Vor Einbruch der Nacht

von Michael Wolf

Berlin, 30. November 2019. In Wolf Haas' Buch "Das Wetter vor 15 Jahren" sieht der Autor als Kind mit seiner Tante fern. Immer wenn die Figuren der TV-Schnulzen allzu klischiert oder die Plots unwahrscheinlich gestrickt erscheinen, sagt die kluge Tante: "Sonst wär's kein Film." Diese Weisheit würde auch gut zu Anne-Cécile Vandalems Abend "Die Anderen" passen. Einiges an ihrer aberwitzigen Geschichte muss – und sollte – man einfach hinnehmen, um sich den Spaß nicht selbst zu verderben. Es lohnt sich.

Dorf mit Schamanin

Die belgische Regisseurin reüssiert an der Berliner Schaubühne mit einem Thriller. Die Handlung spielt im Jahr 2023 in einem abgelegenen Dorf irgendwo in Europa. Die Gegend ist Transitregion für Flüchtlinge, die vor den Waldbränden im nicht näher benannten Süden fliehen. Einen solchen Flüchtling mit Namen Ulysses (Bernardo Arias Porras) fährt die Hotelbesitzerin Alda (Jule Böwe) mit ihrem Wagen an. Kurzerhand verbirgt sie den Verletzten im Hotel, Ulysses erholt sich und lernt mit der Zeit die eigenwillige Dorfgemeinschaft kennen. Alda pflegt angeblich ihren kranken Sohn, der aber gar nicht zu existieren scheint. Die Lehrer-Witwe Marge (Stephanie Eidt) erkennt in Ulysses ihren Mann und weiß selbst nicht so recht, ob sie ihn nun verführen oder umbringen will. Dazu streunt eine mit Tierfällen umhüllte Schamanin (Ruth Rosenfeld) umher.

DieAnderen2 560 ArnoDeclair uLehrerwitwe und Bürgermeister, zwei Spielarten am Rande des Wahnsinns: Stephanie Eidt und Felix Römer © Arno Declair

Ein düsteres Geheimnis scheint das Leben im Ort zu lenken. Als der Flüchtling droht, es aufzudecken, verschwindet er plötzlich spurlos. Einige Zeit später kommt eine Sozialpädagogin auf der Suche nach ihm ins Dorf – und befindet sich bald in höchster Gefahr. Man darf hier nicht zu viel verraten, ist diesem im besten Sinne abgedrehten Abend doch ein zahlreiches Publikum zu gönnen. Nur soviel: Ein Verbrechen traf das Dorf hart. Man machte einen Ausländer, einen "Anderen" verantwortlich. Die Zivilisation erwies sich als nicht stark genug, nun halten archaische Riten die Gemeinschaft zusammen.

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