Der Mailwechsel entstand im Rahmen der Recherchen zum Überblickstext: Zur Lage der deutschsprachigen Schauspielschulen unter den Corona-Schutzverordnungen.

 

Es ist einfach ALLES anders

Mailwechsel von Frank Schubert und Elena Philipp

Frank Schubert am 8. Mai 2020: Es hat sich die Welt verändert

Liebe Elena Philipp!

Es ist seit unserem letzten Kontakt nicht nur Zeit vergangen, es hat sich die Welt verändert. Natürlich auch für die Schauspielausbildung. Gerade für die Schauspielausbildung. Und ganz speziell für die Studieneinsteiger, die nicht wissen, ob sie überhaupt noch Schauspiel studieren können.

Mit dem Untertitel "Szenen, die der Autor nicht schrieb" entwickeln unsere Studis in jedem Jahr (am Ende des ersten Semesters) eigene Szenen aus Shakespeare-Stoffen heraus. Persönlich und energiegeladen. Daran halten wir allerdings aus guten Gründen fest.

Aber Corona hat alles verändert. Auch den Blick auf die Inhalte.

Eine Grundlagenausbildung ohne Berührung und körperlichen Kontakt?

Die Ausbildung der Ensemblefähigkeit als Kompetenz – ohne Berührungen und mit maximal 4 Studierenden in einem (grossen) Raum? Und das so lange, bis ein Impfstoff da ist. Was wird das mit uns machen? Was macht das mit jungen Menschen, die jetzt in die Zukunft aufbrechen?

Ich habe versucht, ein Konzept für ein Grundlagenstudium im 1. Semester zu entwickeln, das auf unsere besonderen Kernthemen (eigenständige Kreativität, Autorschaft und schauspielerisches Handwerk) baut und die notwendigen Corona-Massnahmen dennoch berücksichtigt. 

Es wird, wie immer bei uns, eine öffentliche Abschlussaufführung geben. Live war das immer grosser Bahnhof. Oft waren es beeindruckende Aufführungen, die vieles erlebbar machen, was unsere Ausbildung ausmacht und die oft auch sehr attraktiv waren. Kein Widerspruch.

Anfang September wird unser neuer Jahrgang nun mit einer solchen Aufführung erstmalig in die Öffentlichkeit treten. Aller Wahrscheinlichkeit aber nicht live. (Oder nur sehr eingeschränkt.) Wir werden eine Aufzeichnung machen. Eventuell kann ich Sie dafür interessieren. Es berührt das Thema Ausbildung auf sehr sinnliche Weise, wirft wahrscheinlich gleich eine ganze Reihe von Fragen auf, die diskutierenswert sind und die Schauspielausbildung insgesamt betreffen. Und natürlich könnte auch interessant sein, wie wir zu Corona-Zeiten mit der Ausbildung umgehen. Und man wird sich das auch noch mit Lust anschauen können. Da wir in den letzten Wochen in zig Zoom-Konferenzen mit allen Kollegen aller deutschsprachigen Schauspielschulen im Austausch waren und sind, bin ich davon überzeugt, dass dies auch von übergreifendem Interesse sein könnte.

Ich wäre froh, wenn ich Sie ein wenig neugierig machen könnte.

Herzliche Grüsse!
Frank Schubert

 

nachtkritik.de | Elena Philipp am 9. Mai: Geht schon, macht aber nicht viel Sinn?
 
Lieber Frank Schubert,

schön, von Ihnen zu hören. Kann ich mir vorstellen, dass Corona und die Regelungen die Ausbildung extrem belangen.

Danke für den Hinweis auf die Abschlussaufführung. Sehe ich mir sehr gerne an. …

Am Montag nehmen wir den nächsten Theaterpodcast auf, zur Frage der Wiedereröffnungen. Daher die interessierte Frage: Wie proben Sie denn derzeit? Geht das schon mit vier Studierenden im großen Raum? (Ihrer Mail entnehme ich: Naja, geht schon, macht aber nicht viel Sinn…) Wie wird die Ausbildung gehandhabt? Wenn es eine Abschlussarbeit gibt, muss diese ja auch unter den jetzigen Bedingungen vorbereitet werden.

Zur Nacht neugierige Grüße, herzlich,
von Elena Philipp

 

Frank Schubert am 9. Mai 2020: Die Ensemblefähigkeit kann man nicht weglassen

Guten Morgen!

Viele Fragen. Und ich habe im Augenblick kaum Antworten.

Der Vergleich vorher-nachher ist wahrscheinlich müssig. Es ist einfach ALLES anders. Wir haben jetzt eine Sondergenehmigung und können die Ausbildung (unter höchsten Auflagen) in der übernächsten Woche wieder aufzunehmen. Es lief bei uns unter Zoom-Bedingungen weiter. Eingeschränkt. Es sind viele Videos, Mini-Hörspiele und und und entstanden. Natürlich sehr unterschiedlicher Qualität, aber manches hat überrascht.

Ab übernächster Woche werden wir wieder in der Schule unterrichten. Plexiglas zwischen uns, die Studierenden dürfen nicht ohne Dozierenden zu zweit einen Raum belegen, maximal fünf Personen (4 Studierende) in einem grossen Raum, in dem die Sicherheitsabstände eingehalten werden können/müssen. Alle Gruppenräume bleiben geschlossen. Die Frage ist auch, wo die Kaffeemaschine steht. Es finden keine Präsentationen statt. Das wird alles aufgezeichnet und über Bildschirm beurteilt. Auch die Prüfungsarbeiten. Aber sie finden statt. Natürlich gibt es keine Ensemblearbeiten.

Das in Kurzform. Harte Zeiten. Ich kann Ihnen nicht sagen, wie das funktionieren wird, aber wir versuchen, Konzepte zu entwickeln, die mehr als nur ein müder Kompromiss sind. Es werden Themen wichtiger, die sowieso immer wichtig waren. Sprache bewegt. Nun wird wahrscheinlich die sprachliche Ausbildung gewinnen. Die Phantasie wird gewinnen und es wird einfach ganz andere Ideen geben.

Ich werde mein Grundlagenprojekt machen. Hier war immer auch die Ensemblefähigkeit (als Kompetenz) wichtig. Das kann man nicht einfach weglassen. Also werde ich versuchen, die Medien einzubinden in die live-Arbeit. Das ist natürlich nicht neu. Neu ist es aber, darüber Fähigkeiten auszubilden, für die man sich in der Ausbildung anfassen, berühren, riechen und fühlen muss(te). 
Nehmen wir an, ein Impfstoff kommt in etwa zwei Jahren. Es werden Schauspielerinnen und Schauspieler aus den Schulen kommen, die wirklich eine völlig andere Ausbildung bekommen haben, als alle anderen vor ihnen. Überall. Was wird das mit ihnen und uns machen?

Fragen über Fragen und keine Antworten. Die werden wir erst im Prozess erhalten können. …

Herzliche Grüsse!
Frank Schubert

 

Frank Schubert am 23. Juni 2020: Wir haben das Gefühl, an einem Strang zu ziehen

Guten Morgen!

Es gibt jetzt viele Lockerungen. Also, wir arbeiten jetzt wieder etwas entspannter, haben das Semester in den Sommer verlängert und können die Prüfungsszenen für den Bachelor live spielen. Ohne Publikum. Aber wir werden gute Zweierszenen auf Distanz arbeiten und einer Prüfungskommission zeigen können.

Das Grundlagenprojekt werden wir im August fertig arbeiten und auch zeigen. Wahrscheinlich dürfen etwa 30 Zuschauer im Raum sein. Eventuell zu diesem Zeitpunkt auch schon mehr. Also ist es wahrscheinlich, dass wir an einem Abend zweimal oder gar dreimal live spielen. Da wir unseren Studierenden zeigen konnten, dass wir voll und ganz für sie denken und für sie da sind, ist die Motivation im Augenblick extrem hoch und uns trägt das Gefühl, wirklich an einem Strang zu ziehen.

Wir sehen optimistisch in die Zukunft. Tatsächlich.

Herzliche Grüsse!
Frank Schubert

 

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