Das Käthchen von Heilbronn - Am Thalia Theater Hamburg ist die Kleist-Welt bei Bastian Kraft ein Zelt
Stoffschablonen für Großstadtneurotiker
von Katrin Ullmann
Hamburg, 21. Februar 2015. "Ein großes historisches Ritterschauspiel in fünf Akten" versprach Heinrich von Kleist im Untertitel seines 1810 uraufgeführten Stücks, ein massiver, effekt- und wendungsreicher (Sprach-)Brocken ist das "Käthchen von Heilbronn" für die Bühne. Naiver Liebeswahn, Traumdeutung oder Schicksal – was treibt die Hauptfigur an, diesem Graf Friedrich von Strahl so hemmungslos nachzulaufen und bei jedweder Gelegenheit in Ohnmacht zu fallen?
Flackerndes Feuer, niederschmetternde Blitze und wilde Schwertkämpfe, zuckende Peitschen, vereitelte Anschläge und versuchte Vergiftung, vertauschte Briefe, blankes Entsetzen und zwitschernde Zeisige, hemmungslose Liebe und himmlische Kräfte: All das hat Kleist in sein Drama gepackt. Sprachgewaltig und theatral. David Bösch hat es jüngst in Wien aufgeführt – als "große historische Komödie". Sein generationsgleicher Kollege Bastian Kraft hat es jetzt am Hamburger Thalia Theater inszeniert, drei Jahre nach seinem letzten Kleist, dem Zerbrochenen Krug.
Kleist-Text ins Innerste einverleibt
In seinem "Käthchen von Heilbronn" stehen großartige Schauspieler auf der Bühne: Jens Harzer etwa gibt darin einen grandios irrlichternden, sinnverwirrten Graf vom Strahl, dem Birte Schnöinks impulsives Käthchen drei Stunden lang wie ferngesteuert verfallen ist. Victoria von Trautmannsdorff spielt die Fraumaschine Kunigunde als elegante skrupellose Giftspritze, Wolf-Dietrich Sprenger einen zutiefst empörten Waffenschmied und Christoph Bantzer glänzt in einem kleinen, aber fein-präzisen Auftritt als menschelnder Kaiser im Garten der Lüste.
Alle Darsteller – so scheint es – haben sich den Kleist-Text ins Innerste einverleibt. Wie sonst könnten sie ihn auf der Bühne mit einer so irritierenden Selbstverständlichkeit und unfassbaren Leichtigkeit wiedergeben? Ihr ruhiger, meist gelassener Duktus (allen voran: Jens Harzer) legt Kleists komplexe Syntax, seine brüchigen Konstruktionen, seine fragilen Sprachkunstwerke offen. Und macht doch gleichzeitig das effektvolle Drama mitsamt all seinen Wendungen verständlich, verweilt ausreichend in dessen bildreichen Beschreibungen.
Fern irgendwo im Traum
Ästhetisch und szenisch gesehen gibt der Abend allerdings umso weniger her. Kostümbildnerin Dagmar Bald versammelt ein paar Stoffschablonen für Großstadtneurotiker, die schlimmsten Outfits des Opernballs und die Bildwerdung eines unschuldigen Mädchentraums: Ganz in Schwarz die Herren, in biederen, ausladenden Abendkleidern (teufelsfeuerrot, rosé und mauve) die höfischen Damen und in – natürlich weißem! – Doppelrippunterhemd samt ausladendem Rock das Käthchen.
Wenn nicht gerade vor dem Eisernen Vorhang gespielt wird, zeigt die Bühne von Peter Baur ein weißes, halbtransparentes Rundzelt, das mal mit projizierten Sternchenflocken zum Nachthimmel wird, aber auch als Schattenspiel vor der Köhlerhütte dient und – später zu Boden gelassen – den Spielrahmen für Holunderbusch und Grotte darstellt. Das entbehrt einer künstlerischen Setzung ebenso wie die Regie, die sich dieser Indifferenz nahtlos anschließt.
Denselben gebührenden Abstand, den die Schauspieler an diesem Abend meist zueinander einhalten, scheint Regisseur Bastian Kraft zu Kleists Text eingenommen zu haben. Abgesehen von der weithin diagnostizierten Sprachgewalt ist ihm an dem "Käthchen" offenbar nichts weiter ein- oder aufgefallen. Fern irgendwo im Traum bleiben Haltung, Zugriff oder Regieidee. Geblieben ist eine (allzu) zuhörerfreundliche Stückerzählung mit konventionellen Theatermitteln – so, als habe sich der Regiewille Bastian Krafts vor der Macht der Kleistsschen Sprache in Deckung gebracht.
Das Käthchen von Heilbronn
von Heinrich von Kleist
Regie: Bastian Kraft, Bühne: Peter Baur, Kostüme: Dagmar Bald, Musik: Arthur Fussy, Video: Peter Baur, Dramaturgie: Beate Heine.
Mit: Christoph Bantzer, Sandra Flubacher, Jens Harzer, Matthias Leja, Birte Schnöink, Steffen Siegmund, Wolf-Dietrich Sprenger, Victoria Trauttmansdorff, Marina Wandruszka, Sebastian Zimmler.
Dauer: 3 Stunden, eine Pause
www.thalia-theater.de
Bastian Kraft konzentriere sich in seiner Inszenierung "auf das Wesentliche, die Liebe", schreibt Armgard Seegers im Hamburger Abendblatt und auch in der Welt (23.2.2015). "Kleists Traum- und Fantasiewelt stellen Bastian Kraft und sein Ensemble (…) so klar und realistisch dar, dass man deutlich ins Innere der Figuren schaut." Vor allem aber lebe die Inszenierung "durch die großartigen Schauspieler: Birte Schnöink wahrt als Käthchen den poetischen Schmelz dieser Figur, ohne je ins Süßliche abzugleiten." Und Jens Harzer als Wetter vom Strahl: "Harzer, dieser talentierte Schauspieler, der gelegentlich in einen gehetzt wirkenden Manierismus abgleiten darf, zeigt diesmal eine störrisch klare Ausstrahlung. (…) Die verzwickte kleistsche Sprache, die nicht von dieser Welt scheint, beherrscht Harzer so mühelos, dass sie auch in unserer Welt verstanden wird und sich plötzlich entfaltet."
Bastian Kraft verlasse sich "zu Recht auf die Überzeugungskraft seiner überragenden Schauspieltruppe", meint auch Elske Brault auf Deutschlandradio (Zugriff 23.3.2015). "Dass hier jedes 'Ach' sitzt, jedes Komma des Textes mitgespielt und mitgesprochen wird, schafft dieser Inszenierung berührende Intensität." Die Konzentration auf die Sprache habe "allerdings ihren Preis: Sie kostet den Ritter und sein zur Kaiserstochter erhobenes Käthchen das Happy End. Heiraten dürfen sie zwar. Aber eine gemeinsame Sprache finden sie nicht. (…) Nur für den Zuschauer im Parkett ist Rettung: Es gleich noch einmal anzuschauen."
"Ohne seine grandiosen Schauspieler, die den Text von Kleist sprachlich gestalten und ihm eine Dringlichkeit verleihen, wäre Bastian Kraft wohl am 'Käthchen von Heilbronn' gescheitert", meint Heide Soltau auf ndr.de. Kraft setze "wenig Akzente", ihm sei "nicht viel eingefallen. Es gibt schöne Szenen, aber ihm fehlt eine Haltung zu dem Stück. Das zeigen auch die Kostüme vom Straßenanzug bis zum Abendkleid im Barockstil." Bastian Kraft habe "auf den Text von Kleist gesetzt und seinen Schauspielern vertraut. Damit macht man nichts falsch, aber mit dieser Besetzung hätte es eigentlich ein großer Abend werden müssen. So war es kein Flopp, aber enttäuscht (sic!) mittelmäßig."
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Und bin ich eigentlich der einzige, der findet, dass Jens Harzer in jeder Rolle immer dieselbe Figur ist? Harzers Stil ist zweifelsohne faszinierend, wenn man ihn das erste, zweite, dritte mal erlebt, aber irgendwann wünscht man sich doch auch mal eine andere Nuance an ihm, einen anderen Typ, oder?
-- klar, es war ästhetisch oder formal kein revolutionärer abend. aber ist mir jedenfalls lieber so, als ein weiterer missglückter versuch das stück über irgendeinen originellen einfall zu "knacken".
Bis auf die ersten 10 grandiosen Minuten vor dem eisernen Vorhang ein unfassbar langweiliger Theaterabend. Mag sein, dass man das Stück in dieser Inszenierung gut versteht - es bleibt die Frage: WARUM? Warum sollte man dieses Stück verstehen wollen? Es löst nichts bei mir aus. Schade um die schöne Schauspieler-Engergie…
Schnörkelloses und gagfreies Theater und ein Regisseur, der sich auf die Kraft seines Ensembles und auf den Text besinnt. Wunderbar!
Um es kurz zu machen, zum ersten mal überhaupt habe ich das Thalia Theater in der Pause verlassen, mich bis dahin auch nur deswegen hingequält, weil ich in Begleitung war.
Selten habe ich eine so indifferente Inszenierung gesehen, selten eine Regie, die zu einem Stück so extrem wenig Haltung bezogen, nichts gewagt, nichts versucht hat.
Natürlich ist und bleibt das Ensemble des Theaters ein grossartiges, sicherlich bleibt es eine Freude allein der Sprache wegen ihm zuzuhören.
Nur miteinander zu schaffen hatten sie an diesem Abend nichts. Braves Text aufsagen in Bewegung und das war es.
Allein voran der beinahe gelangweilt distanzierte Jens Harzer mit seiner gequälten, gepressten fast lamoryanten Vortragsweise.
Das ist ja fast nur noch Masche, das ist ja fast nur mehr manieriert...