Amerikanischer Alptraum

von Valeria Heintges

Zürich, 22. Oktober 2020. "Ich begann meinen Winterschlaf Mitte Juni 2000. Ich war 26 Jahre alt." Wenn Alicia Aumüller als namenlose Ich-Erzählerin im Zürcher Pfauen diese ersten Worte spricht, sitzt sie schon im Müll ihrer Essensbestellungen. Zunächst liess sie alle Schönheitsmittelchen weg, dann blieb sie in der Wohnung, und jetzt will sie ein Jahr verschlafen. Der Job wurde ihr praktischerweise gekündigt, Geld spielt ohnehin keine Rolle mit der Wohnung an der Upper East Side, den Aktien und der Platinum-Visacard. Die grosszügige Psychiaterin Dr. Tuttle verschreibt die nötigen Beruhigungs- und Schlafmittel für die geplante Weltflucht. Dafür findet sie immer neue Platzhalter – mal dienen Blätter der Zimmerpflanze als Medikament, dann wird das starke Mittel in Form einer Diskokugel gegeben oder werden Schlittschuhe über die Theke gereicht.

Zitat-Reigen

Am Ende wird die Schläferin ein "Jahr der Ruhe und Entspannung" verlebt haben, wie die amerikanisch-iranisch-kroatische Autorin Ottessa Moshfegh ihren dritten, sehr erfolgreichen Roman genannt hat. Den hat die amerikanisch-litauische Regisseurin Yana Ross, die zum Regieteam des Schauspielhauses Zürich gehört, im Pfauen auf die Bühne gebracht. Als Reigen voller Lebensekel, verkorkster Figuren und mit massenweise Zitaten aus der amerikanischen Populärkultur. Kaum einer wird alle Filme erkennen, die zitiert werden, von "Indiana Jones" über "Shining" bis "Dirty Dancing" oder "9 ½ Wochen". Samt Filmmusik und teils mit in playback gesprochenen Original-Texten.

MeinJahr7 2000 Zoe Aubry uLena Schwarz, Henni Jörissen, Alicia Aumüller © Zoe Aubry

Auch historisch ist der Roman stark in den USA verwurzelt, endet er doch mit den Terroranschlägen von 9/11, bei denen Reva, die Freundin der Schläferin, ums Leben kommt. Es ist der ultimative Einbruch der Realität in die Traum-, Schlaf- und Kunstwelt, wenn die Protagonistin meint im Fernsehen erkennen zu können, wie Reva aus dem 78. Stockwerk in die Tiefe stürzt und sie den Todessprung zynisch als "wachen Sprung ins Ungewisse" deutet.

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