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Jenseits des Aufstands

von Sarah Heppekausen

Essen, 21. Oktober 2011. Rot – das ist die Farbe der Könige, Kardinäle und Kommunisten. Rot protzt auch die Bühne im Essener Grillo-Theater. Ein Revolutionsrot, das kompromisslos linke Signale sendet. Ein RAF-Rot, gesättigt durch den Muff von mindestens 40 Jahren, und deshalb nicht mehr zeitgemäß. Also weg damit.

Für Regisseur Hermann Schmidt-Rahmer hat das Wort Revolution heute allenfalls noch Werbewirksamkeit. Zu Beginn seiner Inszenierung von Elfriede Jelineks "Ulrike Maria Stuart" sitzen die Schauspieler noch am langen roten Tisch, warten wie bei einer Pressekonferenz auf Fragen aus dem Publikum, wollen dann im überheblich-anbiedernden Ton mit Phrasen zwischen Politik, Produktion und Privatleben provozieren und müssen schließlich mit ansehen, wie die Basis ihre Bühne leerräumt. Die Techniker lüften den Tisch und ziehen das große Stofftuch mitsamt den klugen Köpfen von Marx bis Mao ab. Deren Theorien sind verstaubt, der Demonstrationswillige von heute liest Stéphane Hessels "Empört Euch!" oder "Der kommende Aufstand". Und das Rot weicht einem frischeren, hip-grellen Pink.

Der Aufstand beginnt mit Mittagessen

Dieses Pink tönt nicht nur einen gewellten Laufsteg, den Bühnenbildner Thilo Reuther zu Massenmobilisierungen und Modenschauen in die Publikumsreihen hineinragen lässt. Es ist auch die Hauptfarbe des aktuellen Spielzeithefts. Im Grußwort propagiert dort Intendant Christian Tombeil die Suche nach den Keimzellen des Widerstands. Schauspieler Stefan Diekmann zitiert ihn in der Inszenierung, während er als Kind der ersten RAF-Generation im Bälle-Paradies der Warenwelt nach seiner Mutter Ulrike Meinhof fragt. Und mit seiner Schwester den Begriff Aufstand ergoogelt. "Der Aufstand beginnt dieses Jahr um 13:30 Uhr mit einem Mittagessen", liest er da zum Beispiel.

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  "Ulrike Maria Stuart": Familienaufstellung mit Ingrid Domann, Christian Kerepeszki, Bettina
  Schmidt, Sven Seeburg und Silvia Weiskopf. Foto: Matthias Stutte

 

Widerstand ist zwecklos, wenn der Gegner fehlt. Aufstand ein absurdes Aufbegehren zur Selbsterfahrung, wenn die Illegalität ausgestorben ist. "Komm, jetzt schieß mir ein Auge aus, Wasserwerfer", brüllt Diekmann ins Publikum. Es ist ein Aufmerksamkeitsdefizitsyndrom, das ihn antreibt. Parolen wie "Wir sind das Volk", "Wehrt Euch" oder "Wer hat uns verraten, Sozialdemokraten" sind dermaßen durchgekaut, dass er sie bloß noch auskotzen kann. Geschichtsmüll, der sich im Plastikeimer entsorgen lässt.

Occupy Essen-Bredeney

Für Elfriede Jelinek war die radikale RAF-Mission gegen das Schweinesystem Kapitalismus genauso zum Scheitern verurteilt wie der Versuch einer Versöhnung von Schillers Dramenfiguren Maria Stuart und Elisabeth I.. Sie schließt in ihrem Stück die vier Frauen Ulrike Meinhof, Gudrun Ensslin, Maria und Elisabeth zum Königinnendrama um Macht und Männer, Konkurrenz und Anerkennung kurz. Für Schmidt-Rahmer ist auch die aktuelle Wutbürgerei ein aussichtsloses Unterfangen. Ein Aufruf zur Demo in Bredeney – Essens reicher Süden – inklusive Revolutions-Starterkit mit (Grill-)Anzündern läuft ins Leere. Bis auf zwei, drei neugierige – vielleicht auch demonstrationslustige oder gelangweilte – Zuschauer folgt niemand den bemützten und beparkaten Schauspielern aus dem Saal. Widerstand um des Widerstands willen ist eben lächerlich.

Schmidt-Rahmer spinnt Jelineks assoziatives Netz aus Diskursfeldern weiter. Er lässt Sven Seeburg mit €uropa-Emblem auf dem Anzugrücken (Kostüme: Michael Sieberock-Serafimowitsch) den "new left idea award" aushauchen, die Souffleuse in Geiselhaft nehmen (wenn es sonst keine Feinde gibt), Stefan Diekmann einen Film mit dem Titel "Gudrun oder was ziehen wir an, wenn wir Kaufhäuser anzünden" drehen und Silvia Weiskopf die Bühnenarbeiter um Rebellion anflehen. Die Protestler von heute erobern sich ein Stammheim als Kletterwand, Guerilla-Climbing sozusagen. Mal karikiert er, mal banalisiert er, klatscht dem Publikum die Phrasen wie populistische Demoplakate ins Gesicht.

Marionetten der Geschichte

Am Schluss lässt er Gudrun (Silvia Weiskopf) und Ulrike (Bettina Schmidt) im Königinnenstreit dann erstaunlich aktionslos debattieren. Die Schauspielerinnen bewegen sich kaum auf der jetzt weiten, fast leeren Bühnenfläche. Sie schauen sich nicht an, ansichts- und aussichtslos reden sie sich zu Tode, fuchtelnd-fauchend die eine, liebenswert-säuselnd die andere. Dann hängen sie leblos im Bühnenraum, werden am Seil heraufgezogen und herabgelassen wie ewige Wiederkehrer, wie Marionetten der Geschichte. Auch das ist mehr komisch als tragisch.

Einen Theaterskandal wie mit seiner Düsseldorfer Jelinek-Inszenierung von "Rechnitz" im vergangenen Jahr wird Schmidt-Rahmer in Essen wohl nicht auslösen. Dafür ist der Abgesang auf politische Handlungsfähigkeit trotz bitterer Pointen viel zu bekömmlich. Dicht, witzig und selbstironisch präsentiert sich der Abend, aber nicht böse. Es ist ein bisschen wie mit der Farbe Pink, auffällig aber unblutig. Gute Werbung eben.

 

Ulrike Maria Stuart
Königinnendrama von Elfriede Jelinek
Regie: Hermann Schmidt-Rahmer, Bühne: Thilo Reuther, Kostüme: Michael Sieberock-Serafimowitsch, Dramaturgie: Carola Hannusch, Video: Matthias Lippert.
Mit: Stefan Diekmann, Ingrid Domann, Christian Kerepeszki, Bettina Schmidt, Sven Seeburg, Silvia Weiskopf.

www.schauspiel-essen.de

 

Andere Aufführungen von Ulrike Maria Stuart: Im Mai 2007 besprach Esther Slevogt die Inszenierung von Nicolas Stemann in Berlin. Und Gerhard Zahner die Konstanzer Version von Samuel Schwarz im März 2011.


Kritikenrundschau

Martina Schürmann schreibt für die Westdeutsche Allgemeine Zeitung (24.10.2011): Hermann Schmidt-Rahmer inszeniere "ohne vordergründige Provokation und spektakelnde Regiemätzchen mit sechs gut aufgelegten Akteuren im aufrechten Kampf gegen die Macht des Kapitals und Jelineks Sprachlawinen". Dabei stecke viel Aktualität in Jelineks "Strom von Zitaten, Anspielungen, Assoziationen und Konnotationen", der zudem mit neuem Material angereichert werde. "In dieser nach Aufmerksamkeit heischenden Quasseltruppe linker Weltverbesserer sollen wir Wutbürger von heute uns ruhig wiederfinden."

Ein "großer einhelliger Erfolg" sei diese Arbeit geworden, so berichtet Ulrike Gondorf in der Sendung "Mosaik" auf WDR 3 (24.10.2011). Schmidt-Rahmer stelle an Jelineks Terrorismus-Stück die Frage nach dem "Antikapitalismus" in dem Mittelpunkt: Der Terrorismus "war ja eine linke Revolte gegen die Banken, gegen die Besitzenden und so was hat natürlich eine tolle Aktualität heute", so die Kritikerin. Schmidt-Rahmer habe das Stück über weite Strecken als "Showveranstaltung, als sehr direkten Dialog zwischen Bühne und Publikum inszeniert" und es mit neuem Textmaterial zum heutigen  Wutbürgertum angereichert. Durch die Vitalität des Ensembles, das der Kritikerin ausgesprochen gut gefallen hat, werde das Publikum regelrecht "aufgemischt". Gegenüber dieser Lebendigkeit falle dann der "feierliche Schluss" des Stückes mit der Konfrontation der Königinnen Elisabeth und Maria Stuart (alias Gudrun Ensslin und Ulrike Meinhof) und dem Auftritt des Todesengels ein bisschen "steif und statuarisch" aus.

Auch Britta Helmbold stimmt in den Ruhr Nachrichten (25.10.2011) in das allgemeine Lob ein und gerät über "eine überzeugende Inszenierung und das wunderbare Ensemble" ins Schwärmen: Munter mische Schmidt-Rahmer Passagen aus dem knapp 100-seitigem Textkonvolut mit seinen stimmigen Einfällen, ohne das der Jelinek-Sound verloren gehe. Im Wörterstrom verlören die einsatzfreudigen Mimen nicht den für die Autorin typischen Humor, "wohl aber textgetreu den Faden."


Kommentare  
#1 Ulrike Maria Stuart, Essen: Strampeln ohne realen Gegnerrobert 2011-10-24 12:34
irgendwie sind auch diese krampfpointen am ende von kritiken recht rosa, "gute werbung eben" ...
ich habe den abend auch gesehen und kann bis dahin manchem folgen. wäre nur bereit und willens, dem regisseur zuzutrauen, zu wissen, was er warum tut. vielleicht ist selbstironie, eine gewisse ratlosigkeit, strampeln ohne realen gegner, ja genau das, was gefangen hält. und das inszenatorisch auf den punkt zu bringen, ist, bei allem witz - auch böse ...
#2 Ulrike Maria Stuart, Essen: WerbejingleAlma Ater 2012-01-12 01:14
"Ich möchte seicht sein"

Das Problem ist doch, dass sich hier die regie ausnahmsweise mal herausnimmt, sich mit der dramaturgie von frau jelinek auseinanderzusetzen, anstatt die schauspieler wahllos mit perücken und jelinekmantel auszustatten, um schließlich ein massaker mit Politikermasken und zahllosen, unmotivierten Ausbrüchen zu starten. Anstatt die Unmöglichkeit den Text zu spielen zu zelebrieren wie es dem etwas denkfaul gewordenen Bildungsbürger entgegenkäme, tut man etwas, was ich in einer jelinek-inszenierung ehrlich gesagt noch nie gesehen habe: Man bleibt am Text und an der Dramaturgie . Dass die Spieler in der Lage sind das Gesagte zu denken(bzw. gedanklich anzuknüpfen) und nicht bloß durch Ausdruck und Inszenierung auszustellen scheint mir bei einem Jelinek-Text doch recht selten. Und ganz im ernst: Wen will man mit dem Abgesang auf die Linke noch schockieren? Dass Thema selbst ist doch ein Werbejingle, der sich in die Köpfe der Intelligenz gebohrt hat.
#3 Ulrike Maria Stuart, Essen: reine TechnikMichael 2012-01-12 12:14
Welchen Sinn macht es, soviel Text in ein Stück zu packen, dass kaum ein Zuhörer folgen kann? Möglichst viele Worte in möglichst kurzer Zeit zu sprechen ist keine schauspielerische Leistung. Es ist reine Technik. Kraftausdrücke gehören dabei wohl inzwischen zum guten Ton. Selbst eine Literatur-Nobelpreisträgerin kommt nicht mehr ohne sie aus … geschenkt.

Ich habe den ganzen Abend immer nur auf das Ende der nicht enden wollenden Monologe gewartet und mich gefragt: Warum tue ich mir das an? Eine Antwort habe ich auch heute noch nicht gefunden.

Das Thema und die Idee sind bestimmt interessant. Da es mir aber nicht möglich war, dem Redeschwall der zu Sprachmaschinen degradierten Schauspieler zu folgen, war der gestrige Abend im Grillo-Theater ein verlorener Abend. Ich hätte besser irgend ein Buch gelesen.
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