Ich bin der Klaus!

von Georg Kasch

Ralswiek/Rügen, August 2007. Dichter Dunst steht über dem Großen Jasmunder Bodden. Während eine sonore Männerstimme beginnt, vom Mythos Störtebeker zu berichten, quillt Nebel aus dem Bühnenkies, der sich Richtung Wasser verflüchtigt. Plötzlich ist er da, der blonde Held, hoch zu Ross, wie in Stein gemeißelt. Schon sprengt er davon. Ein Traum?

Im Gegenteil. Ein handfester Geselle ist dieser Klaus Störtebeker, der nun schon zum fünfzehnten Mal seit dem Neubeginn 1993 auf der Naturbühne in Ralswiek steht, einem 300-Seelen-Dorf auf der Ostseeinsel Rügen. Aber auch einer mit Gefühl und Bildung: Im diesjährigen Stück "Verraten und verkauft", mit dem der vierte Zyklus um das Leben und Sterben des Seeräubers beginnt, kehrt Klaus von Alkun von der Universität auf den heimatlichen Besitz zurück und findet ihn zerstört, die Eltern tot.

Natürlich ruht er nicht, bis die Bösewichter erschlagen und die Enterbten gerächt sind. Am Ende nimmt er mit seiner Seeräuberidentität auch einen neuen Namen an: Nach erfolgreichem Wettsaufen wird ihm der Ehrentitel "Stürz den Becher" verliehen, op platt: Störtebeker.

Donnernde Kanonen, brennende Schiffe

In Ralswiek wird daraus ein Spektakel mit kinotauglicher Musikuntermalung und Spezialeffekten. Links auf der Panoramabühne, deren imposanter Abschluss der Bodden bildet, ragen in diesem Jahr die Ruinen einer Kirche in den Himmel und erinnern an Bildmotive Caspar David Friedrichs; rechts bilden einige Häuser und ein Kirchturm eine disneylandhafte Rekonstruktion des mittelalterlichen Ostseestädtchen Barth, im Original etliche Kilometer weiter am Barther Bodden gelegen. Im Hintergrund kreuzen die Koggen.

Regisseur Holger Mahlich nutzt die große Bühnenfläche geschickt, lässt hier Gaukler auftreten, dort ein Schiff entladen. Säcke werden in einen Speicher gehievt und Kinder spielen fangen. Vorne zuckelt ein Pferdewagen vorbei, hinten beginnt ein Kampf. Und natürlich fliegt bei einem derartigen Spektakel das Kloster nebst den Schergen des Vogtes in die Luft, donnern die Kanonen, brennen Schiffe und verschwinden im Boddendunst.

Zotiges Volk

Die handwerklich solide und perfekt getimte Inszenierung wird durch einige herausragende Darsteller gekrönt, allen voran Ingrid van Bergen, die mit rauem Timbre und resoluten Gesten der zwiespältigen Baderin eine Hauptrolle erspielt. Auch Ben Heckers Kaufmann Wülfferich, der sich erst später als der wahre Bösewicht entpuppt, gelingt der Balanceakt zwischen freundlichem Onkel und gierigem Aas. Da haben es Sascha Gluth als volksnaher Störtebeker ("Ich bin der Klaus!") und Christina Kraft als Liebesobjekt Agnes nicht leicht, einen Weg zwischen Heldenpathos und Menschen zum Anfassen zu finden.

Ärgerlich sind die Dialoge der zotigen Volksszenen. "Halt’s Maul, Reppnick, oder ich mach Kleinholz aus dir!" mag im Eifer des Gefechtes noch durchgehen. Hier aber werden ganze Szenen mit Kalauern wie dem "vervögelten Vögtlein" und Fäkalhumor der unteren Schubladen bestritten. Das Publikum, auch das ganz junge, feixt.

Dramaturgisch fragwürdig ist zudem Abellin, der Balladensänger, der die Botschaft der Handlung in heutige Gefühle übersetzt. "Heimkehr, das ist Träumen von Menschen, Träumen von Wellen, von Meer und den Stürmen..." singt Entertainer Wolfgang Lippert mit gequältem Gesichtsausdruck und ausgebreiteten Armen.

Theater als Wirtschaftsfaktor

Dennoch: Die Zuschauer jubeln auf den ausverkauften 8.800 Plätzen. Mit 67 Spielterminen und einer Auslastung von rund 60 Prozent können sich die Störtebeker-Festspielen im Kartenverkauf selbst mit Großereignissen wie den Salzburger Festspielen messen. Begonnen hatte die Ralswieker Erfolgsgeschichte 1959, als die DDR-Oberen den Freibeuter als Genossen im Geiste entdeckten. So wurde 1959 bis 1961 und 1980/81 die Legende mit großem Aufwand gezeigt. Peter Hick, Schauspieler und Stuntman, der Ende der 80er Jahre die Karl-May-Festspiele Bad Segeberg aus den roten Zahlen führte, begann 1993 mit seiner Frau und großem persönlichen Risiko, die Festspiele neu aufzubauen.

Inzwischen sind die Störtebeker-Festspiele zu einem regionalen Wirtschaftsfaktor geworden. In Ralswiek gibt es im Sommer jeden Abend ein jahrmarktähnliches Treiben vor den Fisch- und Wurstbuden, leben mehrere Restaurants und Hotels vom Besucherstrom. Die Festspiele kommen trotz moderaten, familienfreundlichen Preisen ohne staatliche Förderung aus. Ein japanischer Autobauer und eine bekannte Brauerei unterstützen das Unternehmen finanziell. Mit Folgen auch fürs Bühnengeschehen.

Nachdem Störtebeker seinen zukünftigen Kumpanen Goedecke Michels im Trinkwettbewerb besiegt hat, dreht er den Krug, um seinen Triumph zu beweisen und verkündet: "Das einzig Wahre!", woraufhin ihm der Zuschauerchor die entsprechende Biermarke zuruft. Funktionierende Werbung im Massenspektakel? Ob (Volks-)Theater das will und aushält, sollte es sich ernsthaft überlegen.


Verraten und Verkauft
Regie: Holger Mahlich, Bühne: Falk von Wangelin, Kostüme: Christina Maass.
Mit: Sascha Gluth (Klaus Störtebeker), Dietmar Lahaine (Goedeke Michels), Ingrid van Bergen (Alwine Röttelpötsch), Ben Hecker (Joachim Wüllferich), Frank Rebel (Gerolf von Reppnick) u.a.

www.stoertebeker.de

 

Kommentare  
#1 Störtebeker-Festspiele: Schwerpunkt zu sehr auf SponsorenAnna 2008-02-16 14:54
Netter Artikel, aber dennoch nicht ausreichend recherchiert. Davon abgesehen, dass Peter Hick nie Schauspieler war, scheint der Schwerpunkt mehr auf "Sponsoren" gelegt worden zu sein, als auf das Stück an sich. Es ist schade, dass gerade die nachtkritik sich von so etwas ablenken lässt und der Autor sollte sich überlegen welche imposante und einmalige "Theatergeschichte" er hier kritisiert. Ein Gespräch mit dem Intendanten oder der Geschäftsführerin kann beim nächsten Mal nicht schaden. Man zeige mir ein Theater, dass genauso erfolgreich und finanziell unabhängig in Deutschland agieren kann.
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