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Berliner Theatertreffen 2008 – Auswahl und Reaktionen
Wo ist Bösch?
Berlin, 13. Februar 2008. Am späten Montagabend wurde die Auswahl für das diesjährige Theatertreffen bekanntgegeben, das vom 2. bis 18. Mai in Berlin stattfindet (Auswahl, siehe unten).
Die Jury aus sieben TheaterkritikerInnen (Eva Behrendt, Jürgen Berger, Karin Cerny, Stefan Keim, Hartmut Krug, Peter Müller und Christopher Schmidt) lädt dafür aus dem gesamten deutschsprachigen Raum zehn Inszenierungen als die "bemerkenswertesten" nach Berlin ein. Jeweils zwei kommen aus Berlin, München und Zürich, die anderen aus Frankfurt am Main, Hannover, Hamburg und Köln.
Die Kommentare (alle vom 13.2.) der KollegInnen zu dieser Auswahl sind unterschiedlich ausgefallen. Laut Peter Michalzik (ehemals Jurymitglied) von der Frankfurter Rundschau ist das Theatertreffen "die wichtigste Überblicks- und Spitzenveranstaltung der größten Theaterlandschaft der Welt" und die diesjährige Auswahl in Ordnung; Welt, NZZ und F.A.Z. ist die Weltspitzenveranstaltung lediglich eine Meldung wert, wobei das Frankfurter Blatt in der Auswahl immerhin "die Rückkehr zu professionellem Theater, ganzen Stücken und halbwegs vollständigen Inszenierungen" erkennt. Für Christine Dössel von der Süddeutschen Zeitung, bis letztes Jahr Jurymitglied, ist sie dagegen "grundsolide und künstlerisch vertretbar wie überraschungsarm"; sie vermisst den Nachwuchs (David Bösch!), Peter Steins "Wallenstein" (der "in einem ganz speziellen Sinne" bemerkenswert sei) und würde offenbar auch Volker Lösch gern einmal beim Theatertreffen sehen. Den Tagesspiegel können allenfalls die Produktionsstätten überraschen, die Berliner Zeitung sieht die Virtuosen kommen, die taz vermeldet als "deutliche Tendenz" die Rückkehr des Schauspielertheaters. Und das Hamburger Abendblatt hat Gerhard Jörder – er war insgesamt 12 Jahre Jury-Mitglied – gefragt, wie die Jury-Auswahl zustande kommt.
Wir haben unsere LeserInnen abstimmen lassen (hier die Liste der zur Wahl stehenden Inszenierungen), und sie hatten ja auch ein paar andere Vorschläge (das Ergebnis: hier). Die Einladung von Signa ist natürlich eine Überraschung und Freude, aber: Wie wird man die Installation in Berlin aufbauen? Hier noch einmal unsere Besprechung von Die Erscheinungen der Martha Rubin. Und hier die Nachtkritiken (zumeist samt Presserundschauen und LeserInnenkommentaren) zu den eingeladenen Inszenierungen von: Jan Bosse, Jürgen Gosch, Stephan Kimmig, Sebastian Nübling, Christoph Marthaler, Thomas Ostermeier, Armin Petras, Stefan Pucher und Michael Thalheimer.
Hier die Liste der nach Berlin eingeladenen Inszenierungen:
Deutsches Theater Berlin: "Die Ratten" von Gerhart Hauptmann, Regie: Michael Thalheimer
Deutsches Theater Berlin: "Onkel Wanja" von Anton Tschechow, Regie: Jürgen Gosch
Schauspiel Frankfurt: "Gertrud" nach Einar Schleef, Regie: Armin Petras
Schauspiel Hannover / Deutsches Schauspielhaus Hamburg / Theaterformen 2007: "Pornographie" von Simon Stephens, Regie: Sebastian Nübling
Thalia Theater Hamburg: "Maria Stuart" von Friedrich Schiller, Regie: Stephan Kimmig
Schauspiel Köln: "Die Erscheinungen der Martha Rubin", Nonstop-Performance-Installation von Signa, Regie: Signa Sørensen und Arthur Köstler
Münchner Kammerspiele: "Die Ehe der Maria Braun" nach R. W. Fassbinder, Regie: Thomas Ostermeier
Münchner Kammerspiele: "Der Sturm" von William Shakespeare, Regie: Stefan Pucher
Rote Fabrik Zürich / die produktion GmbH: "Platz Mangel". Ein Projekt von Christoph Marthaler
Schauspielhaus Zürich: "Hamlet" von William Shakespeare, Regie: Jan Bosse
(peko/dp)
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komisch nur, dass die nachtkritikuserauswahl ungefähr dasselbe vorschlägt...
Ehrlich gesagt, weiß ich nicht sehr viel übers Theatertreffen, aber eines weiß ich ganz bestimmt: Signa ist eine Frau, nämlich meine. Ich hätte sie auch nicht geheiratet, hätte sie nicht all die Vorzüge, die Frauen naturgemäß zu bieten haben. Technisch gesehen bin zwar ich auch Signa, weil wir unter diesem Namen als Duo arbeiten, aber es sind doch meist ihre großartigen Ideen, die uns zu solchen Einladungen vorantreiben. signa.dk
Da wäre dann auch geographische Lage und ICE-Anbindung weniger entscheidend.
Im Abendblatt steht: "die Mitglieder werden jeweils für drei Jahre vom Intendanten der Berliner Festspiele berufen". Doch sicher nicht einfach nach dem Gutdünken einer oder, nach Merck, zwei Personen? Was aber sind deren Kriterien? Nach Mercks Darstellung stützen sich die Berliner Festspiele auf die Vorschläge ausscheidender Juroren (allerdings kein Wunder, wenn da Theater heute auf Theater heute folgt, Stichwort "Erbsitz") bzw. möchten sich seit Neuestem sogar einfach nur noch auf die Namen großer Medien verlassen. Ist es tatsächlich so, dass auf diese Weise die Leute ausgesucht werden, die (in einem offensichtlich ebenfalls nicht ganz unproblematischen Verfahren, laut Jörder z.B. nur mit begrenzter "Lust am Pfadfindern zwischen Jena, Graz und Luzern") dann über die "herausragenden" Inszenierungen entscheiden?
Ist ja alles gut und schön. Das kann man so machen. Das kann man wichtig finden oder nicht. Aber als repräsentativ, als stellvertretend für die deutschsprachige Theaterlandschaft darf die Theatertreffen-Auswahl dann ja wohl kaum gelten.
Allerdings wird ihr immer wieder dieser Status zugemessen. Z.B. von (ebenfalls Ex-Juror) Peter Michalzik in der FR, der findet, das Theatertreffen sei "die wichtigste Überblicks- und Spitzenveranstaltung der größten Theaterlandschaft der Welt", es seien "zehn Aufführungen, die zum besten einer Theaterszene gehören, um die die Welt, und nicht nur die des Theaters, Mitteleuropa beneidet". Zudem beklagt Michalzik, dass das Theatertreffen trotzdem "für die deutschsprachige Selbstwahrnehmung nicht den Stellenwert" habe, den es haben könnte, da z.B. Regisseure wie Gosch und Thalheimer (häufige Theatertreffen-Gäste) immer noch nicht in einer Liga mit Stein, Zadek, Peymann, Bondy gesehen würden. Für Michalzik wird das Theatertreffen also noch gar nicht wichtig genug genommen.
Die deutschsprachige Theaterlandschaft, von deren Qualität Michalzik u.a. die Legitimität des Theatertreffen-Ruhms ableitet, ist nicht nur eine der größten, sondern auch eine der vielfältigsten der Welt. Und gerade diese Vielfalt müsste in einer Auswahl mit Repräsentations-Anspruch auch zur Geltung kommen. Wie aber ist dies möglich, wenn es stimmt, dass die Juroren tatsächlich kaum durch die Provinz oder auch mal die Off-Szene tingeln? Es scheint, als würde bei einem solchen Vorgehen gerade das Charakteristische der hiesigen Theaterlandschaft verloren gehen.
Soll das Theatertreffen tatsächlich so wichtig sein, wie Michalzik es machen möchte, dann muss man auch die Auswahlkriterien der Berliner Festspiele, was die Juroren betrifft, und der Juroren, was die Inszenierungen betrifft, genauer hinterfragen dürfen.
Es könnte beruhigen, wenn Jörder meint: "Wer am besten argumentiert, gewinnt". Andererseits räumt er auch ein, dass die Jury durchaus taktische Überlegungen anstellt: "was haben wir insgesamt eingeladen, was passt zusammen?" Jörders Wunsch, dass auch "Streitfälle, Ungewöhnliches, nach vorn Weisendes" eingeladen werden sollte, hat die Jury immerhin mit Signa befolgt. Ansonsten passt das alles halt ziemlich gut zusammen.
der Bilder und Gefühle" (LVZ März 2007), "Als Bilderfinder ist Sebastian Hartmann ein Ausnahmetalent" (T.Briegleb 2007), "Hartmann ist ein großer Erfolg!" (SPD Bornheim) usw. Aber was trage ich Eulen nach Athen... dem Kartell der Mittelmäßigen kommt man nicht mit Argumenten bei, sondern mit Gleichmut.
wer derlei argumente gegen das theatertreffen auffährt, der ist doch letztlich keinen deut besser als die von ihm (wenn auch aus anderen gründen) angeprangerten juroren!
kennen Sie den Fall Niggemeier? Der Medienjournalist Stefan Niggemeier wurde gerichtlich verurteilt, weil er einen Kommentar, der justiziabel war, nicht rasch genug von seiner website gelöscht hatte.
Auch nachtkritik.de ist verantwortlich für die Inhalte der Seite. Das schließt Kommentare von anonym bleibenden Zeitgenossen mit ein, die unwahre oder möglicherweise unwahre Behauptungen enthalten.
Der von Ihnen vermisste Kommentar musste von uns gelöscht werden, weil wir nicht ausschließen konnten, dass er unzutreffende Behauptungen enthielt.
vielen Dank für die Aufklärung. Versuche mal, das zu verstehen und denk mir meinen Teil. War vielleicht ein zu heißes Eisen.
Gruß, Lothar
Und es ehret der Knecht nur den Gewaltsamen;
An das Göttliche glauben
Die allein, die es selber sind !
(Hölderlin)
Da man annehmen kann, dass eine Wiedergabe der Nachtkritik-Redaktion unlieb ist (schließlich hat sie ihn - zu Recht oder Unrecht - gelöscht bzw. musste ihn löschen), nur so viel: Es ging um Hintergründe und Hintermänner, die die Jury-Zusammensetzung und dementsprechend auch die Theatertreffen-Auswahl mit beeinflussen. Ob die dort dargestellten Zusammenhänge nun den Tatsachen entsprechen oder unhaltbare Behauptungen sind? Da bedürfte es gründlicherer Nachforschung. Allerdings scheint mir der Inhalt zumindest in Teilen nicht unwahrscheinlich (das ist allerdings Spekulation, da ich eben nicht selbst nachgeforscht habe) und - wenn man den Recherche-Aufwand betreiben will - auch nachweisbar.
Gruß, Lothar
P.S.: Es sei der Redaktion freigestellt, diesen Kommentar zu löschen.
So definieren die Berliner Festspiele das Theatertreffen auf ihrer Homepage als „das bedeutendste deutsche Theaterfestival“ und „Leistungsschau des deutschsprachigen Theaters“. Deren „Herzstück“ seien die zehn „bemerkenswertesten Inszenierungen“. Diese würden alljährlich von einer „unabhängigen Kritikerjury aus rund 400 Aufführungen der Saison ausgewählt“.
Leider finden sich, zumindest meiner Surf-Fähigkeit nach, nirgendwo auf der Homepage Angaben zu den hier angesprochenen Fragen nach Auswahl der Juroren und der Inszenierungen, etwa ein Statut oder ähnliches.
Am Superlativ des ‚Bedeutsamsten’ ist ersichtlich, welch außerordentlich HOHE BEDEUTUNG die Berliner Festspiele dem von ihr ausgerichteten Theatertreffen und damit auch sich selbst zuschreiben.
Diesem selbst geschaffenen Anspruch an Bedeutsamkeit, der von den Medien ja übrigens kaum hinterfragt, sondern vor allem fortgeschrieben wird (jüngstes und exemplarisches Beispiel: Peter Michalzik), entspricht der (nicht zuletzt in diesem Forum laut werdende) hohe Informations- und Diskussionsbedarf bezüglich Zusammensetzung der Jury und Auswahl der Inszenierungen. Nach dem Motto: Wenn dort in Berlin tatsächlich entschieden werden soll, was vom deutschsprachigen Theater am bedeutsamsten ist, möchten wir wenigstens wissen, wer das wie und unter welchen Bedingungen entscheidet.
Das einzige explizit hier benannte Kriterium für die Auswahl heißt „BEMERKENSWERT“ – was aber heißt das? Wie bemisst sich die „LEISTUNG“, die man dann in Berlin schauen darf?
Das hat wohl jede Jury / jedes Jury-Mitglied für sich bzw. in Auseinandersetzung mit den anderen Juroren und auch angesichts der wohl kaum an einem einheitlichen Maßstab zu messenden Inszenierungen neu zu definieren.
Wünschenswert wäre allerdings, wenn die angelegten Maßstäbe und Definitionen des ‚Bemerkenswerten’ und der ‚Leistung’ von der Jury so weit als möglich transparent und damit auch für die Öffentlichkeit nachvollziehbar gemacht würden. Weil man es hier mit der Beurteilung von Kunst zu tun hat, ist dies zwar überaus schwierig und verwickelt, sollte aber wenigstens versucht werden. Außerdem könnte man meinen, das Begründen eines über Kunst gefällten Urteils gehöre ganz wesentlich zum Job des Theaterkritikers.
Des Weiteren wird die UNABHÄNGIGKEIT der in der Jury sitzenden Theaterkritiker erklärt, deren Entscheidungen also in keiner Weise von den Berliner Festspielen oder anderen Institutionen, Medien, Interessen beeinflusst werden soll. Das klingt zwar utopisch, ist aber selbstredend erstrebenswert.
Überdies ist die angegebene Anzahl der fürs Theatertreffen gesichteten Inszenierungen sehr hoch – und da müsste nach Adam Riese eigentlich auch einiges an Provinz dabei sein, was tendenziell im Widerspruch zu den Aussagen Gerhard Jörders steht. Es wird ja gesagt, dass die Juroren sich insgesamt um die 400 Inszenierungen ansehen, was heißt: 400 VERSCHIEDENE INSZENIERUNGEN - bei sieben Juroren eine ganze Menge. Rein rechnerisch müsste jeder dieser Juroren im Schnitt pro Jahr 57 Inszenierungen in seiner Region sichten sowie zusätzlich einen Großteil derjenigen anschauen, die von den anderen Jury-Mitgliedern zur Auswahl vorgeschlagen werden.
Laut Jörder sieht ein Juror bis zu 120 Inszenierungen im Jahr. Das heißt auch: ein Juror geht im Schnitt – wenn man bedenkt, dass die Haupttheatersaison 9-10 Monate dauert – drei bis vier Mal pro (Saison-)Woche allein in seiner Funktion als Jurymitglied ins Theater. Und dies laut Jörder „so gut wie ehrenamtlich“. Das kann man nicht anders als anerkennend zur Kenntnis nehmen.
Jan Bosse hingegen hat’s anders erfasst: „Das ist Mafia. Das ist Mafia im besten Sinne. Das hat eine ganz schöne, düstere Seite, die sehr mafiös ist.“ Allerdings fügt er auch hinzu: „Und es hat eine große, tatsächlich, freundschaftliche, persönliche Seite.“
Es rennen doch aber alle hin und nehmen's furchtbar wichtig. Die Feuilletons werden vollgeschrieben und hier im Forum stehen nach kurzer Zeit über fuffzig Beiträge.
Was sollte man machen? Es ignorieren? Hinnehmen, dass es eine Kungel- und Klüngel-Veranstaltung ist? Mitklüngeln? Oder dafür sorgen, dass so ein mächtiges Festival vielleicht ein bisschen seriöser abläuft?
Prof. Wirth sagte weiland (1993 - da waren Breth, T. Langhoff, Marthaler, Schleef, Castorf, Hacker, Jeker, Kresnik, Becker, Lauterbach, Haussmann (2x) eingeladen) über das TT: "diesem jährlichen Ball bei dem Grossgouverneur, zu dem die Gauleiter aus den Provinzen eingeladen werden" und attestierte "die Unfähigkeit des deutschen Theaters zur Urbanität" und gipfelt in: "Das deutsche Theater ist verstopft. ... Abfuehrmittel moechte man da empfehlen." Achja. Das Establishment. Wer anderes will, muss anderes machen, und nicht weinen. Das Schlimme ist doch, wie allueberall geschielt wird nach dem TT. Wegen Geld und Ruhm und Ehre. Achja. Gerechtigkeit am Theater. Wer sie findet oder sucht, soll hallo sagen. Theater findet nicht beim TT statt, sondern jeden Abend da, wo es ist! Vergesst das TT, wenn ihr Theater machen wollt.