Verblassende Kaskaden

von Christian Rakow

Berlin, 14. September 2018. Dass die beiden zusammenfinden würden, war auch nicht zu erwarten: Thomas Bernhard und Thom Luz. Bernhard, der Autor mit der Füllfederramme, der zu Lebzeiten praktisch alles in Grund und Boden schrieb: Österreich natürlich, dieses Land voller "gemeiner Nazis und stupider Katholiken", oder die "Alten Meister" wie den "schrecklichen Ur- und Vor-Nazi" Dürer, oder Heidegger, diesen "lächerlichen nationalsozialistischen Pumphosenspießer" und "Voralpenschwachdenker", oder den "miserablen" Komponisten Bruckner mit seinem "chaotisch-wilden, auch noch im hohen Alter religiös-pubertären Notenrausch".

Und dagegen Thom Luz, der den Grund und Boden eigentlich nur kennt, um sich davon abzustoßen; dieser durch und durch musikalische Regisseur, der lieber auf den Schwingen einer Klavier-Fuge dahinflieht als an der Rampe zu siedeln und mit Worten herumzunageln; der Mann, der eine Nebelmaschinensammlung besitzt, die er unlängst in Girl From The Fog Machine Factory aufs Wundervollste für sich sprechen ließ.

alte meister 1587 560 arno declair uSurreale Wiedergänger: Katharina Matz, Wolfgang Menardi, Camill Jammal, Christoph Franken
@ Arno Declair

Das ist also die unvermutete Kombi: Bernhard, der hartmeinende, mit seinem Rundumschlag-Prosahammer "Alte Meister" (von 1985) in der Regie des inwendigen Klangkunstphilosophen Thom Luz. In den Kammerspielen des Deutschen Theaters kamen sie zusammen.

Ungewöhnliche Gewohnheitsmenschen

Nebel wabert hinter einer Gaze-Wand, ein Museumssaal deutet sich an; drei Museumswärter erscheinen schemenhaft darin und tauchen sogleich wieder ab ins neblige Nichts. Es sind als Verkörperungen des getreuen Wärters Irrsigler: Christoph Franken, Camill Jammal und Wolfgang Menardi. Ihnen gegenüber, auf einer Sitzbank vor der Gaze-Abtrennung platziert sich Katharina Matz, als Wiedergängerin des Roman-Protagonisten Reger, der in "Alte Meister" seit 30 Jahren jeden zweiten Tag das Kunsthistorische Museum Wien aufsucht, um sich dort vor Tintorettos "Weißbärtigem Mann" in Grübelei über das Elend der Welt zu ergehen, wovon er seinem wackeren Protokollanten Atzbacher eingehend Kunde gibt.

Bernhards Roman-Komposition wurde mit der Kunst der Fuge verglichen, als gleichsam musikalische Durchführung, Variation und Umkehrung von Themen. Und mindestens darin müsste sein Werk Thom Luz liegen. Zumal sich in den Themen eine Liebe zum Schrulligen und Eigentümlichen niederschlägt, die Luz nicht fremd ist. Bernhards Figuren sind ja im Kern ungewöhnliche Gewohnheitsmenschen, Pedanten, die sich auf abseitige Routinen verlegen, die sich gleichsam aus dem Alltag verrücken. Das Wort "verrückt" bekommt bei Bernhard eine sehr fassliche Bedeutung.

Köpfe durch Museumswände

Thom Luz zelebriert diese Schrullen, wenn er seinen Pianisten Daniele Pintaudi mit schonungsloser Penetranz endlos den salonsüßlichen Steiermärker von Anton Bruckner repetieren lässt. Er findet surreale Momente, wo seine Museumswärter fast wie die Anzugträger auf Gemälden von René Magritte durchsichtig werden, ihre Köpfe durch die Museumswände stecken oder durch diese Wände (die sich dabei als Vorhänge entpuppen) ganz entschwinden. Die Bühne von Thom Luz und Wolfgang Menardi ist fraglos ein Wurf.

alte meister 1443 560 arno declair uWitzelnde Wärter: Katharina Matz, Wolfgang Menardi, Camill Jammal, Christoph Franken
© Arno Declair

Aber ach, es bleiben nur Momente. Die äußerst kompakte Spielfassung, die Luz und David Heiligers dem Roman abgewonnen haben, spart praktisch alle lebensweltlichen Kontexte der Bernhard'schen Suada aus. Kein Österreich-Bashing, nun gut, nichts zu den pygmalionartigen Dressuren, die der betagte Reger seiner Frau einst angedeihen ließ, überhaupt wenig zum Verhältnis der Eheleute. Der im Roman so zentrale Tod der Frau ("die ganze Kunst, wie auch immer, ist nichts gegen diesen einzigen geliebten Menschen") wird nurmehr gestreift; die Besetzung der Figur Regers mit Katharina Matz wirft hier keine frischen Blickwinkel auf die Geschlechterrollen. Das Reden Regers ist ohnehin größtenteils dem Wärtertrio Jammal, Franken, Menardi überantwortet.

Vorauseilendes Witzeln

Die Ausdünnung gibt dem Lamento über die "Alten Meister" und den Zustand der Künste etwas seltsam Abgehobenes und Cleanes. Schwerer aber wiegt, dass Bernhards Wort-Kaskaden in der Verkürzung poetisch verblassen, ja geradezu unmusikalisch werden. Das notorische Insistieren fällt aus, das unerbittliche Einhämmern der Schmähattribute, die so herrlich komische und klingende Bernhard'sche "Vergrausungsmethode". Nichts mehr da. Stattdessen flüchtet sich das Wärtertrio in einen Ton vorauseilenden Witzes.

Einzig Katharina Matz lässt im Finale mit der berühmten Verschimpfierung des Burgtheaters etwas von der Selbstverständlichkeit und Tiefe ahnen, die diesem gründelnden Granteln abgewonnen werden könnten. Abseits davon aber war's heute eher luftig als leicht, eher tönend als tondurchwirkt. Das Treffen zweier, die sich nicht kannten, und sich nicht kennenlernten.

 

Alte Meister
nach Thomas Bernhard
Fassung von Thom Luz und David Heiligers
Regie: Thom Luz, Musikalische Leitung: Mathias Weibel, Bühne: Wolfgang Menardi, Thom Luz, Kostüme: Sophie Leypold, Licht: Thomas Langguth, Dramaturgie: David Heiligers.
Mit: Christoph Franken, Camill Jammal, Katharina Matz, Wolfgang Menardi, Daniele Pintaudi.
Dauer: 1 Stunde 15 Minuten, keine Pause

www.deutschestheater.de

 

Kritikenrundschau

Thom Luz trete "Werken nicht als durchdringender Analytiker und verbindlicher Interpretator entgegen, sondern er begnügt sich damit, den ausgesuchten Text zu arrangieren und sehr genau in ein Klang- und Musikarrangement zu fügen", schreib Ulrich Seidler in der Berliner Zeitung (online 15.9.2018). "Er stellt das Werk hin, öffnet es, bringt es in Schwingung und freut sich an ihm. Die Ausdeutung interessiert ihn nicht, weshalb man sich als Zuschauer manchmal verläuft und allein bleibt und warten muss, bis sich der Nebel ein bisschen verzieht, in der Hoffnung, dass dann noch etwas da ist. Mehr sollte man vom Theater lieber nicht verlangen."

Mit einem Wort: "lieblich", findet Christine Wahl im Tagesspiegel (online 15.9.2018) diese Bernhard-Adaption: "Aus der Inszenierung selbst erschließt sich nicht so recht, was Luz an Bernhard genau interessiert." Der Roman sei "auf wenige Kernpassagen reduziert, die dann vom verdreifachten Museumswärter Irrsigler (Christoph Franken, Camill Jammal und Wolfgang Menardi) betont auf Pointe intoniert werden".

Von einer "geistreichen, filigran-schönen Inszenierung" berichtet Irene Bazinger in der Frankfurter Allgemeinen Zeitung (18.9.2018). Bernhards "Alte Meister" verlören hier "an Bedeutungslast", gewönnen dafür "an dynamischer Dramatik und anarchischer Unterhaltsamkeit. Wie ein vorzügliches Streichquartett bringt das Ensemble das Romanstück subtil und emphatisch in herzinniglichen Schwung. Und so bekommt Thomas Bernhards mürrische Kunstbetrachtung eine ganz neue Di­mension: Sie lässt sich mit den Au­gen anhören und mit den Ohren ansehen. Was für ein Vergnügen!"

 

Kommentare  
#1 Alte Meister, Berlin: Problem Thomas BernhardSascha Krieger 2018-09-15 10:41
Frau Reger beschwört herauf, die Geister einer Vergangenheit, in der sie schon nur noch als abwesend vorkam. So lässt sie die Irrsiglers bruchstückhaft Passagen aus dem Roman aufsagen, wiederholen variieren, mitunter durchs Mueseumslautsprechersystem, rezitiert selbst Textteile, versucht durch die textliche Beschwörung eine Nähe und Gegenwart zu erzeugen, die längst unmöglich geworden sind und es vielleicht immer schon waren. Die drei Erinnerungswächster ergehen sich in allerlei Stummfilm-Slapstick, wie Automaten der Erinnerung, Puppen der Einbildung, keine Mitstreiter, Weggefährten, Durchbrecher der Winsamkeit. Und doch sind sie real, für die gespenstisch Schwelgende, die lange Gegangene, Mitgeister, wenngleich auch nur in der Fantasie. Wie sie einst (oder jetzt gerade?) Herrn Reger halfen, eine Nähe zu simulieren, Erinnerungen aufrecht zu erhalten, die längst entschwunden waren, bilden sie jetzt die Brücke zum Verlorenen, der ein Verlirender war. Am Ende kommen die Irrsiglers vor den Vorhang, in ihre Realität. Doch sie kann den Raum nicht teilen und geht in den leeren Saal. ganz nah bei Vergangenheit und Verbundenheit und doch so weit entfernt.

Das sollte den Zuschauer zart berühren – und tut es doch viel zu selten. Denn der Abend hat ein gravierendes Problem: Thomas Bernhard. Dessend grantelig misathroper Tonfall, dessen mauliges Dauergejammer will nicht so passen zur melancholosch-elegisch-intimen Erinnerungsmeditation des Thom Luz. Überraschend geschwätzig gerät dieser Abend denn auch und ständig zwischen Dur und Moll streitend. Das Slapstickgeplapper der Irrsiglers nähert sich Bernhard an, während die still relektierende Betrachtung der Frau Reger purer Thom Luz bleibt. Doch zusammenkommen wollen – oder können – die zwei narrativen Königskinder nicht. Zu oft wirken die neckisch absurden Choreografien, irgendwo zwischen Beckett, Surrealismus und Puppenspiel, wie ein Selbstzweck, wie mäßig komischer Unterhaltungsapparat, ein Intermezzo in einer halb erinnerten Revue. Deren Zuschauer jedoch nur wir sind, nicht die vermeintliche Geisterbeschwörerin. Da entfliegt der Text, vergisst das Publikum die Szenerie, sieht Miniaturen, die sich vom Raum, vom Kontext emazipiert haben.

Kasperletheater über Thomas Bernhards Text. Denn dieser passt nicht hinein in eine Geisterbeschwörung, in ein meditatives Erinnern. Er sträubt sich, zetert dagegen an, lässt sich nicht vereinnahmen. Und Thom Luz findet keinen Weg, die Spannung produktiv zu gestalten, in dem Mittelpunkt seines Abends zu rücken. Dabei gibt der Autor dem Regisseur Vorlagen: Seine tiraden über und gegen die Kunst, auch und nicht zuletzt das Theater könnten den gemeinsamen Grund bilden, auf dem sich beider so unterschiedliche Blicke begegnen. Doch Luz findet ihn nicht. Und so verzwergen kunsthistorischen Anfälle zu lustig groteske Albernheiten eines alten Nörglern, reduziert sich die Theaterhassliebe Regers – er verabscheut das Burgtheater und lädt doch einen seiner Gesprächspartner dorthin ein, um nicht allein zu bleiben – zur bloßen Schlusspointe: „Die Vorstellung war entsetzlich!“ Natürlich ist es diese nicht, aber sie verfliegt wie der kurz einsetzende Bühnennebel. Thom Luz will in eine Richtung, Bernhard in eine Andere. Am Ende bleiben keine Fragen offen, denn es wurden keine gestellt.

Komplette Rezension: stagescreen.wordpress.com/2018/09/15/alte-geister/
#2 Alte Meister, Berlin: Frage(n) offenBerliner Dramaturgie 2018-09-15 11:59
Bliebe die offene Frage, WARUM das Theater viel Zeit und Geld und Talent einsetzt um Zuschauern zu zeigen, wie man sehr schön - Vorhang zu oder auf - k e i n e Fragen stellt...
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