Die Adam-and-Eve-Show

von Gerhard Preußer

Wuppertal, 7. September 2018. Alles ist zu sehen: Die Küche von Frau Marthe mit den vielen Krügen, Richter Adams wunderlich verwüstetes Gemach, der Gerichtssaal mit dem Kruzifix, der Hühnerstall mit echten Hennen und Evchens Kammer mit dem grünen Rebstock vornedran. In Kleists Stück besprechen die Figuren das Ereignis, in dem der Krug dann irgendwie zu Bruche ging, von allen Seiten. Doch immer nur im Saal vor Richter Adam. Im Wuppertaler Opernhaus wird all das nun ausagiert. Wie schön die Bilder auf dem Krug doch waren; wie Ruprecht, Evchens Verlobter, meint, dass der Rivale Leberecht den Krug zerbrach; wie Evchens Mutter Marthe meint, dass Ruprecht Krug und Evchen schändete. Alles sieht man vor sich in 3D im übervollen, fünf Räume verschachtelnden Bühnenbau von Pia Maria Mackert. Mal so, mal so, alternative Fakten eben. Marcus Lobbes’ Inszenierung bringt Kleists Wort-Komödie in das visuelle Zeitalter.

Moderation statt Aufklärung

Was braucht’s die Fantasie der Zuschauer: schauen sollen sie und klatschen. Applaus wird eingefordert. Aufklärung durch Gerichtsrat Walter (Jonas Gruber)? Dessen Verwaltung doch schon immer von zweifelhafter Unparteilichkeit nur war? Hier ist er ein Showmaster schmierigster Sorte. Die Adam-and-Eve-Show kündigt er an und steigt dabei die silbrig glitzernde Treppe hinab. Moderation statt Aufklärung. Immer wieder kommentiert er im rosa Anzug den Prozess und animiert das Publikum zur Partizipation. Was braucht es Recht, Gesetz und Richter, wenn es des Volkes gesundes Empfinden gibt ("das Rechtsempfinden der Bevölkerung", so Moderator Walter und NRW-Justizminister Herbert Reul)?

DerZerbrochneKrug4 560 UweSchinkel uJustiz als Show © Uwe Schinkel

Die "running gags" rennen durch den Abend: jedes möglicherweise beleidigende Wort ("Schlingel", "Schuft", "Scharlatan" usw.) wird von Eve mit einem schrillen "Ups" und von allen anderen mit einem entrüsteten "Er hat Sch… gesagt" quittiert. Wird Ruprecht irgendwie beim Namen nur genannt, schon ruft er "Hier!". Sagt jemand zu Eve "Jungfer", stöhnt Ruprecht höhnisch auf und greift sich in den Schritt. Schlägt Adam mit dem Hammer auf den Tisch, schreien alle wie getroffen auf. Das Übermaß der Gags macht Lachen immer mühsamer. Man lacht halt ganz so aus Gewohnheit weiter oder der Lacheffekt verflüchtigt sich in Reflexion. Warum lach' ich denn? Trivialer Witz wirkt doch. So macht man nach Herbert Fritsch Komödie im Theater.

Roy Black lässt grüßen

Thomas Braus, Intendant und erster Schauspieler seines Hauses, ist nun kein Adam Breitgesäß wie einst Emil Jannings. Muss er auch nicht. Sein Schmerbauch ist nur ausgestopft: ein vor sich selbst fliehender dörflicher Ödipus, eine gehetzte Randfigur. Am Ende geistert er im roten Teufelskostüm herum, als Karnevalist, ein aufgeblasener, spillriger Schreckensdarsteller, kein furchtbarer Jurist.

Die Kostüme sind von ausgesuchter Scheußlichkeit: Eve (Lena Vogt) im glänzenden Bustier, luftigem rosa Tütü und gelben Gummistiefeln, Ruprecht mit riesenhafter Fellmütze und golden ornamentiertem Trainingsanzug. Frau Marthe dickbäuchig im hellblauen Hänger mit Holzpantinen in knalligem Orange. Rat Walter mit schwarzer Haartolle und Schlaghosen, schlimmer als jemals D.T. Heck oder Roy Black.

DerZerbrochneKrug5 560 UweSchinkel uKostüme von ausgesuchter Scheußlichkeit; Ausstattung: Pia Maria Mackert © Uwe Schinkel

Gesprochen wird mit Tempo, als wär' der Blankvers Kleists nur Alltagsgewäsch, rhythmisiert durch die Tischklingel des Schreibers Licht und ganz zufällig dabei so hart geschärft und pointensicher. Danach möcht' man nur noch in Jamben denken, schreiben, träumen, lachen.

Gegen die Langeweile des analytischen Gerichtsdramas kämpft die Inszenierung heldenhaft. Das Ganze dauert nur kurze 90 Minuten, und trotzdem spielt man den langen Schluss, den "Variant", den Kleist nach der durchgefallenen Uraufführung strich. Warum so kurz, warum so lang? Man kennt ja die Geschichte. Die Spannung, wer's denn war, ist von Anfang an entspannt. So könnte oft der Vorhang auch schon fallen.

In Wuppertal rauscht der blaue Vorhang tatsächlich vier Mal heran und Showmaster Walter verkündet jedes Mal, der Fall sei nun gelöst, wir könnten nun auch gehen. Doch die Wahrheit ist noch nicht am Licht. Und Eve muss noch die Männer abservieren, nach Adam dann den Ruprecht, schließlich auch Rat Walter. "Ich spiel' den Schluss alleine", sagt sie dann und erzählt uns, wie es wirklich war, als Adam Eva nehmen wollte. Am Ende ist die Wahrheit doch nur im Wort. Wir sehen sie nicht. Wir sehen nur eine Frau – allein, nachdem sie alle grabschenden Männer vertrieben hat.

Eine Komödie – belachbar und durchdenkbar.

 

Der Zerbrochne Krug
von Heinrich von Kleist
Inszenierung; Marcus Lobbes, Bühne & Kostüme: Pia Maria Mackert, Dramaturgie: Barbara Noth.
Mit: Jonas Gruber, Thomas Braus, Konstantin Rickert, Philippi-ne Pachl, Lena Vogt, Alexander Peiler, Julia Reznik.
Dauer: 1 Stunde 30 Minuten, keine Pause

www.wuppertaler-buehnen.de

 

Kritikenrundschau

"Eine Premiere und Spielzeiteröffnung mit witzigen, rasanten und einfach unterhaltsamen Elementen, die gleichwohl nicht in Oberflächlichkeit abglitt" hat Monika Werner-Staude von der Westdeutschen Zeitung (10.9.2018) gesehen. Die Prozessbeteiligten seien "allesamt schräge Karikaturen": der Gerichtsrat Walter von Ensemblegast Jonas Gruber ein schmieriger Showmaster, "eine Mischung aus Guildo Horn, Rex Gildo und John Travolta" im pinkfarbenen Hosenanzug; der Richter Adam von Thomas Braus kein mächtiger, diabolischer Verführer, sondern ein gehetzter, hilfloser, ungeschickter Dorfrichter mit klaffenden Wunden am Kopf; die Eva von Lena Vogt "sucht nicht ihr happy end in der Ehe, sondern in der Wahrheit und einem entschiedenen Nein an den nächsten Verführer", wie Werner-Staude schreibt. "So endet das Stück nach anderthalb atemlosen und kurzweiligen Stunden mit ernstem Blick auf die #Metoo-Debatte."

 

Kommentare  
#1 Der zerbrochne Krug, Wuppertal: nachdenkenBrigitta Hildebrand 2018-09-08 13:26
Lieber Gerhard Preußer,
Ihre Nachtkritik gefällt mir. Sie nennt die Schwachstellen, ohne die Inszenierung zu zerreißen. Allerdings war es meiner Meinung nach aber keine, die mich nun großartig zum Nachdenken angeregt hätte. Dazu war mir der Kleister aus "running gags" einfach zu dick. Ohne Ihre Erwähnung des dubiosen "Rechtsempfinden der Bevölkerung" oder des eigentlich starken Schlußes mit der fantastischen Lena Vogt als Eve wäre mir auch das im Klamauk versunken.
Jetzt erst habe ich was zum Nachdenken.
Beste Grüße!
Brigitta Hildebrand
Kommentar schreiben

Sicherheitscode
Aktualisieren