Entgelt als Abschaltfaktor

eine nicht-repräsentative Umfrage von Rainer Glaap

Bremen, 26. April 2020. Das Streaming-Angebot der Kultureinrichtungen hat mit Beginn der Corona-Pandemie und der damit einhergehenden Schließung von Kultureinrichtungen massiv zugenommen. Die Theater, Opern- und Konzerthäuser reagieren damit auf die versperrten Häuser und möchten ihren Besucher*innen helfen, die vorstellungsfreie Zeit zu überbrücken.

 Viele Angebote, viele Fragen

Die Angebote sind vielfältig. Zu Beginn der Krise dachten einige Häuser noch an Live-Streaming, was sich schnell als unmöglich herausstellte. Das Versammlungsverbot galt auch für die Akteure auf und hinter der Bühnen, nicht nur für die Zuschauer*innen. Stattdessen wurden Aufzeichnungen der unterschiedlichsten Provenienz angeboten: Mitschnitte von Generalproben, Premieren, TV-Aufzeichnungen, z.B. für das Berliner Theatertreffen, Verfilmungen wie die "Sommergäste" der Berliner Schaubühne.

Stellt sich also die Frage, wie die Zuschauer in Pandemie-Zeiten das Angebot der Kultureinrichtungen wahrnehmen. Gibt es mehr Interesse[1]? Wie wird konsumiert? Welche Angebote sind überhaupt bekannt? Gibt es eine Bereitschaft zur Bezahlung, gerade auch zur Verbesserung der derzeit desolaten finanziellen Lage durch den Wegfall von Eintrittsgeldern?

Um einige dieser Fragen zu beantworten, habe ich am Ostersamstag, dem 11. April 2020, eine Umfrage gestartet, um den Dingen ein wenig auf den Grund zu gehen. Die Umfrage ist nicht repräsentativ und entspricht nicht wissenschaftlichen Standards. Die Verteilung erfolgte über Facebook, Twitter und div. E-Mail-Verteiler, teils privat, teils öffentlich.

 

 

 

Mit Zwischenstand am 21.4. haben 317 Menschen an der Umfrage teilgenommen. Technische Grundlage war die Nutzung von "Forms", einem kostenlosen Angebot von Google.

 

Wer nutzt das Angebot?

91% der Befragten bezeichneten sich als "regelmäßige" Theatergänger. Hier wird klar, dass trotz aller Bemühungen des Autors, in die breite Bevölkerung zu gehen, eine klare Zuspitzung auf eine gewisse "Kulturblase" erfolgt ist. Für die weitere Betrachtung ist das aber noch von Vorteil, da einige der Erkenntnisse überraschen, gerade bei dieser Zielgruppe.

 

Die Altersverteilung ist relativ gleichmäßig über die Altersgruppen, mit eher untypischen 10,4% über 60.

Glaap Grafilk1 

Die Verteilung auf die Geschlechter ist für Kulturbesucher auch eher untypisch[2], nämlich fast gleich, mit 2,8% der Antwortenden, die sich als divers eingestuft haben. Die geografische Verteilung weist Schwerpunkte auf für den Raum Berlin, Köln und den Norden Deutschlands (Anm.: der Autor wohnt in Bremen und hat dort sicher einige Antworten im eigenen Bekanntenkreis generiert).

 

Welche Angebote sind bekannt?

Von den Befragten gaben 60% an, Streaming-Angebote von Theatern, Opern- und Konzerthäusern zu nutzen. Nur 25,6% der Befragten hatten bereits vor den Corona-bedingten Schließungen die Angebote genutzt, fast 70% noch nicht.

Bei der Frage, welche Streaming-Angebote denn bekannt seien, ergab sich folgendes Bild (Mehrfachnennungen waren möglich):

 

Glaap Grafik3a

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

Am bekanntesten sind die Mediatheken der öffentlichen Sender, gefolgt von nachtkritik.de mit wechselnden Streams verschiedener Theater sowie das Angebot der Berliner Schaubühne[3]. Die Angebote aus den USA und England sind sicher durch die seit Jahren laufenden Opern- und Theaterübertragungen in deutschen Kinos bekannt.

 

Die Genres

Bei den Genres ergibt sich eine klare Vorliebe für Theateraufführungen im weitesten Sinne. Musicals und Kabarett interessieren hier nur noch einzelne Befragte.

 

Glaap Grafik2 

Besonders interessant sind natürlich Antworten zur Anzahl der gesehenen Angebote und zur Verweildauer. Genauere Zahlen können hier natürlich nur die Anbieter nennen, die sicherlich Zählmöglichkeiten über Vimeo, Youtube, SpectYou und andere Plattformen haben, diese Zahlen aber bisher nicht herausgegeben haben (dem Autor sind jedenfalls keine bekannt).

 

Gesehene Produktionen

 

Glaap Grafik5

 

Nimmt man die beiden Kategorien 1-3 und 4-6 zusammen, haben immerhin 60,9% bis zu 6 Produktionen angeschaut, für manche Zuschauer (möglicherweise Dramaturgen, Kuratoren und besonders Theaterinteressierte) sind die derzeitigen Angebote hoch willkommen, 10 und mehr Produktionen haben immerhin 8,6% gesehen.

 

Verweildauer

Ein großer Unterschied zu den Besuchen in den Einrichtungen selbst ist die Verweildauer. Im Theater sitzt man konzentriert und schaut auf das Geschehen auf der Bühne. Die Gedanken schweifen möglicherweise ab, man unterhält sich aber i.d.R. weder mit seiner Nachbarin oder nutzt den sogenannten “second screen”, also das Smartphone (von unrühmlichen Ausnahmen abgesehen). Die oben schon genannte "Orestie" an der Schaubühne hatte eine Aufführungsdauer von 9 Stunden inkl. Pausen, eine Wagner-Oper erreicht leicht 5 Stunden, eine typische Schauspielaufführung vielleicht 3 Stunden. Die Geduld vieler Zuschauer kann im Internet nicht so lange strapaziert werden. Aus der Aufmerksamkeitsforschung weiß man, dass die Konzentration bereits nach 20 Minuten absinkt[4], wie möglicherweise viele Home Office-Arbeiter leidvoll aus ihren vielen Videokonferenzen berichten können.

Die Frage, wie viele Produktionen man sich also von Anfang bis Ende angeschaut habe, wurde so beantwortet:

 

Glaap Grafik4 

Fast die Hälfte (41,6%) der Zuschauer hat sich keine einzige Produktion bis zum Ende angeschaut, ein Drittel (33,1%) 1 - 3 Produktionen. Die Gründe dafür mögen vielfältig sein, hätten aber den Rahmen dieser Untersuchung gesprengt. Möglicherweise ist das auch eine Frage der technischen Endgeräte, dazu gibt es weiter unten noch eine eigene Abfrage. Das Phänomen scheint aber weit verbreitet. Bei der Abschlusskonferenz von Operavision[5], einer Plattform div. europäischer Opernhäuser, zum Ende des ersten Förderzeitraums von 3 Jahren durch die EU wurde meine Frage nach der Verweildauer damit beantwortet, dass die Mehrzahl der Zuschauer nach 20 Minuten aus einer der angebotenen vollständigen Operninszenierung wieder ausgestiegen waren.

 

Zahlungsbereitschaft

Von besonderer Bedeutung in Zeiten auch der finanziellen Krise ist die Frage nach der Bezahlung. Nur 53,2% der Befragten sind bereit, überhaupt etwas für Streaming in Form einen Beitrages zu bezahlen (es wurde hier nicht unterschieden zwischen Einmal-Zahlungen oder Abonnements, wie sie z.B. bei der Digital Concert Hall der Berliner Philharmoniker[6] oder takt1 möglich sind). Von denen, die bereit sind, für das Angebot zu bezahlen, wurde diese Zahlen genannt:

 

Glaap Grafik6 

Die Bereitschaft, pro Stream einen Beitrag zu bezahlen, ist also verhältnismäßig gering, fast die Hälfte der Befragten hatte ja schon in der vorgelagerten Frage klar signalisiert, nichts zahlen zu wollen. In absoluten Zahlen waren die am häufigsten genannten Beträge 5 Euro (52 Nennungen und gleichzeitig der Median) und 10 Euro (32 Nennungen), im Durchschnitt 7,31 Euro.

Gefragt wurde in diesem Zusammenhang auch nach dem Bereitschaft, nach dem Ende der Pandemie und der damit angenommenen Wiedereröffnung der Häuser weiter gestreamte Angebote wahrzunehmen. 50% der Befragten verneinten das.

 

Endgeräte

Abschließend noch ein Blick auf die verwendeten Endgeräte. Diese haben möglicherweise einen starken Einfluss auf den Genuss der Darbietungen. Nur ein Viertel der Befragten schaut sich die Streams auf dem Smart-TV[7], also mit angenommener hervorragender Bild- und Ton-Darbietung, an. 75% nutzen Desktop und Laptop mit naturgemäß anderer Haltung und anderer Qualität. Möglicherweise würden hier mehr technische Expertise in den Haushalten und/oder mehr Anleitungen, Handreichungen oder Lehr-Videos für mehr Anschluss und Genuss sorgen.

 

Fazit

Die Nutzung der digitalen Angebote in Form von Live- oder On Demand-Streaming wird selbst bei theateraffinen Nutzern nur teilweise angenommen. Die Zahlungsbereitschaft pro Stream liegt bei 5 Euro bis 10 Euro, wobei die Hälfte der Benutzer gar keine Zahlungsbereitschaft zeigt. Als Ersatz für ausfallende Eintrittsgelder kommt Streaming in der heutigen Form nicht in Frage. Zum einen ist die Verweildauer zu gering, zum anderen sprechen möglicherweise auch technische Gegebenheiten gegen den vollen Genuss eines Theater-, Opern- oder Konzertabends zu Hause.

 

RainerGlaapRainer Glaap hat Theaterwissenschaften u. Germanistik in Frankfurt, Köln und Houston/Tx. studiert. Seit 1984 ist er mit Unterbrechungen (Gründung und Betrieb von theaterportal.de 2002 - 2005) in der IT-Branche tätig, zuletzt 15 Jahre bei CTS EVENTIM. Seit dem 1. Januar 2020 befindet er sich im Ruhestand. 

https://twitter.com/r_glaap

 

Mehr zum Thema 

Theater-Streaming & Video-On-Demand im Internet und das Urheberrecht von Rolf Bolwin

Das Theater und sein digitales Double von Christian Rakow

 

Fußnoten

[1]Prof. Holger Noltze: “Ich habe diese Randständigkeit des Videostreamings immer auf noch mangelnde Gewöhnung geschoben. Wir sind so verwöhnt durch die geographische Dichte unserer Konzerthäuser in Deutschland, durch das Angebot öffentlich-rechtlicher Kanäle, dass wir uns kaum genötigt sehen, auf Video-Streams zuzugreifen.” Quelle: https://www.faz.net/aktuell/feuilleton/buehne-und-konzert/holger-noltze-ueber-die-digitale-zukunft-klassischer-musik-16729728.html (19.4.2020)

[2] So hat beispielsweise die Studie des Zentrums für Audience Development (Berlin) in einer Untersuchung für das Staatstheater Braunschweig 2015 festgestellt, dass der Anteil der weiblichen Besucher beim Staatstheater Karlsruhe bei 67,2% lag. 71,3% der Besucher waren 50 Jahre und älter.
Quelle: http://www.stiftung.staatstheater-braunschweig.de/media/StaatstheaterBraunschweig_BesucherbefragungErgebnisse_150504.pdf

[3]Thomas Ostermeier, Intendant der Schaubühne, hatte in einem Zeitungsinterview bis zu 20.000 Zuschauer für einzelne Angebote angegeben. QUELLE: https://www.wz.de/kultur/theaterregisseur-ostermeier-wie-lange-wird-es-dauern_aid-49814983

[4] s.a. https://lexikon.stangl.eu/6553/konzentrationsspanne/

[5] Nach Angaben von SocialBlade hat Operavision am 20.4.2020 immerhin 25.303 weltweite Videoabrufe. Inwieweit diese Zahlen die wirklichen Abrufe widerspiegeln, kann nicht überprüft werden. https://socialblade.com/youtube/c/operavision

[6] Die Digital Concerthall hat zu Beginn des Lockdowns mit einem Gutschein für eine kostenlose Nutzung für 30 Tage neue Besucher gelockt. Über den Erfolg dieser Aktion liegen keine öffentlichen Zahlen vor.

[7] Dazu gehörten lt. Auswahl Smart-TV (einige bieten z.B. die Digital Concerthall-App direkt an, z.B. Panasonic), Chromecast (z.B. für Übertragungen vom Smartphone aufs TV-Gerät) oder das Fire TV von Amazon (mit zahllosenApps, auch der o.a. genannten Digital Concerthall-App).

Kommentare  
#1 Umfrage Streams: frei herausThomas Rothschild 2020-04-27 18:00
Sieht man mal von dem Zauberwort Streaming ab, erwiese sich das Angebot als weniger sensationell, wenn es den ZDF Theaterkanal noch gäbe. Zum Teil sind es Aufzeichnungen, die dort zu sehen waren, die jetzt auch für das Streaming zur Verfügung gestellt werden. Und für das Fernsehen zahlen wir bereits Gebühren, auch wenn es uns anstelle von Peymanns "Heldenplatz" oder Schwiedrzik / Steckel / Steins "Mutter" Bares für Rares liefert. Hinzu kommt, dass die Streaming-Angebote von sehr unterschiedlicher Qualität sind. Man überprüfe einmal, welche von den aufgezeichneten Inszenierungen nachtkritik.de als besprechenswert erschienen sind. Und sagen wir es frei heraus: Manche Autorenlesungen sind in der Quarantäne eher strafverschärfend als ermutigend. Sie dürften eher der Selbstdarstellung als der kulturellen Erbauung dienen.
#2 Umfrage Streams: nie bezahltPeter M 2020-04-27 23:55
All diese Streamingangebote bestehen fast ausschließlich aus Inhalten, die Künstler für Live-Präsentationen geschaffen haben. Abgesehen davon, dass diese Inhalte meistens gar nicht für Kameraperspektiven und Filmschnitt geeignet sind, werden die Unrheber für diese Verwertung ihrer Rechte fast nie bezahlt. Das ist in dieser Ausnahmesituation vielleicht verständlich - aber die Gefahr ist, dass es ab jetzt für immer selbstverständlich genommen wird.
#3 Umfrage Streams: zahlen + chattenAnastasia 2020-04-28 11:13
Die Produktion „One Man, Two Guvnors“ von National Theatre London hatte Gesamteinnahmen von 75.037 $! Spenden konnte man während der Premiere auf Youtube und danach, als das Video online abrufbar war. Wie bei den anderen Streams von National Theatre konnte man gleichzeitig mit dem Spenden auch chatten und sehen, wie viel andere Gäste gespendeten.
Die gleichen Ergebnisse waren auf dem Kanal „The Shows Must Go On“, wo Andrew Lloyd Webber seine Musicals zeigt.
Bei den meisten deutschen Theaterstreams (Vimeo, Youtube usw.) gab es bisher keine Möglichkeit zu spenden! Das kann man kaum nachvollziehen, wenn man die derzeit desolate finanzielle Lage der Theater in Betracht zieht.
#4 Umfrage Streams: schwarz auf weißBenno Schirrmeister 2020-04-28 11:33
zeigt das ermutigenderweise noch einmal, wie wenig digital theater konkurrenz macht, und was dort funktioniert - nämlich teaser und clips: den raum besetzten ist nur im raum möglich. VR ist das sicher ein anderer schnack. schön, dass man es mal schwarz auf weiß besitzt....
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