre vorschläge sind kunstfeindlich; sie stören die weitere entwicklung des theaters.
1. der dreh- und angelpunkt ihrer kritik richtet sich auf das wertvollste, was wir am deutschen theater haben: das ensemble. wenn wir theater aus der linie des elisbethanischen theaters denken, der comédie -francaise, oder der wandertruppen der neuberin, ist es immer die company, die im zentrum der künstlerischen arbeit steht, niemals der regisseur, niemals der einzelne schauspieler - auch wenn es damals schon stars gab, und niemals allein der text. es war am ende die inszenierung, die zählte, und die aus der ensemble-arbeit entstand.
2. nun entsteht exzellente kunst genau aus diesem zusammentreffen von talent und sehr besonderen arbeitsbedingungen. viele der großen theater-dichter, allen voran shakespeare, moliere und brecht, haben ihre stücke in in der zusammenarbeit mit dem ensemble entwickelt. auch heute setzt sich das fort. ein gutes beispiel sind auch arbeiten aus der freien szene, hier der gruppe SheShePop, die ihre stücke aus der künstlerischen arbeit miteinander entwickeln, und dies seit 20 jahren in der fast immer selben zusammensetzung und immer erfolgreicher. gerade dieses beispiel betont die dringlichkeit der rückbesinnung auf starke ensembles in den öff. häusern.
3. die betriebswirt. betrachtung, die sie anlegen, ist grundsätzlich nicht ausreichend. hier sollte ergänzend eine langfristige gesamtwirtschaftliche betrachtung erstellt werden. in dieser betrachtung werden der aufwand für die unterhaltung aller theater, sagen wir seit 1580 gegen den künstl. ertrag gerechnet: das ist einerseits die summe aller inszenierungen, die summe aller uns erhaltenen und bekannten stücke, opern, libretti, choreografien, sinf. dichtungen, etcetera. ich möchte meinen, dass allein der "ertrag" dieser kunstwerke, die im zuge von ensemblearbeit entstanden und realisert worden ist, den historischen, gesamtwirtsch. aufwand um ein vielfaches übertrifft - um in ihrer sprache und mit ihren instrumenten zu argumentieren.
4. sie wollen ensemble und theaterbetrieb trennen und aus dt. theatern bespielhäuser machen, aus einer sehr betriebswirtschaftlichen sicht, die ich nicht teile. diese rationalität, die Sie bei der betrachtung ansetzen, bezieht sich lediglich auf die kosten und die im verhältnis dazu stehenden einnahmen. nun muss man aber auch die effekte, die ein stehendes theater auf die gesellschaft und auf die kulturtechnik hat, in diese betrachtung mit einbeziehen:
eine kulturtechnik bedarf einer ständigen weiter-entwicklung, sonst musealisiert diese. die entwicklung des theaters aus einer 3000 jahre alten perspektive zeigt uns, welches große künstlerische und kulturelle potential in ihm steckt, und wie es sich im zuge von entsprechenden reformen immer weiter entwickelt. im moment sind wir an einer schwelle, nach der mit größter sicherheit ein großer entwicklungsschub kommen wird, wenn die formulierten reformen umgesetzt werden. eine solche entwicklung wird ohne ensemble nicht möglich sein.
5. warum nicht? weil bespieltheater hüllen sind, in denen beliebige, austauschbare programme abgespielt werden, die weder eine bestimmte stilistische ausrichtung zulassen, noch eine eigene identität entwickeln. das theater wird genau an der schwelle stehenbleiben, an der sie beginnen, die theaterlandschaft zu entleeren und damit seelenlos zu machen, wenn sie mir diese wendung erlauben.
auch die gesellschaftliche funktion des theaters wird aufgelöst. hinzu kommt eine formalisierung und angleichung der produktionen, die sich jetzt tatsächlich immer mehr nach dem publikumsgeschmack richten müssen, ohne die kunstwerke zu ermöglichen, die nach erstem kalkül weder publikumswirksam, noch ertragsreich sein werden und die im kontext eines stehenden theaters immer mitfinanziert worden sind.
was Sie fordern - wie schon in Ihrem Buch 2012 - ist eine weitergehende Neoliberalisierung der Theaterarbeit. Die Last eines überhitzten Betriebs (soweit folge ich Ihnen) soll von den Schultern der öffentlich finanzierten Institution genommen und auf die der Künstler gelegt werden. Die Folgen dieser Trennung für die Künstler beschreiben Sie in keinem Wort, was wohl darauf zurückzuführen ist, dass Sie von künstlerischen Entstehungsprozessen keine Ahnung haben. Wenn ein Ensemble außerhalb der Institution Theater produzieren muss, begibt es sich in ein noch größeres finanzielles Risiko und eine weitaus größere künstlerische Abhängigkeit, als die bei diesem Beruf eh schon der Fall ist - schließlich muss sich das Produzierte ja dann bei den Theatern "verkaufen" lassen. Finanzieller wie künstlerischer Schutz fallen auf einem Schlage weg. Dazu kommt, dass die Probenbedingungen sich radikal verschlechtern würden und damit die Qualität des Erprobten und Produzierten. Sie tun so, als ob ein Theaterstück ein "Produkt" sei, dass unter allen möglichen Bedingungen produziert werden könne. Dies ist nicht der Fall und offenbart ihre Unwissenheit zu diesem Thema. Auch aus diesem Grund ist Ihr Beitrag Gift in einer Debatte, die sich gerade der Frage nach den richtigen Arbeitsbedingungen künstlerischer Teams annimmt und diese zu verbessern versucht (ensemble-netzwerk, art but fair usw.). Dazu bedienen Sie sich einer perfiden Logik: Die finanzielle und personelle Aushöhlung des Betriebs wird von Ihnen als "fortschrittlich" gekennzeichnet, das Festhalten am Prinzip des Ensemble-Theaters als "konservativ". Diese Argumentationsweise ist genau die Ideologie, die Kapitalismus in seiner neoliberalen Prägung seit Mitte der 1970er Jahren vorgibt: Fortschritt = Effizienz. Institutionen = veraltet. Mit Theater hat all dies nichts zu tun.
Und an die Proteste in Avignon. Seltsamerweise gibt es in Frankreich ja großspurig angekündigte Pläne, die in Paris einen regelrechten fest besetzten Theater-Campus beinhalten. Warum werden eigentlich so gern deutsche Ensembles in westwärts gelegene Theaterbauten eingeladen, um die Spielpläne mit ausgerechnet in Deutschland zusammengestellten und Stoffe erarbeitet habenden, erprobten Ensembles eingeladen? - Es müsste vielmehr so sein, dass daraus ersichtlich und beschreibbar ist, wie groß der MANGEL in Westeuropa und Übersee an unübersehbarem eigenem Ensembletheater geworden ist. - Wer etwas zum Weltkulturerbe machen möchte hat - im Gegensatz zu Prof. Haselbach vermutlich die Welt im Blick und nicht nur sich-
Ich finde, so eine Art Kulturwissenschaft institutionell in universitäre Betriebe einzubinden ist unverantwortlich und eine Förderung von Menschenverachtung als Haltung in den Wissenschaften. Ich würde sie also in den Privat-Copaching-Bereich auslagern. Sie würde dann von den Bevölkerungen der einzelnen Länder vermisst - oder nicht...
ich kann Ihnen in all Ihren Punkten nur zustimmen – leider. Es ist zwar nicht schön, was sich da am Horizont abzeichnet, aber (ja liebe Mitlesenden und Theatermenschen) so wird es kommen.
Trotz aller Subventionierungen ist ein Theater auch nur ein Betrieb, der sich am Ende in Zahlen messen lassen muss. Glaubt Ihr denn eigentlich wirklich, dass es als Argument reicht, darauf hinzuweisen, dass Ensembletheater Kunst produzieren? Dass Theater Kunst ist? Ja, wenn ich in dem entsprechenden Umfeld tätig wäre, würde ich das wohl ebenfalls skandieren. Der Trend wird aber ganz klar in diese Richtung gehen, da immer wenige Leute dazu bereit sind, ihr sauer verdientes Geld für die dramaturgischen Eskapaden oder die Selbstverwirklichungsphantasien eines exzentrischen Regisseurs auszugeben.
Und da die Journalismus-Branche als vergleichendes Negativ-Beispiel herangezeogen wurde: Korrekt. Ich bin Journalist. An meinem beruflichen Firmament zeichnete sich irgendwann die Digitalisierung ab. Ein empörtes Raunen ging durch die (Medien)Massen. "Print lebt" und so weiter und so fort. Nein, Print stirbt. Damit musste auch ich mich abfinden. Aber auch nach solch einschneidenden Veränderungen gibt es immer einen Weg den man gehen kann. Im Fall vieler Theatermacher müssen die Bretter, die die Welt bedeuten eben anderweitig verlegt werden.
Die Zukunft steht niemals still.
„Deutschland geht es ökonomisch so gut wie nie. Warum also solche Debatten?“ – Die für Theaterleute entscheidende Frage lautet: Wer ist „Deutschland“? „Den Städten (geht es) zum Teil nicht (gut), die sind in der Tat verarmt, wirtschaftlich, da müssten politische Lösungen her, Umverteilung der Lasten...“ - das merken Sie, liebe Frau Gräve, schon einmal vorsorglich und zutreffend zur eingangs zitierten Feststellung Joachim Lux’ an. Wenn aber die Städte kein Teil jenes Deutschland mehr sind, dem es „ökonomisch“ gut geht, muß das die Theaterleute alarmieren – denn in diesen Städten liegen die Theater, an denen sie arbeiten. Insofern beantwortet sich die Frage „Warum also solche Debatten?“ von selbst: weil die Städte keinen oder nur einen zu geringen Anteil an der prosperierenden Ökonomie des Landes haben, sich jedoch allenthalben, gerne auch bei den Theatern, von der Hauptstadt zu Einsparungen zwingen lassen, und folglich diejenigen „Reformer“ Oberwasser haben, die uns lehren wollen, wie die Theaterleute, die mit den sich ständig verschlechternden Umständen leben müssen, dies ohne Einbußen tun können - nicht selten garniert mit der boshaften Anmerkung, sie sollten froh sein, bei dem sich steigernden Desinteresse, überhaupt noch etwas zu bekommen; im Übrigen siehe das befreundete oder weniger befreundete Ausland (dem unsere - nur von uns selbst - gepriesene Exportweltmeisterschaft in jeder Hinsicht die Hand an die Kehle legt). Es ist hoch an der Zeit, soviel wird hoffentlich aus dem Gesagten deutlich, zu begreifen, daß „Deutschland“ ein sehr uneinheitliches Gebilde ist, dessen außen- wie binnenökonomische Brutalität nur deswegen nicht Anlaß zu weiteren Volksaufläufen der Marke AfD gibt, weil die auf allen höheren wie tieferen Etagen betäubend perfekte Konsumgüterversorgung (sehen wir kurz mal von den Tafeln ab) ihre Wirkung tut. Die Theaterleute haben es grosso modo verlernt oder weigern sich, wie der Kollege Matthes, diese Zusammenhänge herzustellen (das war 1970 anders). Die Intendanten, auch Sie, lieber Lux, kennen sie, streiten sie jedoch (siehe oben) öffentlich ab, der Deutsche Bühnenverein müßte, wärs anders, explodieren. Dieses „Deutschland“ wird nur noch mittels eines Betrugs zusammengehalten – dem der Merkelantistischen Alternativlosigkeit. Ich wünsche mir, daß alle weiteren Einlassungen zum Thema Theaterreform diesen Sachverhalt berücksichtigen. Tun sie es nicht, sind sie uninteressant – und sie unterschätzen, das ist meine Hoffnung, das Publikum.
Herzlich –
Steckel.
Wer einen solchen Beitrag bei diesem berüchtigten "Kulturberater" in Auftrag gibt und den dann auch noch veröffentlicht, den kann ich in der Auseinandersetzung um den Zustand des deutschen Stadttheaters nicht mehr ernst nehmen. Mir scheint, Herr Haselbach ist der eigentliche Erfinder sog. "alternativer Fakten".
Ich empfehle der Redaktion das Buch "Beraten und verkauft" von Thomas Leif.
(Liebe/r DNS,
es ist schön, wenn Sie so selbstgewiss das Gute und Wahre vom Bösen und Schädlichen zu scheiden wissen. Herr Haselbach und andere Menschen, die ähnliche und verwandte Positionen vertreten, geben Argumente oder wenigstens argumentähnliche Gründe. Sie werden in der Politik zur Kenntnis genommen und nehemn einfluss auf die entsprechenden entscheidungen. In jener Politik, deren Kenntnisse von kulturplitischen Zusammenhängen und theaterspezifischen Problemen nicht besonders ausgeprägt ist, wie die Berichte der 40.000 Theaterleute, die ihre Politik trafen genauso belegen wie die Berichte des Ensemble Netzwerks. Es wird sich also wohl nicht vermeiden lassen, dass Wohlmeinende wie Sie, falls sie in der Lage sind Herrn Haselbach mit Gründen entgegenzutreten, dies auch unternehmen, anstatt angewidert die Nase zu rümpfen und sich in den ebenso selbstgerechten wie selbstgenügsamen Winkel des Besserwissens zurückzuziehen.
Mi freundlichem Gruß
jnm)
Liebe nachtkritik: Wollt ihr jetzt den provokantesten (und auch dümmsten)Modellen Raum geben, damit es in den Kommentarspalten richtig rummst - oder wollt ihr eine ernsthafte Diskussion? ich finde, auch ihr müsst euch entscheiden - und nicht nur sich verstecken hinter "Meinungsvielfalt abdecken" "Diskussionsanlässe schaffen". Diskutieren kann man über jeden halbgaren Idiot - aber wem gebt ihr mehr Raum? Den sinnlosen Provokateueren? oder den ernsthaften Reformern?
(Lieber Künstler,
ich fürchte, nur zur erklären, diese haben Recht, die da aber gar nicht, wird wohl in der Lage, in der wir uns alle miteinander befinden, nicht mehr ausreichen. Ich glaube, wir all müssen uns bemühen, geduldig und immer wieder Gründe zu geben, warum der eine Vorschlag falsch und unngemessen ist und ein anderer Vorschlag den Realitäten mehr gerecht wird und bessere Lösungen bietet. Argumente sind, nach meinem Dafürhalten, das Mittel gegen alternative Fakten, nicht Empörung.
Mit freundlichem Gruß
jnm)
hier noch einmal etwas aus dem "Winkel des selbstgerechten und selbstgenügsamen Besserwissers":
Mir ging es in meinem Beitrag in erster Linie um das Verhalten der nachtkritik-Redaktion (Mit solchen "Beratern" wie Haselbach führt eine Auseinandersetzung eh nicht zum Ziel).
Wer als Redaktion einen solchen Schmarrn veröffentlicht, verabschiedet sich aus dem Kreis der ernstzunehmenden Gesprächspartner, nicht mehr und nicht weniger wollte ich zum Ausdruck bringen, ein Abstieg von der Profi-Klasse bis weit runter auf ein Kreisklassen-Niveau, das jnm schon durch seine/ihre Beiträge erreicht hat.
(Liebe*r DNS,
"Eine Auseinandersetzung mit 'Beratern' wie Haselbach führt eh nicht zum Ziel". Okay. Was dann?
Eine Auseinandersetzung mit der AfD führt nicht zum Ziel.
Eine Auseinandersetzung mit Trump führt nicht zum Ziel.
Was ist das Zeil? Trump zu überzeugen? Wohl kaum.
Aber vielleicht eInen Teil seiner Wähler, die zuschauen.
Was wollen Sie sonst tun?
Abwarten bis die Gefahr vorüber ist?
mit herzlichem Gruß
jnm)
Herr Haselbach disqualifiziert sich mit seinem Bewerbungsschreiben als Teilnehmer für die Diskussion um das Stadttheater! nachtkritik macht sich mit der Veröffentlichung zum Büttel dieser von keiner Sachkenntnis getrübten (Unternehmmens-)Berater Zunft!
Liebe*r DNS,
es tut mir leid, aber ich gehe nicht mit Ihnen konform in der Ansicht, dass Haselbach keinerlei Sachkenntnis besitze. Er berücksichtigt bestimmte Aspekte nicht, andere rückt er nach vorne. Sie gehen nicht auf meine Gründe ein, die ich oben genannt habe. Sie wiederholen nur Ihren Ausruf: "Der Mann hat keine Ahnung, der Mann ist der Untergang des Abendlandes!" Dass Haselbachsche Ansichten Einfluss haben auf Politik, weil Leute wie DNS sich zu fein sind zu argumentieren, stellen Sie weiterhin nicht in Rechnung. Ich finde das falsch.
jnm)
DNS hat es, noch ungeduldiger als ich , beschrieben, Herr Lux deutet es an: Wo soll man bei so unmöglichen Modellen anfangen zu debattieren? Wieder mal bei Null? Merken sie nicht, dass es nicht nur Einzelne sind, die ungeduldig werden, wenn der "Schmarrn" zum xten mal ausgebreitet wird - und wieder Punkt für hirnrissiger Punkt diskutiert werden muss? Schauen Sie sich die Diskussion im nachbarthread an: Gräve/Zipf legen einen großartigen Text vor, durch Diziplin und Zensur schafft man es ausnahmsweise, das Gespräch fair und fruchtbar´zu halten - bis Martin Baucks sein oberflächliches "provokantes" Modell dazwischen schiesst - was übrigens nur sehr wenig mit dem Thema ursprünglichen Mitbestimmung zu tun hat - und jetzt diskutieren alle wieder ob man "Gewerke mag" . Wenn dann Leute wie Lux und Gräve geduldig weiter diskutieren, toll, aber mir fehlt dazu Zeit und Geduld. Deshalb: Muss man Herrn Haselbachs Thesen zum x-ten mal veröffentlichen? Er wurde doch schon im "Kulturinfarkt" Streit x-fach eloquent widerlegt.
(Lieber Künstler,
ich selber habe über "Kulturinfarkt" auf dieser Seite referiert und ich bin nicht Ihrer Ansicht. Haselbach hat damals nicht genau dasselbe geschrieben und er wurde auch nicht eloquent widerlegt, wie ich in der Antwort auf DNS schrieb, schon gar nicht in den Augen der Politiker*innen, die entscheiden. Ja, man wird immer wieder auch bei Null anfangen müssen ("auch" weil wir ja mehrere Debatten zugleich führen und auch führen können). Es bleibt einem nichts erspart.
Mit freundlichem Gruß
jnm)
Herr Steckel, könnten Sie ihre Nibelungen Inszenierung aus Bochum noch einmal irgendwo zeigen? Wäre das möglich? Frau Gräve, wären Sie in der Lage auch nur eine Produktion aus ihrer Oberhausener Zeit auch heute aufzuführen? Herr Lux, wäre es Ihnen möglich eine Aufführung aus Ihrer Düsseldorfer Zeit zu rekonstruieren?
Wahrscheinlich nicht.
Aber warum nicht?
Weil sie alle keine Truppen gebildet haben und auch keine eigenständigen Truppen an ihren Häusern zuließen. Das Ensemble produzierte nach ihren Vorgaben und es war den Schauspielern nicht möglich, so wie den Tänzern von Pina Bausch, auch nur eine Aufführung, eine einzige ihrer Rollen bis heute zu erhalten. Alles wurde von ihren Repertoire-zwängen wieder zu Nichte gemacht.
Nichts davon blieb. Außer im Gedächtnis vielleicht. Kann man heute noch ein frühes Stück von Wolfgang Engel sehen? Das letzte von Benno Besson?
Nein.
Sie haben über Jahre letztendlich aus Kunstwerken, die heute noch leben könnten, eine Wegwerfware gemacht. Etwas, für das man nach kurzer Zeit keine Verwendung mehr hat.
Alle reden seit Jahren über Nachhaltigkeit, nur die Theater nicht. Und die Situation hat sich im Wettbewerb noch weiter verschärft. Mittlerweile müssen immer weniger Schauspieler, immer schneller noch mehr Premieren produzieren, und dies bei chronischer Unterfinanzierung.
Wie bitte wollen sie alle das ändern, wenn sie nicht endlich aufhören ihre Ensemble zu schleifen? Da gibt es nur einen Weg: Sie müssen ihren Begriff vom festen Ensemble modifizieren!
Das deutsche Stadttheatersystem braucht feste Truppen, die auch in der Lage sind ihre Arbeiten zu erhalten und zu schützen, so wie es die Truppe von Pina Bausch noch über ihren Tod hinaus tut. An der Wahrheit kommen sie nicht mehr vorbei. Dazu muss die Struktur geändert werden. Ein Modell habe ich vorgestellt, in dem dies möglich würde, nachhaltig zu produzieren und keine Kunstwerke mit kurzer Haltbarkeit, sondern Werke die dauern.
Bei der Debatte um den Erhalt der Theater geht es meines Erachtens um nicht weniger, als um die Frage, in welcher Gesellschaft wollen wir leben.
Es geht um die Frage, welche öffentlichen Güter und Leistungen gehören zur Daseinsfürsorge und welche nicht?
Für Haselbach gehört Kultur offensichtlich nicht zu den Leistungen (oder wie er es wohl sagen würde "services"), die ein Gemeinwesen bereitstellen muss, um den dort Lebenden ein menschliches Dasein zu ermöglichen. Seine Argumentation fußt allein auf den Kosten, die diese Leistungen verursachen. Aber mit dieser Argumentation, könnte er neben den Theatern (und Museen und Zoos und Bibliotheken und Orchestern ...) auch die Feuerwehren und die Friedhöfe zur Disposition stellen.
"Langfristige Beschäftigung in einem geregelten tariflichen Arbeitsverhältnis oder zumindest für die Dauer einer Intendanz, ist nicht zu verachten", schreibt Haselbach. Das ist eindeutig wahr, und es bestürzt mich, dass er so leichtfertig die Lebensgrundlage der Theaterbeschäftigten in Frage stellt. Solange "Kultur" in öffentlichem Auftrag produziert wird, hat die öffentliche Hand auch eine Verpflichtung gegenüber den Beschäftigten. Diese Verpflichtung hat sich in 40 Jahren "New Public Management" für die Theater aber bereits weitgehend gelöst. Jedenfalls ist mir ein Haustarifvertrag für Feuerwehren, Polizeidienststellen oder Ortsämter nicht bekannt. Gibt es Friedhofsgärtner mit Werkverträgen?
Haselbach hat Recht, in anderen Ländern zählt Kultur offensichtlich nicht zur Daseinsfürsorge. Ja und? Öffentlich geförderter Wohnungsbau, ein funktionierendes Abwassersystem, eine allgemeines Gesundheitssystem, öffentliche Hochschulen oder kommunale Kitas ebenso wenig. Sollen das auch die guten Beispiele sein, an denen wir uns orientieren sollen?
nach Ihrer erneuten Einlassung auf DNS habe ich Haselbach noch einmal gelesen.. leider hat sich mir aber erneut keine substanzielle Argumentation offenbart. Der Hauptkritikpunkt für Haselbach bleibt der hohe Kostenfaktor, die gebotene Alternative von Haselbach die Abschaffung des Systems (Ensembletheater). So gesehen sollte man einfach alles, was kostet, abschaffen statt zu reformieren? Das ist doch einfach keine Argumentation, noch dazu von einem Prof. Dr.? Insofern ist die Vermutung der vorangegangenen Kommentare, dass Haselbach aus reiner Antipathie gegen das Ensembletheater argumentiert durchaus nachvollziehbar, aber auch Antipathie ist kein Argument. Auch wenn ich Bahn fahren blöd finde, ist dies noch kein Argument gegen die Subventionierung der Bahn.
Ganz im Ernst, und seien Sie bitte ehrlich, ist das ein Grund einen dermassen schwachen Artikel zu veröffentlichen?
(Liebe Ophelia,
es ist nicht damit getan, Theater als selbstverständlichen Bestandteil der Grundversorgung der Bundesrepublik zu betrachten und alle als ahnungslos und böswillig abzustrafen, die das System der stehenden Bühnen und Ensembles radikal planieren wollen. Sie müssen argumentieren, wozu ist das Theater gut, warum brauchen wir Ensembles und Repertoire etc.
Wenn Sie mir nicht glauben wollen, werfen Sie einen Blick in den Januar-Leitartikel der GDBA-Zeitschrift, die ich gerade zufällig aus dem Netz gefischt habe. Die GDBA nehme ich nur als beliebigen Zeugen, nicht weil mir die Organisaton nahe stünde.
www.buehnengenossenschaft.de/leitartikel-januar-2017
Gruß
jnm)
Lieber Martin Baucks,
das was Sie Truppe nennen, nennen wir Ensemble. Und es ist wahr, dass viele Produktionen viel zu wenige Aufführungen und fast keine Aufführung bleibt nach einem Intendant*innen-Wechsel im Repertoire.
Die Gründe sind vielfältig. Aber einer liegt ganz sicher darin, dass die Theater bei jedem Leitungswechsel quasi neu erfunden werden. Dass die Ensembles weitgehend ausgetauscht werden und dass die neue Leitung versucht, alles anders zu machen.
Das Tanztheater Wuppertal war eine seltene Ausnahme, Pina Bausch wurde von fünf Intendanten in Wuppertal gehalten, und wäre 1999 nicht eine eigenständige GmbH gegründet worden, auch die folgenden Intendanten hätten wahrscheinlich Frau Bausch nicht rausgeschmissen (aber wer weiß das schon genau). Es ist ein seltenes Beispiel für Kontinuität, die Qualität hervorbringt. Es ist ein sehr gutes Beispiel dafür, dass Ensembles wichtig für ein Theater sind.
eine Truppe, wie Pina Bausch sie hatte und die es bis heute gibt, ist keinem Intendanten gegenüber verpflichtet , sie hat keine Rechenschaftspflicht gegenüber einer Leitung. Sie bestimmt sich selbst. Das ist der wesentliche Unterschied zu einem Ensemble . Und hierin liegt ihre Kraft zu so außerordentlicher Kontinuität und in einigen Faktoren mehr, die ich hier erst einmal nicht im Einzelnen erörtern möchte, bevor sich Steckel, Lux und Gräve zu Wort gemeldet haben, die mir ganz sicher wiederum erklären werden, warum das Modell Bausch nicht für sie funktionieren kann, obwohl es sich um einen Welterfolg handelt.
Zwar teile ich ihre Ansicht, dass dieser Text von Herrn Haselbach, formuliert in kurzen und Logik simulierenden Sätzen nicht das Niveau sonstiger NK-Beiträge hat - und der Publikation deshalb eine gewisse Fragwürdigkeit innewohnt. Was mich aber noch mehr irritiert ist die Hilflosigkeit ihrer Gegenargumentation.
Zu 1:
Falsch. Mit ihrem Argument öffnen sie solchen Schulbuben-Rechnungen wie jenen von Herrn Haselbach die Türe (auch wenn sie das sicher gar nicht wollen). Wenn man heute "Das Leben das Galilei" einem einzigen Zuschauer vorspielen würde, mit dreihundert SchauspielerInnen, und nur ein einziges Mal: Es würde sich lohnen - genauso wie es sich lohnt auf den Mond zu fliegen und dort nichts zu finden als Gestein. Warum dieser Kotau vor der Effizienzlogik? Durch diesen Spalt, den sie mit dieser Haltung öffnen, schleicht der AfD-Geist des Infarkts - darauf können sie wetten. Denn diese AfD Jungs und Mädels sind sehr effizient.
2) Mental geht es Deutschland im Moment alles andere als gut. Die Demokratie ist in Gefahr. Nur: Die Staatstheater mit ihren feudalen Strukturen und ihren entrechteten Ensemblemitgliedern, die ohne Macht in oft sehr prekären und unsicheren Verhältnissen leben, können in dieser Situation keine Widerstandskräfte gegen die reaktionären Kräfte aufbieten. Sie können nur (oft auf Befehl der Intendanz) kitschigen bürgerlichen Idealismus aufbringen, hilfloser Windhauch gegen die eiskalte (Un)-Vernunft der KulturzerstörerInnen von rechts. Ein Theaterhaus wie das Thalia müsste Leuchtfeuer der Aufklärung sein, aber nicht Küche für gutbürgerliche Klassik eines überalterten Bürgertums. Ihr Argument haut also total daneben. Geben sie Macht ab. Beweisen Sie, dass es ernst meinen mit ihrer Bekenntnis zu eines der Aufklärung verpflichten Theaters. Installieren sie ein neues Machtsystem, das es aufnehmen kann mit den autoritätshörigen Kultur-Vernichter - und nicht deren Weltsicht stärkt (wie das jetzige System)
3. Die von ihren imaginierte Krise der Wissenschaft ist längst Realität. Die Forscher haben längst ihre Freiheiten verloren und sind längst monadisiert. Doch auch hier hat das Theater verpasst den bedrohten Wissenschaften die Hand zu reichen und sich viel intensiver, viel konsequenter mit Kreativitätsforschung, Emotionsforschung, Emphatieforschung, Genderforschung, Politikforschung, Demokratieforschung zu verbinden.. Es dominiert der Bildungs-Kanon, inszeniert von assozierenden "RegisseurInnen", anstatt von Teams, die von wissenschaftlichen ExpertInnen beraten werden. Es dominiert (auch an ihrem Theater) bürgerlicher Irrationalismus. Sie sollten mit ihrer Verantwortung und ihrem formulierten Willen zu demokratischer Kultur lieber einmal GENAUER und VERTIEFTER nachdenken über die Modifikation ihrer (scheinbar) auswegslosen Showbiz-Aufführungskultur. Die Stadttheater (wie das Thalia) unterwerfen sich leider schon längst dem von ihnen beklagten Effizienzdruck wirtschaftlicher Denkweise. Aufführungen um 20.30 Uhr - gerichtet an ein hauptsächlich weisses Publikum - ist nüchtern betrachtet - von der Form und der Ideologie her nichts substantiell anderes als eine Musical-Vorstellung in irgendeinem Konsumtempel. Dieses Theater ist eine von Licht- und anderen Steuercomputern getaktete inszenatorische Struktur abwesender RegisseurInnen. Diese Form von Stadt-Theater kann gar keine gesellschaftlichen Reibungen mehr produzieren, weil die gesellschaftliche Reibung diesem Theater gar nicht mehr als Aufgabe einprogrammiert ist. Dieses Theater repräsentiert kapitalistisches Showbiz und die kritische Geste dieses Theaters ist ein reines Simulacrum.
Pina Bausch hat 1998, als Künstlerin die Zeichen der Zeit erkannt, in dem sie sich, in dem Moment als die Wuppertaler Bühnen mit Recklinghausen fusionieren sollten, für eine eigene GmbH entschied.
95 Prozent der GmbH gehören der Stadt, 5 Prozent ihrem Sohn. Es gibt einen umfangreichen Besorgungsvertrag und einen Beirat. Ich habe lediglich dieses Modell weiterentwickelt.
Es war die Kompetenz einer Künstlerin, welche die Zukunft sicherte, während zur gleichen Zeit die Intendanten in Wuppertal einer nach dem anderen scheiterten.
"Herr Steckel, könnten Sie ihre Nibelungen Inszenierung aus Bochum noch einmal irgendwo zeigen? Wäre das möglich? Frau Gräve, wären Sie in der Lage auch nur eine Produktion aus ihrer Oberhausener Zeit auch heute aufzuführen? Herr Lux, wäre es Ihnen möglich eine Aufführung aus Ihrer Düsseldorfer Zeit zu rekonstruieren? Wahrscheinlich nicht. ...Aber warum nicht? ... Kann man heute noch ein frühes Stück von Wolfgang Engel sehen? Das letzte von Benno Besson?"
Hm. Warum kann man heute keine Fritz-Kortner-Aufführung mehr sehen? Keine Brecht-Inszenierung von 1952? Keine Gründgensaufführung aus den 30er Jahren? Nicht mehr den Max-Reinhardtschen Sommernachtstraum von 1905?
Vielleicht, weil Theater kein Museum ist, wie die Bauschtruppe eines zu werden versucht, als wärs das russische Petipa-Ballett von 1847?
Und man stelle sich vor, welche anderen Aufführungen NICHT zustande gekommen wären, weil künstlich beatmete Alt-Inszenierungen in der tausendsten Umbesetzung samt ihrer katakombenfüllenden Bühnenbilder die Theaterspielpläne verstopften! Welche Aufführungen sollten denn erhalten werden? Alle? Weil Kunst? Und falls nicht alle - wie wird ausgewählt, was intensivmedizintheatralisch konserviert am Leben gehalten wird, lang übers natürliche Verfallsdatum hinaus?
Und wer möchte das alles eigentlich noch sehen? Zadeks Othello ohne Wildgruber? Kortners "Kaufmann" ohne Kortner? Oder Puchers blackfacing-Othello am Thalia von 2004? Da gingen doch heute die Fensterscheiben zu Bruch! Was wären solche Zombie-Aufführungen ohne die Schauspieler, mit denen und mit deren spezifischer Aura diese Aufführungen ursprünglich mal erfunden wurden für ein spezifisches Publikum in einer spezifischen Zeit? Als wäre ein Schauspielabend eine Choreographie einmal festgelegter Schrittfolgen wie der "Nußknacker", die jeder umbesetzte Schauspieler einfach nur übernehmen müßte, um originalgleich zu sein...
Dafür ist Theater - zum Glück!- nicht gedacht. Es ist - zum Glück! - eine flüchtige Kunst, die verschwunden ist, sowie der Vorhang fällt. Und die Aufführung abgesetzt wird. Das Problem liegt umgekehrt: Die Fernsehaufzeichnungen "großer" Aufführungen geraten zum Kuriositätenkabinett für Aufführungsstile und -formen, die für folgende Generationen zur Lachnummer verkommen. Da muß man nicht bis zu Aufnahmen mit Moissi zurückgehen, um sich über das überholte Gemehre gelangweilt zu amüsieren. Theater hat seinen Moment in der Zeit, stimmt eine Weile mit der Zeit überein und vergeht wie diese. Danach wird es, wenn's toll war, zum Mythos - aber versuche bloß keiner, den Mythos als Konserve überprüfbar am Leben zu halten. Die Enttäuschung stellt sich zwangsläufig ein.
1. Die Verallgemeinerung. Herrn Haselbachs Überlegungen mögen für viele Theater völlig verfehlt sein. Bei einigen hingegen könnte es sich lohnen, auch darüber nachzudenken, weg zu kommen vom Ensemblegedanken mit all seiner Behäbigkeit. Was für EIN Theater gut ist, muss doch nicht für ALLE gelten. Das gilt übrigens auch für die Spielpläne, wo sich unterschiedliche Ensembles in verschiedenen Städten manchmal durchaus mehr voneinander unterscheiden könnten.
2. Die Gleichsetzungen «Stadttheater = Kultur» bzw. umgekehrt «Beendigung des all-inclusive-Spielbetriebes eines Ensembletheaters = Kahlschlag an der Kultur». Das stimmt so nicht! Nehmen wir das Beispiel der Kleinstadt Chur/Schweiz, in der das Ensembletheater Anfang der 90er geschlossen wurde. Durch Förderanreize, aber auch schlicht durch Wildwuchs haben sich künstlerische Projekte und Produktionen entwickelt, die nicht nur mehr, sondern auch Interessanteres produzieren und produziert haben als es das zentral geleitete, unterfinanzierte und in seinen Abläufen gefangene Stadttheater konnte. Eine Win-Win-Situation, denn im Gegensatz zu den importierten Darstellungsbeamten kamen plötzlich auch die ortsansäßigen Theaterleute zum Zug. In anderen Städten wird es ähnliche Entwicklungen geben. Es ist kein Zufall, dass prägende Theatergestalten wie Milo Rau, Rimini Protokoll und meines Wissens auch Herbert Fritsch ihre Formen in der freien Szene gefunden haben. Das Geschmacksdiktat einer Intendanz bzw. Dramaturgie hätte den dafür nötigen Freiraum kaum zugelassen. - Heute sind ihre Inszenierungen vielfach die Leuchttürme auf den Spielplänen großer, teurer Ensemblehäuser. Aber mal ehrlich: Diese Häuser sind doch eher angewiesen auf die Produktionen dieser Künstler (und anderer) als umgekehrt. Sie selber brauchen die Ensembletheater hingegen schon deswegen nicht, weil sie neben dem Kreativ-Team auch ihre wichtigsten Schauspieler mit im Gepäck haben. Reisende Compagnien - wie in Frankreich. So wird der Ensemble-Gedanke allzu oft grade von Regisseuren, Intendanten und Dramaturgien ausgehöhlt. - Ich würde es sehr begrüßen, wenn Intendanten auch ihre Star-Regisseure öfters dazu verpflichten würden, möglichst ausschließlich mit dem Ensemble zu arbeiten. Doch das bleibt leider an den meisten Orten ein frommer Wunsch. Und solange das so ist, ist diese Debatte immer auch ein Stück weit verlogen.
3. Die Idealisierung des kleinen Stadttheaters in der Provinz, das sich mit viel Idealismus, trotz Finanzknappheit und kulturlosen Politikern, für die Stadt einsetzt und ihr nur das Beste gibt. Auch in diesem Punkt wäre ein bisschen mehr Aufrichtigkeit und Selbstkritik angebracht. Ich habe zahlreiche kleinere Theaterbetriebe kennen gelernt und dort nur selten zufriedene Menschen getroffen, die gerne taten, was sie dort tun. Da ist manch einer vielleicht schon fast dankbar, wenn - wie in Altenburg/Gera - pöbelnde Nazis Gründe für eine vorzeitige Kündigung schaffen.
Damit es in anderen Städten erst gar nicht soweit kommt, muss man frühzeitig neue Modelle entwickeln. Dies hätte schon längst geschehen müssen. Auf wesentliche Fragen, Herr Steckel, finden sie keine Antworten mehr. Dass, was jetzt geschieht, ist keine Ensemblepflege mehr. Die Schauspieler werden in einem neoliberalen „Schauerstück“ immer weiter zerschlissen. Der einfache Ruf nach mehr Geld funktioniert nicht mehr. Sie vergehen sich, mit ihrem Beharren, an den nachwachsenden Generationen, wenn sie weiterhin jede Reform verweigern.
Die großen Häuser in Hamburg, Stuttgart, München, Frankfurt und Berlin, die Theater in den reichen Städten werden ihren Betrieb aufrecht erhalten können. Die kleineren Theater, in den ärmeren Städten, werden eines um das andere untergehen, wenn man seine Strukturen nicht an die neuen Begebenheiten anpasst.
Ich sagte ihnen, Herr Steckel, dass ich ausgehend von der Entscheidung von Pina Bausch, eine eigene GmbH zu gründen, ihr Modell weitergedacht habe. Da besteht der Zusammenhang zu der Bausch-Truppe. „Weitergedacht“, das Wort verstehen sie doch Herr Steckel.
ihre Bewunderung für das Tanztheater Wuppertal teile ich, auch wenn die Zeit von 2009 bis 2017 durchaus als "museal" zu bezeichnen ist. Pflege des Repertoires und sonst nix. Das wird sich ab Sommer ändern, wenn Adolphe Binder die Leitung übernimmt. Und hier geschieht etwas, dass es sonst nur bei den Orchestern gibt: Es kommt eine neue Intendantin und sie wird mit den Tänzer*innen des Ensembles weiterarbeiten. Auf deren Erfahrungen aufbauen, sie mit neuen Choreograph*innen konfrontieren und so hoffentlich eine Synthese aus Tradition und Zukunft schaffen.
Und natürlich bekommt die Compagnie ein stehendes Theater. Das Schauspielhaus wird mit viel viel Geld vom Land und vom Bund saniert und zum "Tanzzentrum Pina Bausch" umgebaut. Das meinte Herr Steckel in #28.
Und natürlich war es von Pina Bausch klug, eine Lösung zu finden, "ihr" Tanztheater nicht in die Fusion zwischen den Wuppertaler Bühnen und dem MIR (das ist übrigens in Gelsenkirchen nicht in Recklinghausen). Aber sie hat das nicht allein gemacht. Die Stadt Wuppertal hat ihr sicherlich einen roten Teppich ausgerollt, um die Compagnie zu halten. Aber die Idee, dass die Leiterin einer Sparte eines Stadttheater alleine durchsetzen kann, ich werd jetzt mal unabhängig ... ist schon speziell. Auch in Wuppertal entscheidet der Stadtrat über die städtischen Finanzen (oder über das, was davon noch übrig ist).
Was seit 2001 in dieser Stadt mit dem Schauspiel geschieht ist aber wirklich ziemlich mies. Und ob das Theater am EngelsGARTEN überlebensfähig ist, wird sich in den nächsten zwei Jahren zeigen. Jedenfalls stimme ich Ihnen zu, die Entscheidung eine Intendantin zu engagieren, die kurz vor der Rente steht, und die mit ihrer Arbeit nichts mehr zu gewinnen und nichts mehr zu verlieren hat, war sehr sehr kurzsichtig.
aktuellen Sozial- und Wirtschaftspolitik, die sich mit ihrem Beharren, weiterhin jede Reform zu verweigern, an den nachwachsenden Generationen vergeht. Und nun entschuldigen Sie mich bitte.
wir müssen uns ja nicht einig sein, denn es geht lediglich um die Erprobung eines neuen Modells. Dies sollte man nicht verhindern wollen. Die nächsten Generationen derer, die heute zwanzig bis fünfundzwanzig sind, werden sich die Verhältnisse, wie sie sie heute schon an vielen Theatern vorfinden, nicht mehr gefallen lassen. Wenn ihnen der Betrieb so unflexibel entgegen tritt, werden sie sich in ihren co working space zurückziehen, ihre Smartphones, Tablets und Laptops anschalten und neue Lösungen suchen und in ihrem Netzwerk finden. Solche Lösungen, wie ich sie vorschlage. Und es ist ihnen egal, ob man sie deshalb ein wenig als neoliberal beschimpft. Sie werden ihren Chia-Pudding mit Kokosmilch schlürfen, ihr veganes Power Food essen und es ertragen von den Alten ein wenig verachtet zu werden und dazu sanft lächeln. Alles was sie als Freiberufler brauchen, ist eine Bürgerversicherung nach dem Vorbild der Künstlersozialkasse. Wenn der Zugang zu den Theater zu schwer für sie ist, werden sie sich anderen Medien zu wenden, die man leichter erobern und mit denen man mehr bewirken und noch mehr Menschen erreichen kann. Dieser Vorgang findet längst statt und die Zuschauerzahlen für Theater werden sich in den nächsten zwei Jahrzehnten noch einmal halbieren. Letztendlich gehen sie dann auch als Publikum verloren. Die Theater können froh sein, wenn sich dann noch eine junge Hackergruppe aus Spaß in eine Abendvorstellung hackt und ein wenig von außen mitmischt, um den Alten endlich einmal zu zeigen, dass der Betrieb längst schon genauso computer affin und gelenkt ist, wie man es ihnen im Speziellen vorwirft. Das ganze stellen sie dann anonym ins Internet und lachen sich ins Fäustchen und bauen weiter an ihren Modulen, die sie sich nach Belieben zusammensetzen, so wie es ihnen gefällt und sie es für richtig erachten. Sie werden dort in ihren Netzwerken alle Möglichkeiten und Tätigkeiten, die das Theater bisher meint nur alleine zu beherrschen, entweder finden oder neu entwerfen. Und hin und wieder wird jemand aufschauen und leise murmeln: Fuck Neoliberalismus! Und Schluss. Denn sie lieben ihre Unabhängigkeit.
Ich finde, es wäre an der Zeit für eine große Diskussionsrunde zum Thema! Wie wärs, nachtkritik oder boell-stiftung?
Das Welttheater ist ein Vexierbild und wenn Stadttheater gut gemacht ist, dann führt es das Versteckte in einem Vexierbild als sowohl deutlich wie unsichtbar vor. „Deutlich für den der gefunden hat, wonach zu schauen er aufgefordert war, unsichtbar für den, der gar nicht weiß, dass es etwas zu Suchen gilt.“, wie WIKIPEDIA wunderbar Franz Kafka aus seinem Tagebuch von 1911 zitiert.
www.zeit.de/karriere/beruf/2016-05/theater-burnout-schauspieler-arbeit-kuenstler-darsteller-arbeitsbedingungen
Wie sähe das denn aus?
Das Ensemble (also: nur die Darsteller) probte in irgendeiner Halle ohne Kostüme, ohne Technik, Licht, Ton, Video?
Das Bühnenbild, die Kostüme, Requisiten etc. würden woanders hergestellt? Man arbeitete nicht zusammen, Kunst hätte nichts mit Technik zu tun, Technik nichts mit Kunst?
Das ganze Wissen um die Vernetzung von Kunst und Technik wäre verloren oder müsste von vielreisenden Freelancern mit Macbook organisiert werden?
Oder bauten sich die Ensembles, die ja rechnerisch noch genauso viele Produktionen erarbeiten müssten wie bisher, eigene technische Abteilungen und Werkstätten auf? Errichteten also außerhalb der dann leeren Theatergebäude wieder eine Theaterstruktur?
Was für eine Art von Theater soll das sein?
Ein schlankes Produkt, zusammengesetzt wie ein Airbus, und dann auch noch zurechtgeschnitten auf verschiede mögliche Spielstätten?
Niemand, der da mitmachte, könnte eine Familie gründen oder einen (analogen) Freundeskreis pflegen.
Die leere Hülle des Theaters würde nicht mehr von vielen in der Stadt verwurzelten Menschen betrieben.
Theater entstünde nicht aus einer Stadt heraus und hätte nichts mit ihr zu tun. Welches Stadtpublikum soll sich für so ein Produkt interessieren?
Ich bin mir sicher, dass so etwas, sorgfältig durchgerechnet, sehr sehr teuer wird - es sei denn, die eigentliche Absicht solcher Konzepte wäre genau das: Theater ihrer Identität zu berauben und Ensembles zu zermürben, bis es am Ende nur noch wenige davon gäbe.
Aber ob weniger Kultur auf lange Sicht nicht viel teurer wird, sollte auch mal jemand ausrechnen.