zurück zur Übersicht

archiv » Theater Lübeck (20)
Theater Lübeck

2. Mai 2022. Irgendeinen Namen muss das Kind ja haben. Und "Intervention" klingt richtig wichtig und gewichtig. Wann aber wird "interveniert"? Sagen wir so: wenn irgendetwas richtig schief zu laufen droht, wenn halbe Wahrheiten oder richtige Lügen sich breit zu machen beginnen, wenn zum Beispiel im Theater toxische Töne und inzwischen verbotene Wörter die Bühne füllen… 


Theater Lübeck

Die traurigen Lieder der Ausweglosigkeit

von Jan Fischer

Lübeck, 30. April 2021. Ein einsamer, einarmiger Mann klettert in Rollschuhen die Bühne hinauf. Rollt vor der Projektion einer leeren Bühne in Richtung eines Plattenspielers. Zehn Tage nach seiner letzten Theater-Vorstellung, erzählt er, "wurde das Ghetto liquidiert". Und aus dem Plattenspieler dringt ein trauriges Lied.


Theater Lübeck

Klebrige Küsse vom Kosmos

von Jan-Paul Koopmann

Lübeck / Stuttgart / online, 6. Juni 2020. Ein normales Stück – ein frontales – hätte "Haus der Antikörper" ja eh nicht werden sollen. Da war der Schritt vom Theater zum gestreamten Kunstfilm-Doublefeature vielleicht gar nicht so gewaltig, wie andernorts für klassischere Formate. Von fünf simultan bespielten Bühnen war vorab die Rede, und von einem Publikum, das mehr oder weniger frei drumherum kreisen sollte, um zu sehen und zu fühlen, wie Viren in Körper und Gesellschaften eindringen und sie von innen auf den Kopf stellen. Dann kam ein echtes Virus, ein Kontaktverbot und aus dem ambitionierten Theaterprojekt wurden zwei knapp 40-minütige Filme: "Pandemie – Eine Wiedergängerin" und "COCOONING /kəˈkuːnɪŋ/". Gedreht wurde direkt in den Wohnungen der Darsteller*innen, in Berlin, Antwerpen, Marseille, München und anderswo.


Theater Lübeck

Gott weiß, ich will kein Engel sein

von Falk Schreiber

Lübeck, 8. November 2019. "Ich bin froh, dass ich damals nicht wusste, dass ich mir mit sechzig die gleichen verfluchten Kämpfe ansehen muss, die ich mit 29 sah", wird Autor Tony Kushner im Programmheft zitiert. 1991 wurde Kushners "Angels in America: A Gay Fantasia on National Themes" uraufgeführt, ein Sittengemälde aus der Mitte der 1980er, als die Bedrohung durch AIDS deutlich wurde, die frisch gewählte US-Regierung unter Ronald Reagan allerdings die dringend notwendige Aufklärung verschleppte, weil Reagan früh die evangelikalen Christen als Wählerbasis seiner republikanischen Partei erkannt hatte, Evangelikale, die AIDS als gerechte Strafe Gottes für blasphemische Homosexualität sahen.


Theater Lübeck

Der sexy Irre

von Falk Schreiber

Lübeck, 1. Februar 2019. Hier stimmt was nicht. Das Publikum betritt den Saal der Lübecker Kammerspiele, und schon hebt sich der Vorhang. Gibt den Blick frei auf eine abstrakt-derangierte Bühne, ein umgekipptes Pferd, ein Zelt, eine Kleiderstange, im Hintergrund eine Treppe, auf der das Ensemble lagert. Und dann schließt er sich wieder. Und öffnet sich, halb. Außerdem sind die Jalousien zur Straße geöffnet, nein, jetzt senken sie sich. Diese Inszenierung ist aus den Fugen, noch ehe sie begonnen hat. Und obwohl es nicht die originellste Idee ist, Albert Camus' "Caligula" als Auflösung der Dramenstruktur zu inszenieren, muss man zugeben, dass Mirja Biel den Einstieg zwar vorhersehbar unkonventionell aber nicht ohne Charme dekonstruiert.


Theater Lübeck

Totentanz als Turbotrip

von Katrin Ullmann

Lübeck, 30. November 2018. Aus den Karpaten kommt er, aus dem gar nicht so fernen Transsilvanien. Mit im Gepäck hat er Särge voller Erde. Und darin Ratten, die die Pest verbreiten. In einer Kleinstadt kauft er eine Ruine, saugt Menschenblut und ist selbst zum ewigen Leben als Untoter verdammt. Er, das ist Nosferatu. Die wohl bekannteste Vampirfigur nach Dracula. Und tatsächlich ist F.W. Murnaus "Nosferatu" die nicht autorisierte Filmadaption des Bram-Stoker-Geschöpfs. Die israelische, in Berlin lebende Autorin Sivan Ben Yishai hat die Geschichte des Blutsaugers jetzt in die Gegenwart geschrieben – mit "Die tonight, live forever oder Das Prinzip Nosferatu". Dass die Uraufführung des Stücks in Lübeck, einem der Hauptdrehorte des Murnau-Films aus dem Jahre 1922, stattfindet, ist Teil des Spiels: Schließlich entstand das Auftragswerk als Koproduktion zwischen dem Theater Lübeck mit den beiden Partnern Off-Theater Rampe und der Tanzkompanie backsteinhaus produktion in Stuttgart – und wurde vom Fonds Doppelpass der Kulturstiftung des Bundes gefördert.


Theater Lübeck

Jenseits des Zauberwaldes

von Falk Schreiber

Lübeck, 25. November 2017. Der Medea-Mythos ist eine Migrationsgeschichte: In Kolchis, an der Ostküste des Schwarzen Meeres, herrschen Unrecht und Grausamkeit. Priesterin Medea verliebt sich in einen Griechen, verlässt ihr Zuhause und flieht in dessen Heimat. Aber Verliebtheit zählt nicht als Asylgrund, trotz aller Integrationsmühen wird sie geschnitten, auch ihr Geliebter wendet sich ab. Am Ende stehen Wahnsinn, Mord, Chaos. "Man hat mich bös' genannt, aber ich war's nicht. Allein, ich fühl', dass man es werden kann." Integration gescheitert.


Theater Lübeck

Gebratene Gründlinge

von Tim Schomacker

Lübeck, 7. April 2017. Grinsend und klotzig hockt dieses Ding mitten auf der Bühne, ein dunkelgrauer Totenschädel. Wie trotzig aus dem Vanitas-Stillleben eines längst vergessenen frühbarocken Holländers hierher gebeamt. Überleinwand- und überlebensgroß. Und lässt stoisch Welt um sich herum kreisen. In diesem Fall die eigentümliche ländliche Guts-Welt von Tschechow. Beharrlich rieselt der Kunstschnee. Beständig folgen leise musikalische Schleifen. Beunruhigend gleichförmig dreht sich der Schädel. Er ist vielleicht vier Meter hoch, hohl und entsprechend ausgiebig be-, um- und angehbar. Irgendwie erinnert das ganze Arrangement an eine Hähnchenbraterei.


Theater Lübeck

Haben Schaltkreise Schluckauf?

von Tim Schomacker

Lübeck, 1. Mai 2015. Eigentlich ist alles ganz einfach. Es geht um Kosten- und Risikominimierung. Darum, was schlussendlich dabei herumkommt. Es geht, kurz: um die Zukunft. Und das, was man heute schon wissen kann von ihr. Prognosen also. Wie man es anstellt, möglichst präzise Voraussagen zu treffen, ist eine technische Frage. Oder eine technologische. Auswertungsmechanismen, Modelle: Big Data.


Theater Lübeck

Gang durch die Hölle

von Jens Fischer

Lübeck, 31. Oktober 2014. Mit einem schlichten "Hallo, wir kennen uns" wird ins Unspektakuläre der abzubildenden Realität eingestiegen, die üblichen Fragen, Probleme, Konflikte des Zusammenlebens. Nach "Herbstsonate" (2007, Theater Lübeck) und "Treulose" (2013, Staatstheater Braunschweig) übersetzt Anna Bergmann zum dritten Mal ein sensibilisierendes Feel-bad-movie des peniblen Ultraschallkünstlers für Seelenschmerzen, Ingmar Bergman, ins Theater: "Szenen einer Ehe" werden gespielt, einer modernen, also nicht nur scheiternden, sondern auch geschiedenen Ehe. Der Weg dahin führt durch die Hölle.


Theater Lübeck

Ist da noch Saft drin?

von Jens Fischer

Lübeck, 19. September 2014. Lässig-lümmelig sind die Darsteller gewandet, wie auf einer dezent tuntigen Motto-Party für Freunde von Shakespeares "Antonius und Kleopatra". Pitschepatschig kneippen, schreiten, rennen, fallen, sterben sie im knöcheltiefen Bühnenteich, liefern ihre Texte mit Vorliebe in Extremlagen ab, betont schrill oder unbetont melodramatisch, und verweisen mit bewusst albern inszenierten Zuspitzungen auf die hollywoodtösen Zurichtungen dieses Sujets.


Theater Lübeck

Kings in der Manege

von Jens Fischer

Lübeck, 25. Oktober 2013. Bereit stehen die Koffer der Shakespeare-Expeditionsgesellschaft für ihren Weg zu den Grenzen des Daseins, der nackten Kreatürlichkeit. Noch hocken die Forscher zischelnd, tuschelnd, murmelnd herum, vernuscheln und dimmen bis zur Unhörbarkeit leise ein paar der übermenschlich großen, existenziellen Themen des epischen Tragödienbrockens "König Lear" ins Mikrofon. Wollen ihn wohl nicht einfach nur herüberzerren auf den Erfahrungshorizont des heutigen Polit-, Beamten-, Familienbetriebs, sondern lieber schweben lassen zwischen aktuellen Bedeutungen und absolutem, zeitlosem Drama. "Welt", "Vater", "Erbe" ist zu vernehmen.


Theater Lübeck

Versuchslabor der Machtpsychologie

von Jens Fischer

Lübeck, 26. Januar 2013. Macht macht mächtig ohnmächtig – gegenüber dem, was einen sonst noch so antreibt im Leben. Hat man sie erst einmal am Schlafittchen gepackt, will man sie auch festhalten und am besten noch Extraportion ergaunern. Dabei macht Macht mächtig mobil – fördert Manipulationstaktiken, Heuchelarien, Selbstinszenierungsshows. Um den Beifall der anderen buhlen. Politik halt. Wie gerade bei der Landtagswahl in Niedersachsen, der 2013 noch die in Bayern und Hessen folgen, im Mai ist Kommunalwahl in Schleswig-Holstein, im September Bundestagswahl. Für das Theater Lübeck Anlässe genug, "Träume, Visionen und das Gift der Politik" als Spielplanmotto auszurufen. Mit "Hamlet" ging's los, nun folgte Schillers "Maria Stuart".


Theater Lübeck

altEs führt ja alles zu nichts

von Matthias Weigel

Lübeck, 23. März 2012. Man kann nur mutmaßen, wie viel Zeit Regisseur Marco Štorman in die Schauspielarbeit investiert hat. In die Schauspielstil-Arbeit genauer gesagt. Was sein Ensemble in der Lübecker "Anna Karenina"-Inszenierung macht, ist jedenfalls – besonders.


Theater Lübeck

altDer mit dem Wulff tanzt

von Eva Biringer

Lübeck, 27. Januar 2012. Eine graue Kugel auf einem grasgrünen Wohnzimmerteppich wirft Fragen auf. Aus Stein kann sie nicht sein, dafür kullert sie den Akteuren zu leicht um die Füße. Leicht genug ist sie, um sie im Schoß zu wiegen, sich daran festzuhalten oder sie hin und her zu tragen. Daneben besteht die behutsam modernisierte Bühne (Thomas Heick) aus einem Sofa, Plastikstühlen im 70er-Look und variablen Wandelementen. Wie variabel diese Wandelemente sind, führen die Darsteller zu Genüge vor. Warum auch durch die Tür kommen, wenn man gleich mit dem Wandelement ins Haus fallen kann? Warum um das Sofa herumgehen, wenn man sich auch darüber schmeißen kann?


Theater Lübeck
alt

Die Kunst, das Leben auszuhalten

von Anke Dürr

Lübeck, 28. Oktober 2011. Was für eine Story: Eine Frau verliert ihren 17jährigen Sohn, Esteban, bei einem Unfall. Sie macht sich auf die Suche nach dem Vater des Jungen, von dem sie ihm nie erzählt hat. Er hieß auch Esteban, ließ sich dann aber Brüste machen und heißt jetzt Lola. Auf der Suche nach dem Sohn nimmt die Frau einen Job an als Assistentin der Lieblingsschauspielerin ihres Sohnes und lernt eine schöne junge Nonne kennen, die von Lola schwanger ist. Die Nonne bekommt einen Sohn, nennt ihn ebenfalls Esteban und stirbt bei der Geburt. Bei der Beerdigung trifft die Frau endlich Lola, die bald darauf auch stirbt. Die Frau zieht den Sohn der Nonne groß.


Theater Lübeck
alt

Goldstaub und Asterix

von Anke Dürr

Lübeck, 9. September 2011. Yerma ist von ihrem Vater mit einem reichen Bauern verheiratet worden, den sie nicht liebt. Sie wünscht sich sehnlichst ein Kind, er will keins, was beide offenbar vor der Hochzeit nicht erörtert haben. Yerma fühlt sich einsam, nutzlos und "verdorrt", bleibt aber trotzdem bei ihrem Juan, wegen der Ehre. Federico García Lorcas Tragödie "Yerma" ist ein ziemlich altes Stück, uraufgeführt 1935, angesiedelt im ländlichen, erzkatholischen Andalusien der dreißiger Jahre.


Theater Lübeck
alt

Stolz auf die Schöpferkraft

von Ulrich Fischer

Lübeck, 15. April 2011. Niklaus Helbling siedelt seine "Amphitryon"-Inszenierung im Fiktiven an: das Bühnenbild mit viel Pappmaché und die Kostüme (Dirk Thiele/Luisa Beeli) wie die Musikzitate (Felix Huber) erinnern an Hollywood-Filme, die in Nordafrika spielen. Amphitryon wie Jupiter ähneln englischen Kolonialoffizieren, Sosias und Merkur sehen aus wie Sergeants.


Theater Lübeck

Wie der Teufel unter die Krämer fiel

von Ulrich Fischer

Lübeck, 17. Oktober 2010. "Doktor Faustus" ist einer von Thomas Manns großen Romanen. John von Düffel musste deshalb mächtig den Rotstift schwingen, um dieses umfangreiche Meisterwerk der Exilliteratur für die Bühne zu bearbeiten: das Herkommen von Adrian Leverkühn, dem (Anti-)Helden des Romans, dem Doktor Faustus, wird geopfert, die Kindheit, fast die ganze Jugend, die Erörterung des Kosmos und und und. Dennoch gelingt es Düffel, das Wesentliche zu bewahren – er ist eben Literaturwissenschaftler und weiß, den großen Bogen zu erhalten und auch den unverwechselbaren hohen Ton. Fast der gesamte Dialog ist wörtlich Manns Text entnommen – eine vielversprechende, höchst anspruchsvolle Vorlage für das Theater.


Theater Lübeck

Wenn der Banker auf Indianer trifft

von Michael Laages

Lübeck, 4. Februar 2010. Zu dumm – wieder mal reingefallen. Wieder mal hat das Theater eine Spur ausgelegt, auf deren Leim wir dann gegangen sind. Aber dem Theater in Lübeck, fernab aller Prominenz auf Hauptstraßen und Trampelpfaden aktueller Theaterbetriebsamkeit, ist derlei Bauern-, in diesem Fall Pressefängerei, ja nicht einmal wirklich übel zu nehmen – was kann es sonst schon tun, damit die eigene Arbeit ab und an wahrgenommen wird über den Wirkungskreis lokaler, bestenfalls regionaler Berichterstattung hinaus?


zurück zur Übersicht