Castorfs Baal: Einigung zwischen Suhrkamp und Residenztheater nach Verhandlungsmarathon
Noch zwei Mal Baal mit Brecht
18. Februar 2015. Aktualisierung 19. Februar, 12:00 Uhr – Nach über sechsstündiger Marathonsitzung vor dem Landgericht München I einigten sich der Suhrkamp-Verlag als Vertreter der Brecht-Erben und das Residenztheater: Die Baal-Inszenierung von Frank Castorf darf noch einmal in München und einmal beim Theatertreffen in Berlin gezeigt werden. Die Kosten des Rechtsstreits trägt das Theater. Das Theater erklärt, weitere Baal-Aufführungen mit Fremdtexten zu unterlassen. In dem Verfahren waren die Resi-Dramaturgen Sebastian Huber und Angela Obst sowie Suhrkamp-Theaterverleger Frank Kroll als Zeugen vernommen worden.
Ein erster Vergleichsvorschlag des Residenztheaters im Lauf der Verhandlung war vom Suhrkamp Verlag abgelehnt worden. Dieser Vorschlag hatte u.a. beinhaltet, den Titel der Inszenierung zu ändern, vor jeder Aufführung auf die Urheberrechts-Problematik hinzuweisen und sich beim Suhrkamp-Verlag besonders zu bedanken.
Der Verlag hatte Ende Januar beim Landgericht München eine einstweilige Verfügung gegen Frank Castorfs Inszenierung am Residenztheater beantragt, da es sich um eine "nicht autorisierte Bearbeitung des Stückes" handele. Castorf hat dem 1918 entstandenen Brecht-Drama in seiner Inszenierung zahlreiche Fremdtexte hinzugefügt.
Man werde selbstverständlich nach einem "kreativen Umgang mit der entstandenen Situation suchen", teilte Residenztheater-Intendant Martin Kušej am Tag nach der Verhandlung mit. Dass Castorfs Inszenierung auch ohne Brecht-Texte funktionieren könnte, darüber wurde bereits während der Berliner Pressekonferenz laut nachgedacht, in deren Kontext "Baal" für das Berliner Theatertreffen nominiert worden ist.
(sle / Rupprecht Podszun)
Zu einem ausführlichen Bericht des dramatischen Verhandlungsverlaufs von Rupprecht Podszun, Professor für Jura an der Universität Bayreuth, geht es hier.
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Was für Frau Weigel in der DDR notwendig war, das Erbe Brechts zu schützen, davon kann man bei einer Castorfinszenierung wohl nicht ausgehen. Wenn dieser kreative, offene Umgang mit dem Erbe Brechts untersagt wird, untersagt von unbedeutenden Erbenkünstlern, empfinde ich das empörend. Schande über solche Machenschaften!
Übrigens welches brechtstück ist denn überhaupt nicht durch anverwandlung bestehenden Materials das durch eigentexte ergänzt wurde entstanden.
Baall?schwejk?antigone?dreigroschenoper(beggars Opera)?coriolan?kreidekreis?....ja welches denn nun?
es geht doch bloß darum, dass der Nachmieter Oma Müllers Eigenheim neu tapezieren möchte.
Man kann doch eine Immobilie nicht vermieten, den Mieter aber zwingen, Oma Müllers Krempel bis 70 Jahre nach ihrem Tod unangetastet drin zu lassen.
Ich habe jetzt folgende Phantasie: Der arme B.B. kommt im Frühjahr 2015 auf die Erde zurück und möchte ein Stück nach Ideen eines Brecht-Stücks schreiben. Die Novelle würde davon handeln, dass er an den Brecht-Erben scheitert.
...wenn´s dir darum ging, hättest du das auch so schreiben können; hast aber reisserisch und sensationsgeil fröhlich die unterstellung von abgekartetem spiel und profitgier in die tasten gehackt.
der bloße hinweis dass ein ausfallen der aufführung in berlin schade wäre, wäre nämlich kein müdes gähnen wert gewesen...nochmal: weder das resi, castorf, der verlag oder das tt haben solche absprachen nötig.
hast du es denn nun eigentlich gesehen???
Da stellt man sich unweigerlich den geistesgegenwärtigen Krisenstab in der Direktion der Resi vor, der in hektischen Konferenzen mit dem Regisseur Castorf solch feinsinnige Not-Falls-Rettungs-Aktionen austüftelt. Lange Beine aus Paris - klingt immer gut.
führen wir uns mal vor augen, wofür einige hier argumentieren:
einer der bekanntesten und wichtigsten aktiven regisseure unserer zeit hat ein 91 jahre altes stück von dem vor 59 jahren gestorbenen Brecht frei bearbeitet und aufgeführt. es handelt sich um ein stück, dass es ohne den dichter François Villon so nicht geben würde, der aber freilich nie irgendwelche tantiemen von brecht gesehen hat. dieses stück wurde von einer jury zu dem wichtigsten theaterfestival unseres landes eingeladen, also als künstlerisch hoch relevant geadelt. nun sollen aber tausende steuerzahlender kulturfördernde menschen dieses stück nicht sehen dürfen, weil eine einzige privatperson dies aufgrund eines gesetzes durchdrückt, das von sich aus schon in großer konkurenz steht zu einem anderen gesetz, das verfassungsmässig eigentlich höher gestellt ist: die kunstfreiheit.
hier auf dem forum plädieren viele für das interesse der einzelnen privatperson, und gegen die kunstfreiheit, gegen das interesse der allgemeinheit, dieses kunstwerk sehen zu dürfen. wie neoliberal ist das denn?
Das wäre auch kaum möglich, da Francois Villon schon ca. 1463 A.D. gestorben ist. Er wäre unter keinen wie auch immer denkbaren Umständen tantiemeberechtigt gewesen. Ebensowenig wie John Gay, der die Bettleroper im Jahr 1728 geschrieben hat.
Ihre Polemik ist etwas lächerlich.
Der Villon-Übersetzer K.L. Ammer allerdings WAR tantiemeberechtigt - und dem HAT Brecht auch 2,5% seiner Tantiemen abgegeben, ganz ohne Prozeß. Auch Brecht hat sich nicht ganz so brutal über das Urheberrecht hinweggesetzt (außer bei seinen Geliebten), wie es hier manche unter Verdrehung historischer Fakten gerne hätten.
@34: sie bringen da so einiges sehr durcheinander. wer bitte schreibt bürgerliche gesetze um? ich tuhe das nicht, und am wenigsten die anderen künstler, am ehesten noch die, die keine urheber sind, aber von diesen profitieren: die verlage. die konzerne. so ist die verlängerung der schutzfrist auf 60 jahre nach tot des autors eher der lobbyarbeit des disney konzerns zuzuschreiben, als irgendeinem künstler, dem es egal ist, was nach seinem tot mit seinem werk passiert.
nun reden wir hier aber von zwei verschiedenen dingen: ihnen (und tatjana wohl auch) geht geht es wohl zunächst um die rechteverwertung, also ums geld. darum geht es in dem hier diskutierten konflikt jedoch gar nicht. da soll doch meinetwegen ein autor (urheber ist von sich aus schon so ein zweifelhafter begriff, da es kein werk geben kann, dass nicht vom kulturellem drumherum des autors mitgestaltelt worden ist) seine tantiemen bekommen. wobei die frage dabei wäre, wie oft jemand sein werk verkaufen kann, dies ist nicht endlos und unbeschränkt möglich, dass wurde gesetzlich im interesse der allgemeinheit festgeschrieben.
die rechteverwertung durch tantiemen ist aber nur ein teil des themas, und zwar der weitaus weniger dramatische. den brecht erben geht es ja leider nicht nur darum, geld zu bekommen (wäre es doch nur so, alle probleme wären gelöst!!!), denn sie würden ja viel mehr verdienen, wenn sie alle möglichen freien bearbeitungen zulassen würden, anstatt sie zu verbieten.
nun verraten sie mir aber, wie es im interesse der kunst, der gesellschaft, der künstler sein kann, wenn 100 jahre lang absolute (geistige!) kontrolle über ein kunstwerk ausgeübt werden soll, dass durch seine veröffentlichung bereits in einen nicht mehr privaten raum übergeben worden ist. wie soll es im interesse der gesellschaft sein, dass inszenierungen verboten werden, die nicht genau so sind, wie irgendwelche erben sich das vorstellen?
der ablauf ist doch der: brecht verfasst ein stück, in diesem stück wurden einige äussere einflüsse benutzt und verarbeitet (wie es bei absolut jeden werk der fall ist, bei brecht mehr als bei anderen). nun wird aber auf das so entstandene werk ein absoluter bann gelegt, es soll also niemand weiteres mehr daraus schöpfen dürfen, von diesem werk profitieren, so wie brecht von anderen werken profitiert hat.
meine argumentation richtet sich genau dagegen und ist von daher mit sicherheit nicht neoliberal, und schon gar nicht "yuppie"-mäßig (was für eine nichtsagende, alberne zuschreibung). vielmehr richtet sie sich gegen kulturellen diebstahl durch privatisierung.