Die totale Demokratie

von Sascha Ehlert

Berlin, 5. November 2017. Wer mit Milo Rau die Welt verändern möchte, braucht stabiles Sitzfleisch. Der an der Berliner Schaubühne (nach Lenin) zweite Teil von Raus Beschäftigung mit Revolutionen und der Suche nach einer Welt, die besser ist als "die beste aller möglichen Welten", dauerte insgesamt gute zwanzig Stunden. Zwanzig Stunden, die sich selbst als Initiation einer demokratischen Revolution gerierten – unter dem Namen "General Assembly", wie bei den Vereinten Nationen.

Am Freitagabend ist der Saal 1 der Schaubühne am Lehniner Platz fast bis auf den letzten Platz gefüllt. Auf den Rängen sitzt das Eintritt zahlende Publikum, ganz vorne ist mit blauen Kordeln ein Bereich abgetrennt. Dort sitzen die (nicht demokratisch gewählten) Mitspieler, die in Raus Schauspiel die Rolle von Abgeordneten einnehmen. Auf der Bühne wiederum sitzt das Präsidium, das durch die sieben Sitzungen des Wochenendes führt. Außerdem treten auf: Stenografen, politische Beobachter, Übersetzer und Kamerateams. Letztere filmen zunächst, wie Jo Seoka, ehemaliger Bischoff von Pretoria, vom schmucklosen Rednerpult hinab salbungsvoll in den Raum hinein spricht, bevor er das Wort an die von den Abgeordneten gewählte Präsidentin dieses Weltparlaments abgibt. Kushi Kabir war eine der ersten NGO-Aktivistinnen Bangladeschs, wo sie seit mehr als 40 Jahren nicht nur für die Rechte von Frauen eintritt. Der zentrale Satz ihrer auf Englisch gehaltenen Rede: "What we want is democracy for everyone and anything."

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