Von Alpha bis Omega

30. Oktober 2022. Wer hat recht, "Gott oder Darwin"? Das werde sich zeigen, heißt es einmal in dem ehrgeizigen Dreisparten-Projekt in der Salzburger Felsenreitschule. Auch wenn dieses Versprechen nicht gehalten wird, steht am Ende eines fest: Joseph Haydns Oratorium "Die Schöpfung" ist durch nichts und niemanden umzubringen.

Von Reinhard Kriechbaum

30. Oktober 2022. "Lieber einen Affen als Großvater als einen Bischof!" Auf dieses Bonmot hin ist man knapp am spontanen Beifall vorbeigeschrammt. Aber im erzkatholischen Salzburg weiß das Premierenpublikum im Ernstfall, was sich (nicht) gehört.

Die persönliche Evolution des Charles Darwin

Evolution über Jahrmillionen oder ein Schöpfungswerk vor 5.492 Jahren (so datierte Isaac Newton den Beginn der Welt)? Im Dreispartenprojekt "Die Entstehung des Lichts" in der Regie von Carl Philip von Maldeghem treten Schöpfungsgeschichte und Evolutionstheorie gegeneinander an. Zuerst ist das Schauspiel dran in der Salzburger Felsenreitschule, auf schwankender kleiner Spielfläche und auf vier Blöcken in Form einer Halfpipe. Da kann man runterrutschen und sich raufhechten. Beste Voraussetzungen für Hyperaktivität, an der es im Verlauf der beinah drei Stunden nie fehlen wird.

Die Entstehung des Lichts3 Galapagos Anna Maria LoeffelbergerNils Arztmann, Georg Clementi, Leyla Bischoff und Sarah Zaharanski © Anna-Maria Löffelberger

In diesem ersten Abschnitt geht's um Charles Darwin, um seine Seereise nach Südamerika und zu den Galapagos-Inseln. Bei den Schildkröten und anderen Natur-Eigenheiten dort hat der junge Mann, der eigentlich eine Kirchenlaufbahn einschlagen wollte, endgültig erkannt, dass sich die Tierarten über lange Zeiträume fortentwickeln, einander ausstechen. Evolution halt. Brieflich hat Darwin sich darüber rege mit seiner Cousine, Jugendgespielin und späteren Ehefrau Emma Wedgwood ausgetauscht. Die beiden waren sich menschlich nahe, aber ideologisch keineswegs auf einer Linie.

Nils Arztmann und Leyla Bischoff als Charles und Emma diskutieren und streiten herzhaft, Georg Clementi und Sarah Zaharanski schlüpfen in verschiedene Rollen und bringen die Geschichte weiter. Das ist temperamentvoll gespielt, gelegentlich mit Pointen aufgepeppt. Die Regie von Carl Philip von Maldeghem wirkt gut getimt. Inhaltlich bleibt's freilich eine nette biographische Nacherzählung, interessant und lehrreich, perfekt gemachter Schulfunk.

Die Zertanzung der Musik

Dann ist Haydn dran mit seiner "Schöpfung", gekappt um alle Secco-Rezitative und auch sonst wesentlich eingekürzt. Es sind trotzdem viele "Schlager" übrig, an denen gerade dieses Werk ja überreich ist. Für diesen Abschnitt hat, so scheint's, Maldeghem das Heft weitgehend aus der Hand gegeben. Der Ballettchef des Salzburger Landestheaters, Reginaldo Oliveira, darf schalten und walten nach Belieben. Seine Kompagnie ist, was Athletik und Durchhaltekraft anlangt, bewundernswert gut drauf. Was dem Choreographen an Figurenwerk einfällt, fesselt vielleicht zehn, fünfzehn Minuten lang. Dann läuft es sich ob des Dauer-Bombardements an Bewegung tot. Dem Auge wird nicht eine Sekunde Ruhe gegönnt. Die Musik wird gnadenlos zertanzt, zertreten, zerzappelt. Es fließt der Schweiß und die Gliedmaßen der Tänzerinnen und Tänzer scheinen immer länger und bizarrer in den Verrenkungen zu werden. Der Pulsschlag der Musik, ihre Stimmungen werden weitgehend ignoriert.

Die Entstehung des Lichts Die Schoepfung Anna Maria LoeffelbergerDas Ballettensemble in Teil 2 © Anna-Maria Löffelberger

Erstaunlich, dass die Musiker sich trotzdem einige Lufthoheit freikämpfen. Gabriel Venzago leitet das Mozarteumorchester zu gestenreichem, historisch informiertem Spiel an. Das hat Format. Das Solistentrio wäre in einem Konzertsaal wahrscheinlich gut aufgehoben. In der Felsenreitschule, wo man sommersüber bei den Festspielen ganz andere Sängerkaliber zu hören bekommt, wirken alle drei reichlich hausbacken. Sie müssen oft mitziehen mit den rätselhaften Bewegungen der Tanzkompagnie. Was sollen uns die eigenwilligen, an Papierpuppen erinnernden Gewänder dieser Erzengel mitteilen? Vielleicht sollen Assoziationen ans Marionettentheater geweckt werden.

Tour de force ins Heute

Nach der Pause – derweil stehen noch die Schöpfung der Tiere und des Menschen an – geht's kariert zu. Da folgt wieder ein Schauspielabschnitt, "Homo Deus" überschrieben. Der Mensch hat sich zum Gott auf der Welt gemacht. Wir sind im Heute, aber Darwin und seine Emma und die beiden anderen sind immer noch am Leben, und alle wissen, dass nun gehandelt werden müsste zugunsten der Umwelt. In einem geradezu katastrophalen Dramaturgen-Schmonzes werden die Schlagwörter der aktuellen Umwelt-Diskussion eilig durcheinander gewirbelt, hinausgeschrien. Vor allem schnell muss das gehen, es wartet ja noch einige Musik.

Adam und Eva hat man nicht das Gotteslob, dafür die peinlichsten Anti-Frauen-Aussagen im Text der "Schöpfung" gestrichen. Das ist ja schon was. Dafür ergießt sich übers Publikum in den letzten zehn Minuten eine Bilderflut, die sich gewaschen hat. Eine Tänzerin als Eva verkostet den Apfel, das bekommt weder ihr noch der Zukunft der Menschheit. Schon geht es los mit Kain und Abel (zwei Kinder-Statisten). Und überhaupt gerieren sich das Ballett und der aus der Versenkung geholte Chor nun vollends durchgeknallt. Weltrettung wird mit all denen nicht gut gehen. Ganz am Schluss sehen wir ein Tänzerpaar im Vordergund. Er versucht ihr ein Kopftuch überzustülpen, sie windet sich immer aufs Neue heraus. Vielleicht war das Verkosten der Frucht vom Baum der Erkenntnis ja doch zu etwas gut.

Den Dreispartenbetrieb zusammenzuführen, ist gut gemeint, hat hier aber mangels inhaltlicher Stringenz keinen Mehrwert gebracht. Irgendwann an diesem reichlich langen Abend beginnt man auch darüber nachzudenken, warum dieses Handlungskonglomerat eigentlich "Die Entstehung des Lichts" heißt. Stimmt schon, es ist ein toller Moment, wenn Haydn die Sonne, diesen "wonnevollen Bräutigam", auf Gottes Geheiß erst-aufgehen lässt. Hat der Mensch, die Krone der Schöpfung, am Tag sechs eigentlich genug Helligkeit in der Marille mitbekommen oder war da schon alles Licht verteilt?

Die Entstehung des Lichts
nach Haydns Oratorium "Die Schöpfung" und dem Briefwechsel zwischen Charles Darwin und Emma Wedgwood
Regie: Carl Philip von Maldeghem, Musikalische Leitung: Gabriel Venzago, Choreographie: Reginaldo Oliveira, Bühne und Kostüme: Stefanie Seitz, Dramaturgie: Friederike Bernau, Thomas Rufin.
Mit: Nils Arztmann, Leyla Bischoff, Georg Clementi, Sarah Zaharanski, Laura Incko, Mario Lerchenberger, Philipp Schöllhorn, Ballett und Chor des Salzburger Landestheaters, Mozarteumorchester Salzburg.
Uraufführung 29. Oktober 2022
Dauer: 2 Stunden 45 Minuten, eine Pause

www.salzburger-landestheater.at


Kritikenrundschau

Einen "düsteren, aber fesselnden Abend" hat Peter Jungblut erlebt und führt im Bayerischen Rundfunk (29.10.2022) aus: "Drei Stunden lang kreisen die Gedanken um solche Zumutungen der Evolution in der Salzburger Felsenreitschule, drei Stunden ist das so spannend und faszinierend wie erschütternd." Im ersten Teil hätte "hier und da ein Quäntchen mehr Ironie nicht geschadet". "Herrlich ironisch" sei es wiederum, Darwin, "diesen Mythen-Zerstörer und Bibel-Verweigerer" ausgerechnet mit Hadyns "Schöpfung" zu konfrontieren. Regisseur Maldeghem heimst Lob ein, und auch Dirigent Gabriel Vengazo und Chorleiter Carl Philipp Fromherz, die die Mitwirkenden "bestens einstudiert" hätten: "Selten zu erleben, dass Ensemble und Solisten so motiviert bei der Sache sind, teilweise barfuß und stets die Arme reckend und die Hände ringend, wie in einen alttestamentarischen Sandalenfilm."

"Der Grundgedanke von Die Entstehung des Lichts – woher kommen wir, wohin gehen wir – ist ambitioniert", findet Heidemarie Klabacher im Standard (7.11.2022). "Viele Einzelleistungen sind überzeugend, vor allem im Ballettensemble. Doch das Gesamtergebnis lässt wegen der Überfülle an Gewolltem eher ratlos zurück." Erzählt werde ohne Scheu vor Gemeinplatz und Plattitüde.

 

Kommentare  
#1 Entstehung des Lichts, Salzburg: UnmotiviertFriedrich Sorger 2022-11-23 08:58
Wenn ich es geschafft habe, die Veitstänze, Spastizismen und unmotivierten Bewegungen von Oliveras Truppe, auszublenden, konnte ich den Abend sogar genießen.
Ich dachte immer Ballett wäre tanzen zu einer Musik. Auch die gezwungenen Bewegungen des Chors nach seinem Auftreten auf der Bühne habe ich lächerlich und störend empfunden.
Die Idee zu der wunderschönen Musik von Haydens Schöpfung zu tanzen hätte sogar einen gewissen Charme gehabt, aber nicht so.
Ohne Olivera hätte es ein gelungener Abend werden können. Ich sehne mich zurück an Ballettabende mit Herrn Breuer.
Liebe Grüße
Friedrich Sorger
#2 Entstehung des Lichts, Salzburg: gelungenRobert Fischer 2022-11-25 14:16
Das war ein wunderschöner Abend. Manches (Eva und der Apfel) mag vielleicht ein bisschen zu plakativ inszeniert sein, aber als Ganzes finde ich die Kombination aus Oper, Schauspiel und Ballett sehr gelungen.
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