Die Fuchtel des Abstandhaltens

von Harald Raab

14. Mai 2020. Der Schauspielintendant des Staatstheaters Stuttgart Burkhard C. Kosminski hat neue, eher ungewohnte Regie-Assistenten bei der Probenarbeit bekommen: einen Mitarbeiter vom Gesundheitsamt, den Betriebsarzt und den Sicherheitsingenieur seines Hauses. Sie haben ein gewichtiges Wort mitzureden, etwa bei der Bauprobe seines neuen Stücks für die kommende Spielzeit. Sie legen ein Veto ein, wenn zuviele Menschen auf der Bühne miteinander agieren sollen. Wo der Intendant drei haben will, will die Corona-Schutztruppe nur zwei zulassen. Der Meterstab ist ein wichtiges Instrument, Fragen zu klären, die vorher rein bewegungsästhetisch und szenengerecht eine Rolle gespielt haben. Am Ende muss das ganze Bühnenbild umgebaut werden.

Kunst und Hygiene

So sieht Theatermachen in Zeiten von Covid-19 aus. In einer Hauptrolle ist das heimtückische Virus immer mit dabei. Das Theater lebt von Nähe, von Unmittelbarkeit, die Pandemie auch. Um vom Streaming-Modus wieder in den Live-Zustand zu kommen, wird den Theatern in Deutschland die Quadratur des Kreises abverlangt. Es wird viel nachgedacht, ausprobiert und experimentiert, um das Theater corona-tauglich zu machen. "Wir fahren auf Sicht", sagt Kosminski.

Schauspiel Stuttgart Saal 780 BjoernKleinPlatzangebot verkleinern, auf Abstand spielen: der Zuschauerraum im Schauspiel Stuttgart © Björn Klein

Er regiert kräftig hinein und schwingt sich zum Co-Regisseur auf: der SARS-CoV-2-Arbeitsschutzstandard. Die gesetzliche Unfallversicherung hat ihn für den Spiel- und Probenbetrieb der Bühnen in bindende Handlungsempfehlungen gegossen. Das Hygienekonzept schreibt vor, "Produktionen zu konzipieren, die für die Situation der SARS-CoV-2-Pandemie geeignet sind. Die Wiederaufnahme von bestehenden Stücken ist neu zu bewerten. Insbesondere ist auf körpernahe Szenen zu verzichten. Mitwirkende müssen einen Abstand zu anderen Personen von mindestens 1,5 m bzw. die in dieser Handlungshilfe für die einzelnen Sparten festgelegten Mindestabstände einhalten (...) Bei singenden oder exzessiv sprechenden Personen ist ein Abstand von mindestens sechs Metern vorgesehen. (...)  Die Größe der Probenräume richtet sich nach der Anzahl der gleichzeitig anwesenden Personen. Pro Person müssen 20 Quadratmeter Grundfläche zur Verfügung stehen."

Organisatorische Herausforderung

"Wenn man all diese, im Grunde ja sinnvollen Vorschriften einhält, wie soll man da noch Theater machen", fragt der Intendant des Theaters Regensburg, Jens Neundorf von Enzberg. Er ist sich mit dem Kollegen Kosminski einig: "Das ist eine große ästhetische und arbeitsorganisatorische Herausforderung." Jeder geht aber einen ganz eigenen Weg, um diese Fahrt in unbekannte Gefilde zu meistern.

Der Geschäftsführer des Deutschen Bühnenvereins Marc Grandmontagne gibt zu bedenken: "Die Hygienebestimmungen sind äußerst problematisch für die künstlerische Arbeit. Wir sind in Absprache mit anderen Verbänden dabei, diese Fragen zu klären. Wir sollten uns hüten zu sagen: Jetzt geht es ganz schnell wieder los. Es wird erst einmal unter schwierigen Bedingungen geprobt und dann haben wir die Einschränkungen in der kommenden Spielzeit im Zuschauerraum und auf der Bühne." Während in Hessen und Nordrhein-Westfahlen noch in diesem Monat die Theater wieder öffnen könnten, hat man in den meisten Bundesländern die laufende Spielzeit schon abgehakt. Allenfalls werden schnell aus dem Boden gestampfte Produktionen gezeigt, um mit dem Publikum wieder unmittelbar in Kontakt zu kommen.

Künstlerisch reagieren

Die stellvertretende Intendantin des Schauspielhauses Bochum Susanne Winnacker ist optimistisch, dass das geht: "Wir fahren das Haus langsam hoch. Johan Simons wird 'Die Befreiten' von Elias Canetti inszenieren. Er hat sich dafür entschieden, weil er künstlerisch auf die gegebene Situation reagieren möchte und nicht nur organisatorisch. Gespielt wird en suite im Großen Haus."

burkhard c kosminski 280 MaksRichter uDer Stuttgarter Intendant Burkhard C. Kosminski © Maks RichterAm Staatstheater Stuttgart wird es in dieser Saison noch eine Produktion geben, für die alle Sparten etwas beitragen, eine tour d'horizon, was Theater zu bieten hat. Intendant Kosminski: "Unser Spielplan sieht ziemlich anders aus, als er geplant war." Das gelte auch für die nächste Spielzeit. Einiges aus der Planung wird dorthin verlagert. "Wir machen normale Bühnenstücke, die nicht einmal spezifisch mit der aktuellen Situation umgehen. Es gibt ja keine Corona-Stücke. Wir schauen aber scharf darauf, was sich durch Corona in der Gesellschaft verändert."

Am Maxim Gorki Theater in Berlin geht es erst mit der neuen Spielzeit los. Der geschäftsführende Dramaturg Johannes Kirsten hält sich bedeckt. Noch sei man in der Diskussion, was und wie unter Corona-Bedingungen gespielt werden kann. Er sagt aber: "Aus den ursprünglichen Projekten für die nächste Spielzeit lässt sich doch einiges Corona-tauglich umsetzen. Wir sind gewillt, an den alten Ideen festzuhalten und gleichzeitig unsere Vorhaben sowohl inhaltlich als auch strukturell zu verändern. Wir werden Premieren, die ausgefallen sind, nachholen. Zudem wird Geplantes, das noch stimmig ist, den Gegebenheiten angepasst." Beispiel: das Stück "Berlin Oranienplatz" von Hakan Savaş Mican. Es hätte bereits im März gezeigt werden sollen.

Zwischen Anspruch und Möglichkeit

Kirsten hält nichts davon, jetzt Pandemie-Stücke ins Programm zu nehmen, etwa die Bearbeitung literarischer Stoffe wie "Die Pest " von Camus oder Boccaccios "Decamerone". Dabei wird ein Spagat zwischen ästhetischem Anspruch und formaler Möglichkeit versucht. Der Gorki-Dramaturg ist davon überzeugt: "Die Corona-Krise funktioniert wie ein Brennglas. Sie zeigt, wie die Widersprüche und die Spannungen in der Gesellschaft wachsen. Dabei werden die Themen, mit denen wir uns im Gorki beschäftigen, immer aktueller. Dort, wo wir in der momentanen Lage die Stücke anpassen müssen, ist uns voll bewusst, dass das in jedem Fall auch ein künstlerischer Eingriff ist. Wir müssen uns immer fragen, ob dabei etwas herauskommt, was bei dem Stück im Kern auch gemeint ist."

TheaterfuerNiedersachsen 560 TheaterfuerNiedersachsen uGMD Florian Ziemen mit Orchester unter Coronabedingungen in Hildesheim  © Theater für Niedersachsen

Am Theater Regensburg öffnen sich die Pforten für die Zuschauerinnen und Zuschauer auch erst wieder mit regulärem Spielzeitbeginn. Intendant Jens Neundorf von Enzberg bestätigt: "Wir haben den Spielplan signifikant verändern müssen. Wir wollten mit einem großen Chorwerk beginnen, 'Samson und Dalila' von Debussy. Wir beginnen jetzt mit einer 'Othello'-Premiere, die eigentlich die letzte Produktion in der laufenden Spielzeit gewesen wäre. Wir haben dafür ein Konzept gefunden, das dem Stück gerecht wird und auch den gegenwärtigen Hygieneregeln entspricht. Wir betonen den Akt der nicht-direkten Kommunikation. Die Protagonisten agieren in getrennten, aber transparenten Räumen. Das wird mit Live-Kamera aufgenommen. Dazu kommen vorproduzierte Videos mit Spielsegmenten aus dem ganzen Haus. Im Schauspiel bleiben wir bei 'Nathan der Weise'."

Damit die Politik aufmerksam wird

Am Deutschen Nationaltheater Weimar geht es Generalintendant Hasko Weber vorsichtig an. "Wir bewegen uns wie viele andere Theater und Orchester auch, wollen Vorstellungen und Konzerte in kleiner Besetzung für zunächst kleinere Publikumsgruppen ermöglichen." Mit der 1,5-Meter-Abstandsregel für Interaktionen auf der Bühne sei auf längere Frist nur schwer umzugehen. "Theater beruht auf Nähe und Körperkontakt, insofern gilt es, mit Vernunft und schrittweise wieder in eine Normalität einzutreten." Orchester und Chöre seien besonders betroffen, "weil für musikalische Arbeit das gegenseitige Hören eine wichtige Voraussetzung ist". Deshalb werde man "sowohl mit dem Chor als auch mit dem Orchester Proben in einzelnen Stimmgruppen, beziehungsweise in kleinerer Besetzung aufnehmen, um sukzessive unserem Anspruch an Klang und Musikalität zu entsprechen".

 

 

Auf einen Sonderweg macht sich das Volkstheater in München. Intendant Christian Stückl hat mit Zustimmung des Betriebsrats sein ganzes Personal in den vorgezogenen Sommerurlaub geschickt. Nach Pfingsten beginnt dann eine sechswöchige Probenzeit für fünf Corona-taugliche Stücke, um danach im Juli die neue Spielzeit zu beginnen. Von den 20 Produktionen im Repertoire können unter den neuen Auflagen nur zwei realisiert werden. Stückl begründet: "Es liegt an uns, jetzt die Initiative zu ergreifen und Konzepte vorzulegen, damit die Politik auf uns aufmerksam wird. Unser Ministerpräsident Söder hat die Kultur noch viel zu wenig auf dem Schirm." Ob er für seinen Plan, im Sommer spielen zu können, von der Regierung und der städtischen Gesundheitsbehörde grünes Licht bekommt, weiß Stückl freilich noch nicht. Er will dem Publikum kurze Stücke anbieten und die, wenn möglich, dreimal an einem Spieltag aufführen lassen.

Die Wunden zeigen

Für alle Theater gilt nicht nur für die Proben und das Spiel auf der Bühne die Fuchtel des Abstandhaltens. Auch die Zuschauer dürfen keiner Ansteckungsgefahr ausgesetzt werden. Das heißt in der Praxis: Das Platzangebot wird rigoros verkleinert. Im großen Saal des Volkstheaters in München werden maximal 100 Leute sitzen. Sonst haben hier 600 Besucher Platz. Susanne Winnacker in Bochum bringt die Verknappung auf den Punkt: "Wir entfernen im Großen Haus ganze Stuhlreihen. Damit zeigen wir auch ganz konkret die Wunden, die dem Theater in dieser Zeit von Corona zugefügt werden. Wir wollen nicht eine Normalität konstruieren, die es so nicht mehr gibt. " In ihr Großes Haus können nur 120 Theaterinteressierte kommen. Der Saal ist für 800 Besucher konzipiert. Wer ins Bochumer Theater will, muss sich strengen Regeln unterwerfen: Es wird bei den fünf Eingängen Fieber gemessen, mit eigens dafür angeschafften Thermometern. Es besteht Maskenpflicht, bis man seinen Platz erreicht hat. In der Pause darf man sich nur in eigens auf den Tickets vermerkten Räumen aufhalten. Es gibt kein Catering. Auf den Tischen sind Getränke vorbereitet.

Hamlet 560 JU Bochum u Abstand ist möglich: Sandra Hüller in der Titelrolle von Johan Simons' Bochumer Hamlet-Inszenierung ©  JU Bochum

In Regensburg werden von 550 Plätzen immerhin 180 besetzt sein. In der zweiten großen Spielstätte, dem Velodrom, können 200 Plätze von 600 genutzt werden. Die Abos sind für den Rest dieser Spielzeit ausgesetzt. Das Geld wird nicht zurückgezahlt. Es kann aber für ein Abo in der nächsten Spielzeit übertragen werden. Eine andere Variante: Die Abonnenten können den ihnen zustehenden Betrag dem Theater spenden. Der Intendant freut sich: "Da machen unsere Abonnenten erfreulich kooperativ mit." Es gelten nicht mehr die üblichen Platzkategorien. Im Zuschauerraum werden von der Mitte her Inseln gebildet, die besetzt werden können. Familien und Lebensgemeinschaften können so zusammen sitzen."

SusanneWinnacker 280 HTMRostockDie Bochumer Vize-Intendantin Susanne Winnacker  © HTM RostockAll diese Sicherheitsmaßnahmen machen sich bei den Einnahmen bemerkbar. Susanne Winnacker spricht von einem "finanziellen Desaster". In Regensburg wird man auf knapp eine Million Euro verzichten müssen. Im Münchner Volktheater schlägt das Defizit geschätzt mit 700 000 Euro zu Buche. Christian Stückl ist daneben auch für die Oberammergauer Passionsspiele verantwortlich. Dort geht es um Summen in ganz anderen Größenordnungen. Allein die Gagen belaufen sich auf 23 Millionen Euro. Die Passionsspiele mussten in diesem Jahr abgesagt, 450 000 Tickets rückabgewickelt werden. Stückl argumentiert: "Ein Drittel unserer Gäste kommt aus dem Ausland. Wir holen die Spiele im Jahr 2022 zwar nach. Wir können aber von den Leuten nicht erwarten, dass sie ihre Karten bis dahin behalten. Sie bekommen ihr Geld zurück."

Kulturpolitischer Handlungsspielraum

Die deutschen Theater blicken gespannt auf die Länder und den Bund. Welche Hilfen werden von dort kommen? Bühnenvereins-Geschäftsführer Grandmontagne: "Wir hoffen, dass über den Kulturinfrastrukturfonds des Bundes Hilfen kommen. Auch die Länder sind aufgefordert, etwas für ihre Theater zu tun. Das meiste Geld für die deutschen Theater kommt aber immer noch von den Kommunen. Weil man mit erheblichen Gewerbesteuerausfällen rechnen muss, können wir uns auf Einsparungen in der Kultur gefasst machen."

benjamin immanuel hoff 200 staatskanzleithueringenKulturminister Benjamin Immanuel Hoff © Thüringer Staatskanzlei

Gefragt ist in letzter Instanz wieder die Politik. Thüringens Kulturminister Benjamin Immanuel Hoff macht den Theatern seines Landes einerseits Hoffnungen, verweist andererseits aber auch auf die erheblichen Finanzprobleme der öffentlichen Hand: "Thüringen erwartet durch die pandemiebedingte Rezession Steuermindereinnahmen in Höhe von knapp unter einer Milliarde Euro für dieses Jahr. Das wird uns auch in unserem kulturpolitischen Handlungsspielraum beschränken."

Die gute Nachricht: "Wir wissen, dass wir die Einnahmeausfälle der Theater gegenfinanzieren müssen. Das Land wird ein Sondervermögen aufstellen, in dem unter anderem neun Millionen Euro für die Einnahmeausfälle der institutionellen Theater vorgesehen sind." Auch die privaten Theater sollen davon profitieren.

Hoff verspricht: "Hauptaufgabe für die Kulturpolitik ist es vor dem Hintergrund der konkreten Rahmenbedingungen, die wir in Thüringen haben, den institutionell geförderten Einrichtungen strukturelle Sicherheit zu geben. Uns ist es wichtig, dass sich die Künstlerinnen und Künstler sowie alle weiteren Beschäftigten am Theater keine existentiellen Sorgen machen müssen. Alle Akteure, auch die Honorarkräfte dürfen nicht unter die Räder kommen." 

 

 

Har Raab PortratHarald Raab ist Publizist und freier Journalist in Weimar. Er studierte Journalisik an der FU Berlin. 
Sein Büro für journalistische Dienste, Kunst und Kommunikation ist auf Theaterkritiken, Kulturreportagen und politische Analysen spezialisiert. 




In einer ersten Fassung dieses Textes war eine ältere Version des SARS-CoV-2-Arbeitsschutzstandards aus dem April 2020 verlinkt. In der aktuellen Version vom 7. Mai 2020 ist aufgrund eines neueren Erkenntnisstands nicht mehr von 12m Abstandsregelung bei Blasintrumenten in Blasrichtung die Rede. Die Passage wurde im Text entsprechend verändert.

Kommentare  
#1 Bericht Wiedereröffnung: KosmetikKatrin 2020-05-14 12:56
Intendant*innen ändern innerhalb von Tagen und Wochen die Spielpläne 20/ 21, die zuvor zum Teil über Jahre konzipiert wurden. Sie tun das proaktiv; man könnte auch sagen, sie sind eingeknickt vor dem Unbekannten. Denn nach wie vor gibt es keine Vorgabe, wie lange denn Theaterspielen nur mit Abstand erlaubt sein wird; sowohl auf, hinter und vor der Bühne. Im Zweifelsfall jedoch - das ist zumindest zu fürchten - bis es einen wirksamen Impfstoff in ausreichender Menge gibt - und eine Impfpflicht! Oder, wenn es die nicht gibt, bis das Virus anderweitig verschwunden ist.
Mit anderen Worten - Theater auf Abstand gilt wohl in jedem Fall noch sehr sehr lange, auch wenn es bislang - wohlweislich - in keiner Verordnung steht.
Da bekommt die Vorlage alternativer Spielpläne mit Kleinformaten und hohem Digital-Anteil etwas kosmetisches. Denn manches Haus wird es schlicht nicht überleben, wenn über das Jahr 2020 hinaus aus Sicherheitsgründen immer nur ein Bruchteil des künstlerischen Personals vor einem Bruchteil der möglichen Zuschauer*innen spielen darf - und im Zweifelsfall ein Repertoire spielt (spielen muss), für das es eigentlich kompetente (bessere) Spezialensembles gibt. Die Systemrelevanz von Theater, Oper und Konzert wird in Zeiten geschröpfter (kommunaler) Kassen sehr schnell negiert werden!
Anstatt Pflaster zu kleben, sollten die Intendant*innen diese schwärende Wunde allseits sichtbar machen!
#2 Bericht Wiedereröffnung: Bildunterschrift TfNH. 2020-05-14 14:14
Hallo,
mitnichten probt Florian Ziemen vom Theater für Niedersachsen so, wie es die Bildunterschrift andeutet. Vielmehr handelt es sich um ein bislang einmaliges Video, das extra produziert wurde.
www.youtube.com/watch?v=_P4ELc2o_5E

Wir sehen uns nach der Krise um halb acht!
(das ist die neue Abschiedsformel des TfN)


(Vielen Dank für den Hinweis. Das Video wurde in der Bildunterschrift verlinkt! Herzliche Grüsse aus der Redaktion)
#3 Bericht Wiedereröffnung: GrundgesetzStephan Ullrich 2020-05-14 14:24
Erinnern wir uns an die Schließung des Schillertheaters Berlin am 03.Oktober 1993!Darum wird es bald gehen. Die Forderung, Kultur als Staatsziel im Grundgesetz der Bundesrepublik Deutschland zu verankern, ist bereits im Jahr 2007 von der Kultur-Enquete-Kommission des Deutschen Bundestages aufgestellt worden. ... Große kulturelle Verbände wie der Deutsche Musikrat und der Deutsche Kulturrat unterstützen diese Forderung.
Würden Kunst und Kultur, unter diesem besonderen Schutz des Grundgesetzes stehen, wären schlagartig die Diskussionen und existenziellen Drohlagen vom Tisch.
Bundespräsident Richard von Weizäcker 1987:"Das Theater ist und bleibt unersetzlich."

aus:https://www.bundesregierung.de/breg-de/service/bulletin/aufgaben-und-ansprueche-des-theaters-in-der-gesellschaft-ansprache-des-bundespraesidenten-in-berlin-806554
#4 Bericht Wiederöffnung: rücksichtslos seinIsolde Oscar 2020-05-14 21:41
„Mit Vernunft in eine Normalität eintreten“, das wäre, worum es uns allen gehen sollte. Stünde hier noch ergänzend „die“ Normalität, dann wäre eine Bezugsgröße positiv benannt, die den Ausnahmezustand als das kennzeichnet, was er ist: eine temporäre Abweichung, deren schnellstmögliche Aufhebung das Ziel sein sollte der Politik ebenso wie jedes Einzelnen. Das setzt ein Interesse an „Normalität“ und deren rascher Wiederherstellung voraus. Unterstellt wird aber hier, dass die Ausnahmeregelungen sehr lange dauern werden: „Wir sollten uns hüten zu sagen, jetzt geht es ganz schnell wieder los.“ Warum? Diese Unterstellung der unausweichlichen Dauer ist das Vehikel, sich auf den Ausnahmezustand nicht nur „einzustellen“, sondern sich in ihm auf unabsehbare Zeit einzurichten; indem man die Unabsehbarkeit unterstellt, schafft man sie erst recht - eine self-fulfilling prophecy.

Es muss dabei nicht automatisch oder in erster Linie zur Debatte stehen, ob die Bestimmungen für die Theater sachlich-medizinisch begründet sind oder nicht. Die Wissenschaft sagt uns dies und sagt uns anderes. Das Medium der Wissenschaft ist der Dissens und dabei ist sie notwenig rücksichtslos. Entscheidend für unser weiteres „Leben mit dem Virus“, von dem allerorten die Rede ist, ist aber vielmehr die Übersetzung bestimmter wissenschaftlicher Erkenntnisse in Bürokratie - beispielsweise in die „Empfehlung für die Branche Bühnen und Studios“ der Unfallversicherung. Kunst sollte in ihren Bedingungen ebenfalls rücksichtslos sein. Und sie muss sich a priori weder mit Wissenschaft noch mit Bürokratie auskennen oder gar verstehen.

Die Bestimmungen und Vorschriften mögen sein, wie sie sind. Man kann darauf reagieren und sagen, daß unter solchen Bedingungen kein Theater möglich ist, kein „Auftreten“ (Helge Schneider). Man kann aber auch das Theater „Corona-tauglich“ machen: „Der Meterstab ist ein wichtiges Instrument, Fragen zu klären, die vorher rein bewegungsästhetisch und szenengerecht eine Rolle gespielt haben.“ Ich kontere mit einem weiteren Zitat: „Missfällt mir. Klingt schlecht.“ (Fontane)

Mit der bereits jetzt schon ins Werk gesetzten Umgestaltung der Spielpläne richten sich die Theater gefährlich weit im Ausnahmezustand ein, widerstrebend vermutlich und ganz sicher unter dem Zwang der Notwendigkeit des Betriebs, aber sie „managen“ ihn eben doch - wenn auch sicher nicht alle so lustvoll wie beispielsweise Christoph Lieben-Seutter, dessen Stimmung „lustigerweise“ richtig gut ist: „Auf eine komische, ja fast perverse Art macht es fast Spaß, diese Situation zu managen.“ (Hamburger Abendblatt vom 2.4.) Nun ja.
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