Auf der falschen Seite der Geschichte

24. Juli 2020. Dem leitenden Mitarbeiter des Badischen Staatstheaters Karlsruhe, der nach Vorwürfen sexueller Belästigung zunächst freigestellt wurde, ist nun gekündigt worden.

Das berichten diverse Medien, darunter die Süddeutsche Zeitung mit Bezug auf DPA. Den Berichten zufolge prüft die Staatsanwaltschaft gegenwärtig, ob gegen den Theatermitarbeiter ein Anfangsverdacht besteht. Ihm wurden auf einem Instagram-Account Machtmissbrauch und sexuelle Belästigung vorgeworfen. Der Betroffene sieht sich, wie u.a. die SZ schreibt, zu Unrecht verleumdet und hat gegen den Inhaber des Accounts Anzeige erstattet. Weil dieser dem Theatermitarbeiter, wie es weiter heißt, mit der Veröffentlichung von belastendem Material gedroht hatte, ermittelt die Staatsanwaltschaft auch gegen den Instagram-Nutzer wegen des Verdachts der Nötigung.

Inzwischen hat Peter Weibel, Vorstand des Karlsruher Zentrums für Kunst und Medien (ZKM), die Politik für ihr Festhalten an Intendant Peter Spuhler kritisiert: "Sie wollen eigenes Versagen vertuschen – mit der Verlängerung Spuhlers verlängern sie ihr eigenes Versagen." Obwohl die Probleme im Badischen Staatstheater schon lange bekannt seien, werde weitergemacht wie bisher. "Das kann nicht gutgehen", zitiert ein Bericht Weibel, der am Freitag an einer von ihm und Britta Velhagen, Vorstandsmitglied des Karlsruher Kulturvereins Tollhaus, initiierten Solidaritätskundgebung mit mehr als 100 Kulturschaffenden und Mitarbeiter*innen vor dem Theater teilnahm. "Durch Machtpolitik wird die Belegschaft unterdrückt. Stadt und Land stehen auf der falschen Seite der Geschichte."

Andere wichtige Vertreter der Karlsruher Kulturszene haben sich einem SWR-Bericht zufolge von der Protestaktion distanziert, darunter der Direktor des Badischen Landesmuseums Eckart Köhne und der Direktor des Generallandesarchivs Wolfgang Zimmermann. Es entspreche nicht ihrem Selbstverständnis, auf diese Weise gegen einen Kollegen vorzugehen, werden die beiden Sprecher des Karlsruher Kulturkreises zitiert, die u.a. die Professionalität des umstrittenen Theaterintendanten hervorgehoben hätten, der im Zusammenhang mit seiner Führungskultur aber möglicherweise Hilfe brauche.

(SZ / SWR / sle)

 

Mehr zum Thema:

Presseschau vom 28. Juni bis 14. Juli 2020 – In den Badischen Neuesten Nachrichten üben ehemalige Mitarbeiter*innen des Badischen Staatstheaters harte Kritik am Intendanten.

Presseschau vom 10. bis 14.7.2020 – Die Badischen Neuesten Nachrichten über Vorwürfe der sexuellen Belästigung gegen einen leitenden Mitarbeiter des Badischen Staatstheaters Karlsruhe.

Kommentar vom 17. Juli 2020: Nach Verwaltungsratssitzung und Mitarbeiter*innen-Protesten – Peter Spuhler bleibt Generalintendant des Badischen Staatstheaters Karlsruhe.

Interview vom 19. Juli 2020 mit der Karlsruher Schauspieldirektorin Anna Bergmann.

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Kommentare  
#1 Kündigung Karlsruhe: Rechtslage?Kai Festersen 2020-07-24 16:21
Guten Tag - könnte man erfahren, wie das konkret zu verstehen ist? Es gäbe meines Wissens die normale Nichtverlängerung, die wäre zum Sommer 2021 möglich, wenn sie vor Ende Oktober ausgesprochen wird und der betreffende Kollege noch keine sieben Jahre im Vertrag ist, und es gäbe die außerordentliche Kündigung - fristlos - aus besonderem Grund, diese müsste hieb- und stichfest begründet werden können, z.B. mit zerstörtem Vertrauensverhältnis - und sie muss spätestens vierzehn Tage nach dem auslösenden Ereignis ausgesprochen worden sein. Ob "laufende Ermittlungen" ausreichen kann ich juristisch nicht einschätzen, aber es sieht doch etwas nach Vorverurteilung aus... Haben wir da nähere Informationen? Danke.



(Das Badische Staatstheater bat auf Nachfrage von nachtkritik.de um Verständnis, als Arbeitgeber zu internen Personalangelegenheiten und insbesondere Arbeitsverträgen keine öffentliche Erklärung abzugeben. Viele Grüsse aus der Redaktion, Esther Slevogt)
#2 Kündigung Karlsruhe: AuflösungJurist 2020-07-25 02:19
@1 in Frage käme auch ein Auflösungsvertrag in beiderseitigem Einverständnis, ggfs. könnte dem ja etwas nachgeholfen worden sein.
#3 Kündigung Karlsruhe: Führungskompetenzleporello 2020-07-25 11:43
Die Kommentare der Direktoren des Landesmuseums und des Generallandesarchives machen (wohl unbewusst) deutlich, dass "Professionalität" und Führungskompetenz häufig getrennt voneinander und in einem hierarchischen Verhältnis bewertet werden. Das dürfte leider auch immer noch die Einstellung von Findungskommissionen, Verwaltungsräten etc. repräsentieren. Lieber lässt man die Bewerber*innen die eigenen Wunschvorstellungen "kreativ" und "charmant" bedienen. Führungsvermögen ist aber vielmehr eine Schlüsselqualifizierung im Kulturbetrieb und ein wesentlicher Bestandteil von Professionalität.
Präventiv sinnvoll wäre, eine Formalqualifikation oder differenzierte schriftliche Aussage zum Führungsverständnis für die Bewerbung zu verlangen und im Auswahlgespräch zu diskutieren. Machbar war nun immerhin, sich von einem Spartendirektor zu trennen. In einem Mehrintendantenmodell könnte man im Bedarfsfall ein Leitungsmitglied "auswechseln", ohne dass gleich die gesamte Leitungsarchitektur gefährdet ist. Gelegentlich blitzt bei der Einschätzung von Führungsmodellen aber wieder eine Form der Hierarchisierung durch: Bestleistung (Barenboim!) = Generalintendanzmodell versus Zweitklassigkeit = Mehrintendantenmodell. Egal, welches Modell es in KA wird, Menschenkenntnis bei der Personalauswahl würde sehr helfen!
#4 Kündigung Karlsruhe: bedauerlichDaniela Kappel 2020-07-27 19:11
Ein bedauerlicher, ueberfluessiger Imageschaden in einer ohnehin gebeutelten Zeit. Offensichtlich wird erst jetzt genauer untersucht und das Ganze ist doch wohl schon seit 2011 bekannt.
Ich bin wirklich betroffen und erschuettert, das hat nichts mit kuenstlerischem Selbstbewusstsein oder Freiraum zu tun. Ich finde es aber gut dass er sich oeffentlich entschuldigt hat.
Daniela Kappel, Chorsaengerin Staatsoper Hamburg und gebuertige Karlsruherin
#5 Kündigung Karlsruhe: das MindesteKein Kollektiver 2020-07-28 08:09
#1
Sehr geehrte Frau Kappel, falls sie sich auf den leitenden Mitarbeiter beziehen, so ist dieser erst seit wenigen Jahren da, nicht schon seit 2011. Da ist von Imageschaden noch sehr wohlwollend geschrieben.
Desweiteren wirkt ihre Formulierung mit 'bedauerlich' und 'überflüssig' leicht verharmlosend. Eine Entschuldigung, gleich welche Aufrichtigkeit, ist da das Mindeste, was zu Leisten gewesen war.
Kein Kollektiver, Solist am Theater XYZ und bei Offenlegung der Personalien Angst um Weiterbeschäftigung.
#6 Kündigung Karlsruhe: ImageschadenEntsetzter 2020-07-31 16:35
Liebe Frau Kappel,

ein Imageschaden? Das ist alles, was Sie sehen? Das Leid der Mitarbeiter sehen Sie nicht? Ich bin entsetzt.
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