Gesellschaft im Verzug

von Alexander Jürgs

Mannheim, 15. Dezember 2017. Die Stimme kommt aus dem Dunklen. Sie klagt, sie zeigt die Angst. Es ist ein Sohn, der da spricht, ein Sohn, dessen Vater sich, aus welchem Grund auch immer, selbst angezündet hat, ein Sohn, der sich nun nicht in dieses Krankenhauszimmer traut, in dem der Vater liegt. Eine Hautpartikelwüste nennen die Ärzte den Körper des Mannes. Verbrannt auf Stufe drei. Während David Müller den Monolog dieses Sohnes spricht, entzündet er Streichholz um Streichholz. Das Feuer lodert, erhellt sein Gesicht.

Das Feuer ist das eine Bild, das andere ist das Eis. Ein Zug fährt in Thomas Köcks Stück "paradies spielen (abendland. ein abgesang)" ohne Halt durch eine Winterlandschaft. Auf eine Wand aus Papier werden die Videobilder, die das Gleisbett, die vorbeirasende Strecke zeigen, projiziert. Erst sind es schneebedeckte Bäume, später kristalline Eisklötze. Die Passagiere in diesem Zug treten in albernen Tierkostümen auf: ein rosafarbener Bunny, ein Käpt'n-Blaubär-Verschnitt, eine Füchsin, ein Waschbärpärchen im Trachten-Look. Als sie merken, dass ihr Gefährt, das der Autor den "ewigen ice der spätmoderne" nennt, Bahnhof um Bahnhof passiert, ohne zu stoppen, packt sie die Panik. Ein Zug, der ungebremst ins Verderben rast: Das ist ein nicht selten gebrauchtes (und auch nicht gerade subtiles) Bild für eine Gesellschaft, die die Gefahren der Klimakatastrophe stoisch ignoriert.

Paradiesspielen3 560 Christian Kleiner hNicht ganz auf Gleis: Anne-Marie Lux, Reinhard Mahlberg, Ragna Pitoll, Julius Forster, Carmen Witt.
© Christian Kleiner

Überhaupt geizt Thomas Köck in seinem Stück nicht mit mächtigen Bildern und Metaphern. Da ist die illegale Textilfabrik in Prato in der Toskana – Arbeitgeber für unzählige, chinesische Migranten –, die in Flammen aufgeht. Vielleicht war ein rechtsradikaler Anschlag dafür verantwortlich, vielleicht die Missachtung von Sicherheitsstandards. Da ist ein Chor, der die Verrohung der Gesellschaft illustriert, der von starken Grenzen und einem Ende der Freiheit träumt, der das Denken und Hetzen derer, die Köck als "hasskommentarspaltenattentäter" bezeichnet, aufzeigt. Köcks Stück, der dritte und letzte Teil einer "Klima-Trilogie", ist ein wütender Blick auf die Gegenwart, ein überspitzes Lamento, ein erstaunlich kämpferischer Text. Das tut gut.

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