Ranzige Demokraten

von Esther Slevogt

Berlin, 23. November 2018. Der Faschist, das ist an der Berliner Schaubühne ein strahlendes Bürschchen. Er schaut unterm gelockten Blondschopf träumerisch in die Ferne. Zum Beispiel dorthin, wo das Kriegerdenkmal steht – in der fiktiven Provinzstadt hinter den sieben Bergen, wo dieses "Volksstück in sieben Bildern" spielt, wie Ödon von Horváth im Untertitel sein Drama "Italienische Nacht" genannt hat. Die strahlend weißen Zähne des Jünglings, der schon bei Horváth keinen Namen hat, schimmern wie in der Zahnpasta-Werbung.

Gerade noch hat der von Laurenz Laufenberg verkörperte kleine Nazi der jungen Anna alias Alina Stiegler kindlich-verdruckst was von Idealen und geheimen Verschwörungen vorschwadroniert, da wird sie auch schon von ihm vergewaltigt. Kurz darauf sieht man ihn ein verpunkrocktes Nazilied schreien: im Gasthaus Lehninger, das die örtliche Rechte hier für eine Zusammenkunft nutzt. Im Halbdunkel zucken finstere Leiber beim Pogo. "Deutschland erwache!" singt krächzend der kleine Nazi mit beängstigendem Organ. Und ähnlich finstere Parolen, die teilweise den AfD-Frontmännern Alexander Gauland und Björn Höcke abgelauscht sind.

ItalienischeNacht2 560 Arno Declair uDas Gasthaus Lehninger (Bühne: Nina Wetzel). Alina Stiegler (Anna), Sebastian Schwarz (Martin) © Arno Declair

Eigentlich wollten die örtlichen Demokraten im Gasthaus eine eigene Veranstaltung machen, nämlich die titelgebende "Italienische Nacht". Nun müssen sie für ein paar Stunden den Laden räumen, damit hier die Nazis rocken können. Erst dann kann die Reichskriegsflagge gegen spießige Girlanden in italienischen Nationalfarben ausgetauscht werden und die Provinzkombo "Die Ricardos" zum Schwoof der ranzigen Demokraten mit ihren aufgebrezelten Gattinen aufspielen.

Um diese Kämpfe um das Gasthaus als Veranstaltungsort für konkurrierende Interessensverbände herum hat Horváth 1930 sein Stück gebaut. Im Mikrokosmos dieses Ortes und seiner Gäste malt er damit ein milieustarkes Zeitbild der zersplitterten demokratische Kräfte vor dem Hintergrund des aufkommenden Faschismus, die sich untereinander in Richtungskämpfen aufreiben und zerfleischen, statt sich gegen die Nazis zwecks Verteidigung der Demokratie zu verbünden.

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