Verschweigen wir den Titel

von Valeria Heintges

Zürich, 2. Oktober 2020. Wahrscheinlich wird man dem Abend am besten gerecht, wenn man vergisst, welchen Titel er trägt. Wenn man hingeht und schaut, was einem da geboten wird. Und das ist eine Menge. Sieben Jugendliche, die sich die Seele aus dem Leib spielen. Die sich – mit Ensembleschauspieler Matthias Neukirch an ihrer Seite – zum zweiten Mal innerhalb weniger Monate ein Stück in den Schädel und den Körper gepaukt haben, das sie dann – Laien allesamt – im ehrwürdigen Pfauen des Zürcher Schauspielhauses aufführen. Sie hatten die Sache nämlich schon mal fertig. Dann kam der Lockdown, später die Abstands- und Hygieneregeln. Neukirch verkörpert jetzt als einziger Profischauspieler "die Erwachsenen". Denn seine Kollegen Thelma Buabeng und Thomas Wodianka wurden von Corona von der Bühne vertrieben – zu viele Schauspieler auf zu kleinem Raum. Zu sehen ist daher eine Inszenierung mit viel Distanz und Orgien voller Desinfektionsmittel.

Auf der großen Bühne

Den Jugendlichen stand Suna Gürler zur Seite, Hausregisseurin und Chefin des Jugendtheaters, das in den großen Spielplan integriert wird. Der Abend, dessen Titel hier noch eine Weile verschwiegen werden soll, ist Teil dieser Integration. Er zeigt, dass es schwierig sein kann, wenn sich die auf Jugendliche getrimmten Arbeiten auf der großen Bühne behaupten sollen.

Frühlings Erwachen 2 600 Zoé AubrySie reden über Sex: Elmira Oberholzer, Matthias Kull, Dominik Schüepp, Orell Bergkraut © Zoé Aubry

Die sieben Jugendlichen und Matthias Neukirch also haben ein Thema, das ihnen auf dem Herzen brennt. "Mir müend rede", sagen sie, wir müssen reden. "Über Sex." Zudem sei, so die These, "en autobiographische Asatz sowieso viel zitgemässer". Für diesen zeitgemässen Ansatz hat ihnen Lucien Haug, basierend auf und sich entwickelnd im Probenprozess, einen Text geschrieben, der – jetzt muss es doch raus – "Frühlings Erwachen" heißt. Durchgestrichen. Denn von Wedekinds Skandalstück bleiben außer seinem Grundthema nur ein paar Personenkonstellationen übrig. Dabei verbindet das Werk gerade mit Zürich eine lange Geschichte, hat Wedekind doch hier den Entwurf verfasst, es hier auf eigene Kosten veröffentlicht, nachdem ein Berliner Verlag sich doch nicht traute. Und wurde doch hier noch im Jahr 2009 (!) ein Lehrer an der Kantonsschule Rämibühl verklagt von der Mutter einer Schülerin. Wegen Pornographie und der Weitergabe pornographischen Materials – auch weil er Wedekinds Werk als Schullektüre gewählt hatte. Zwei Jahre musste er mit dem Verdacht leben, ehe er freigesprochen wurde.

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