Methode: Arschloch

von Janis El-Bira

Berlin, 7. September 2018. Und dann wird doch noch ein Name genannt in "Yes But No", dem neuen Stück von Regisseurin Yael Ronen und ihrem Ensemble, mit dem das Gorki-Theater seine neue Spielzeit eröffnet. Lange hatte Taner (Taner Şahintürk) uns und seine Mitspielerinnen hingehalten, wer der "berühmte Volksbühnen-Regisseur" war, der ihm zu Schauspielstudienzeiten an einer Mitstudierenden vorgeführt haben soll, "wie ein richtiges Arschloch fickt" – der berühmte Regisseur 67, die Studentin 21 Jahre alt.

Zuvor konnte man vielleicht noch lachen über den wirren Quatsch, den Taner aus der damaligen Probenarbeit erinnert. Dass die Spieler nackt auf die Bühne krabbeln, sich in die Hand scheißen, Deutschlandflaggen beschmieren und Hakenkreuze malen sollten. Regietheater eben. Berserkerhaft, großkünstlerisch, irgendwie peinlich, irgendwie genial. Aber dann wird es unangenehm, quälend, wenn Taner die Stöße imitiert, mit denen der Regiealtmeister das arschlochgemäße Ficken an der jungen Frau simuliert haben soll. Es wird abgefragt: Schlingensief? Natürlich nicht. Castorf? Nö. Die Namen klirren wie Porzellan, das im Nebenzimmer aus dem Schrank fällt. Man hofft, dass nicht die Lieblingstasse darunter war. Schließlich sagt Taner: "Leute, ich habe kein Problem damit zu sagen, dass es Johann Kresnik war."

YesbutNo1 560 Ute Langkafel uIm Dienste der Aufklärung. Vorne: Orit Nahmias; hinten: Svenja Liesau, Riah May Knight, Lindy Larsson, Taner Şahintürk © Ute Langkafel

Für Momente wie diesen muss das Theater irgendwann einmal erfunden worden sein. Königsmord auf offener Bühne, im Spiel zwar und doch so wirklichkeitssatt, dass ein Kritikerkollege beim Pausengespräch schon rechtliche Konsequenzen fürchtete. Aber natürlich ist das, was dem Regisseur Kresnik – oder besser noch: einer Texterscheinung, die den Namen "Johann Kresnik" trägt – vorgeworfen wird, nicht justiziabel. Der Text identifiziert das selbst, wenn er Taner sagen lässt: "Für ihn ist das sicher keine #MeToo-Geschichte, sondern seine Methode. Der ist einfach so." Und vielleicht ist das nicht nur für den Beschuldigten kein #MeToo-Moment, sondern überhaupt keiner. Denn schließlich hat die junge Studentin in die "Methode" ja eingewilligt. Doch es ist genau diese heikle Nicht-Ausdrücklichkeit des Yes-but-no, um die Yael Ronens Abend mit großer Leichtigkeit kreist: Ein "me, too?", das kein #MeToo, ein Ja, das nur geradeso kein Nein, ein ekelhafter Typ, der aber doch kein Täter ist.

Bedrohte Männlichkeit im Studio

Auf die mehr oder weniger ekelhaften Typen hatte zuvor indes schon die Ouvertüre dieser Saisoneröffnung vorbereitet. Im Gorki-Studio war mit "You Are Not The Hero Of This Story" von Suna Gürler und Lucien Haug eine Premiere zu sehen gewesen, in der sehr wohl die Männer die Helden der Geschichte waren, wenngleich sie zum überwiegenden Teil von Frauen gespielt wurden. Haugs und Gürlers Text appliziert den Mythos von der bedrohten Männlichkeit, wie er etwa von Jens Jessen in der ZEIT wortreich herbei gemansplaint worden ist, auf eine Theatersituation, in der Haupt- und Nebenrollen klar verteilt sind und das Wort "Intendanten" garantiert kein generisches Maskulinum ist. Der selbsterklärte Star der Show heißt bezeichnenderweise Adam (Elena Schmidt) und findet, dass sich alle mal nicht so anstellen sollen. Dazu gibt es vom Band O-Töne besorgter Mit-Männer, über die sich relativ wohlfeil amüsieren lässt. Viel Spaß macht hieran vor allem das junge, in identische Business-Anzüge gepresste Ensemble, das so lange ackert, stampft und ringt, bis sich beim Herabrutschen von der fies schrägen Bühnenrampe lange Schweißschlieren bilden und das winzige Studio zum Dampfbad wird.

YesbutNo2 560 Ute Langkafel uIm Bühnenbild von Magda Willi: Riah May Knight, Lindy Larsson, Taner Şahintürk, Svenja Liesau
© Ute Langkafel

Yael Ronens "Yes But No" hingegen bleibt anschließend über den heiklen Kresnik-Punkt hinaus erstaunlich schweißfrei. Überhaupt eint ja die besten Arbeiten dieser Regisseurin, dass sie eben so gar nicht nach Arbeit aussehen. Großartig sind auch in "Yes But No" die völlig bruchlosen Temperaturwechsel, wenn etwa die anfänglichen Erzählungen des Ensembles über kindliche Körpererkunden und erste Masturbationserfahrungen quasi unmerklich in Missbrauchsberichte hinübergleiten. Wie so häufig bei Ronen entfaltet dabei das unauflösliche Oszillieren zwischen Spieler-Autobiographie und geformter Figurenrede eine emotionale Dringlichkeit, die unmittelbar berührt: Wenn Svenja (Svenja Liesau) vom sexuellen Übergriff durch den Stiefvater berichtet und wie ihre Mutter diesen durch das Anschalten des Föns zu übertönen versuchte, dann wünscht man sich mehr denn je, das alles möge einfach nur Theater sein.

Dass es das nicht nur, aber eben auch ist, verdankt diese "Diskussion mit Songs", wie der Abend im Untertitel heißt, vor allem den Musiknummern. Dafür hat man sich die Dienste des überaus erfolgreichen israelischen Komponistenduos Yaniv Fridel und Ofer Shabi ans Haus geholt – und das Ergebnis dürfte auf der Sprechtheaterbühne durchaus maßstabssetzend sein. Schöner gebaute und professioneller gesungene Songs als etwa das Duett zwischen Riah May Knight und Lindy Larsson über das Aufsetzen einer (äußerst expliziten) Einvernehmlichkeitserklärung vor dem Sex wird man jedenfalls auch an Berlins Musical-Buden kaum hören. Lustigere sowieso nicht.

Schau mir in die Augen

Es ließe sich also uneingeschränkt von einem kleinen Triumph berichten, wäre dieser Abend nur die schlanken 75 Minuten kurz, die der erste Teil dauert. Doch nach der Pause bittet das Ensemble in kleinen Gruppen zum Workshop. Unversehens findet man sich (in diesem Fall) auf der Hinterbühne wieder und wird unter Anleitung aufgefordert, seinem Gegenüber mal ganz tief in die Augen zu schauen und ihn oder sie per Handzeichen auf sich zukommen zu lassen, bis die "comfort zone" ausgereizt ist. Dazu gibt es schmusiges Rotlicht, viel käsige Musik und gar nichts von der Doppelbödigkeit, mit der "Yes But No" zuvor fasziniert hatte. Deshalb zum Schluss eine handfeste Empfehlung: Von der wichtigen Möglichkeit, jederzeit nein sagen zu dürfen, sind auch zweite Hälften von Theaterabenden nicht ausgenommen. Und: No means no.

 

Yes But No
Eine Diskussion mit Songs von Yael Ronen & Ensemble
Regie: Yael Ronen, Bühne: Magda Willi, Kostüme: Amit Epstein, Songs und Musik: Yaniv Fridel, Shlomi Shaban, Ofer Shabi, Video: Hanna Slak, Licht: Gregor Roth, Dramaturgie: Irina Szodruch.
Mit: Riah May Knight, Lindy Larsson, Svenja Liesau, Orit Nahmias, Taner Şahintürk.
Dauer: 2 Stunden 15 Minuten, eine Pause

 

You Are Not The Hero Of This Story
von Lucien Haug und Suna Gürler
Regie: Suna Gürler, Bühne und Kostüme: Christina Mrosek, Dramaturgie: Rebecca Ajnwojner.
Mit: Maryam Abu Khaled, Mareike Beykirch, Karim Daoud, Tahera Hashemi, Elena Schmidt.
Dauer: 1 Stunde 20 Minuten, keine Pause

www.gorki.de

 

Kritikenrundschau

Tobi Müller lobt in Fazit auf Deutschlandfunk Kultur (7.9.2018) die "herausragende" Qualität der Songs und ihrer Aufführung. "Verlabert" sei wenig bei diesem therapeutischen Musical – im ersten Teil. Es gehe verhalten los, würde dann sehr lustig, es folge wie üblich bei Yael Ronen der "Nackenschlag". Was der Abend genau ansprechen wolle, bleibe mitunter "vage". Nach den gut gebauten 75 Minuten dieses Abends habe es dann im zweiten Teil eine "unverschnittene, leicht esoterische Theaterpädagogik-Stunde" gegeben, die Müller sehr erstaunt und ein merkwürdiges Licht auf das Vorherige geworfen habe.

Patrick Wildermann fragt im Berliner Tagesspiegel (online 8.9.2018) rhetorisch ob es wirklich sein könne, dass sich das Gorki-Theater in Zeiten da in Chemnitz der Hitlergruß zum Massensport werde, ausgerechnet der #MeToo-Debatte widme, und antwortet sich selbst: "Ja. Zum Glück!" Denn erstens sei die Debatte "über Deutschland allzu geräuschlos hinweggezogen" und zweitens sei Krisenspezialistin Yael Ronen mit "ihrer krampflösenden Unverschämtheit prädestiniert für das Thema". "Yes But No" wolle durch den "Riss im System, der hinter der Krise aufscheint", auf das "utopische #MeToo-Potenzial" blicken und zu einer neuen "Kultur des Einvernehmens" finden! Mit "furiosen Musicalnummern über minutiöse Sexverträge" und einem interaktiven Workshop, bei dem die Zuschauer"zu Übungen in Sachen Nein-Sagen und Nähe-Wagen gebeten sind". Nichts "für schwache Nerven".

"Geschickt bringt Yael Ronen mit ihrem Ensemble das ganze Spektrum der #MeToo-Debatte auf die Bühne", berichtet Nadine Kreuzahler im rbb (8.9.2018) "Erst wird viel gekichert, als die Schauspieler mal verschämt, mal amüsiert, mal albern davon erzählen, wie sie als Kinder ihre Sexualität entdeckten. Aber das Lachen bleibt einem schlagartig im Halse stecken. Aus harmlosen Kindheitsdoktorspielchen werden knallharte Missbrauchs- und Vergewaltigungserlebnisse. Bei dem einen war es die Oma, bei der anderen der Opa und die Mitschüler. Das gipfelt in emotionalen Ausbrüchen und Befreiungsschreien. Momente, die tief berühren."

"Eine Handlung gibt es nicht, aber Anekdoten-Monologe, Argumente, witzige Auseinandersetzungen", berichtet Georg Kasch in der Berliner Morgenpost (9.9.2018). "Wie immer jagt Ronen unter komischem Hochdruck ihre Schauspieler aufeinander, bis sie unvermittelt zu Schmerzpunkten vordringen, um sich in einen Song zu retten, eine Pointe, eine Selbstermächtigung." Über das zweite Stück des Abends "You are not the hero of this story“ heißt es: "Der Versuch, Männer- und Theater(haupt)rollen in ein produktives Verhältnis zu setzen, zündet nur bedingt."

Ulrich Seidler beklagt in der Berliner Zeitung (10.9.2018) die sowohl bei Yael Ronen als auch in Suna Gürlers Abend diagnostizierte Abwesenheit von dramatischem Konflikt, die der "Tod des Theaters" bedeute. Über Ronens "Yes but No" heißt es: "Hier wird das Metoo-Thema konkret und (pseudo?)-biografisch unterfüttert. Fünf Schauspieler erzählen von sexuellen Erlebnissen, von ersten unschuldigen Entdeckungen, skurrilen Selbstbefriedigungsmethoden und zwischenmenschlichen Missverständnissen, bei denen man nicht ganz sicher sein kann, ab wann sie verletzend sind. Auf einmal hört man von Nötigung, Missbrauch und Vergewaltigung, von seelischen Wunden, ohne dass man den Moment, an dem es gekippt ist, bemerkt hätte. Bis wann ist es lustig, ab wann ist es falsch?"

"Mut" bescheinigt Mounia Meiborg in der Süddeutschen Zeitung (11.9.2018) Yael Ronen, denn "Yes but no" sei "eine theatrale Erkundung, die wehtut". Die Berichte der Schauspieler*innen wirkten "wie der intime Facebook-Post eines Fremden: Tief beschämend und faszinierend zugleich". Und der an den Bühnenabend anschließende Workshop sei zwar kein Theater, aber "vielleicht das Beste, was einem Theater zum Spielzeitbeginn passieren kann: zum sozialen Ort zu werden". Suna Gürlers Stück wird als trockener "Theoriediskurs, der auf halber Strecke zwischen Proseminar und René Pollesch-Inszenierung stecken geblieben ist", beschrieben.

 

Kommentare  
#1 Yes but No, Berlin: TiefpunktLiselotte Klamotte 2018-09-08 10:39
Was für ein blöder, oberflächlicher Abend. Problemzonenamüsemang mit Filterblasenwitzchen. Dagegen ist das Theater am Kurfürstendamm eine Royal Shakespeare Company. Ein Tiefpunkt!
#2 Yes but No, Berlin: klugMaria Johnson 2018-09-08 14:23
Zu #1:

Halte solche Beiträge wie Ihren für die Tiefpunkte auf dieser Plattform. Ohne zu begründen, ohne anschaulich zu verdeutlichen, warum Sie dieser albernen Meinung sind. (...) Allein diese, kaum in eine Theatervorstellung zu bringende Debatte dermaßen witzig, klug, nachdenklich und unterhaltsam umzusetzen sorgt dafür- zumindest für mich- das Stück des Jahres gesehen zu haben. Bravo und danke!

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Teile dieses Kommentars entsprechen nicht unseren Kommentarregeln, nachzulesen hier: www.nachtkritik.de/index.php?option=com_content&view=article&id=12&Itemid=102
#3 Yes but No, Berlin: FrageKen 2018-09-08 19:40
Maria, was fehlt denn in der Rückmeldung von Lieselotte und was bringen Sie denn inhaltlich mehr ein? Ein bisschen mehr Toleranz anderen Meinungen gg wäre angebracht.
#4 Yes but No, Berlin: zu unfertigKonrad Kögler 2018-09-09 00:47
Ich kann Janis El-Biras "Yes but no"-Kritik nicht zustimmen. An einem starken Ronen-Abend entsteht ein Kaleidoskop aus ironischen Brechungen, bitteren Momenten und schönen comic relief-Szenen. Leider zählt „Yes but no“ nicht zu dieser Kategorie. Zu unfertig wirken die ersten 75 Minuten, wie eine Stoffsammlung, die auf der Probebühne noch dramaturgisch feingeschliffen werden muss. Manch lustige Idee bleibt in Erinnerung, z.B. der Flirt-Dialog zwischen Riah May Knight und Taner Sahintürk. Sie demonstriert anschaulich, wie schwer aus typisch britischem Understatement ein klares „Ja heißt Ja, Nein heißt Nein“ herauszulesen ist.

Auch musikalisch bleibt „Yes but no“, das als „Diskussion mit Songs“ angekündigt ist, hinter den Erwartungen zurück: Die Musik, die Yaniv Fridel, Shlomi Shaban und Ofer Shabi für Lindy Larsson und Riah May Knight komponiert haben, ist über weite Strecken ein süsslicher Klangteppich. Die bewusst unbeholfenen Tanzeinlagen des Ensembles sind selbstironisches Gehopse, das nervt und einen deutlichen Klassenunterschied zu den präzise choreographierten Bewegungen beim „Orpheus“ von Antú Romero Nunes markieren, der am selben Abend Premiere am Hamburger Thalia Theater feierte.

Zu den Workshops nach der Pause: Tobi Müller traf in seinem Deutschlandfunk-„Fazit“ den Nagel auf den Kopf, dass diese Gruppenarbeit zu sehr an Theater-AGs erinnert. Diese schwächere Ronen-Arbeit wird durch dieses Mitmach-Gimmick nur unnötig in die Länge gezogen.

Komplette Kritik: daskulturblog.com/2018/09/09/yes-but-no-yael-ronen-gorki-theater-kritik/
#5 Yes but No, Berlin: Schnickschnacknell 2018-09-09 09:52
Probleme des gelangweilten Bürgertums mit schönen Schauspielern. Belanglos, gefällig, anbiedernd, pseudokritisch, sensationsheischend- und immer gerne Marthaler-Erfindungen falsch verstanden recyclierend. Man kennt das. unglaublich ärgerlich, denkt man an die ungezählten Missbrauchsskandale in Armeen, unter Politikern, Eliten. Das bleibt hier natürlich schön ausgespart. Verzichtbarer Schnickschnack.
#6 Yes but No, Berlin: StatussymbolVerena Gebauer 2018-09-09 10:53
Daß die #Metoo-Debatte in Deutschland nicht weitergekommen ist, liegt genau an der heischenden wie modischen Beflissenheit, mit der das Thema in der Regel vielerorts behandelt wurde, und die auch diesen Abend so unausstehlich macht. Wer dazu gehöre möchte, muss eigene Missbrauchsgeschichte präsentieren. Missbrauch als Statussymbol der Politisch-korrekten? Peinlich.
#7 Yes but No, Berlin: pauschalInga 2018-09-09 22:31
@ Verena Gebauer: Entschuldigung, aber meinen Sie das ernst?: "Missbrauch als Statussymbol der Politisch-korrekten"? Diesen Satz (klingt ein bisschen wie von Castorf) empfinde ICH als peinlich, weil er nichts erklärt, sondern pauschal abwertet. Übrigens, ich kann mir kaum vorstellen, dass diese Missbrauchsgeschichten auf der Bühne wirklich ernst gemeint sind. Denn wer wirklich genötigt/missbraucht/vergewaltigt usw. wurde, der will das sicher nicht noch jeden Abend vor einem immer neuen Theaterpublikum öffentlich ausbreiten. Es sei denn, es ist eben doch was dran, und nichts hilft, wegen der großen Namen, ausser der öffentlichen Entlarvung. (...)
#8 Yes but No, Berlin: Geschichten am NervMaria Johnson 2018-09-10 16:30
@verena gebauer
Ich wurde nicht missbraucht und empfinde trotzdem nicht, dass der Abend mich ausschließt. Im Gegenteil. Die Geschichten, ob wahr oder fiktiv, schmerzen direkt am Nerv mit der Konsequenz, dass man ob des Mutes, der da oben auf der Bühne zu sehen und auch zu fühlen ist, unweigerlich eine Freisetzung von Kraft spürt, sich entsprechenden schrecklichen Taten in Zukunft entgegenzustellen. In welcher Form auch immer. Ich verstehe wirklich nicht, wie man diese Inszenierung als unausstehlich empfinden könnte. Jetzt mal unabhängig von stilistischen Geschmäckern.
#9 Yes but No, Berlin: BefindlichkeitskitschSeeräuberjenny 2018-09-11 07:27
@Maria Johnson Der Abend ist gefälliger Befindlichkeitskitsch und macht nichts anderes, als ereignislose Mittelschichtsbiografien modisch anzureichern.
#10 Yes but No, Berlin: soziologische KritikMiddlesex 2018-09-11 14:20
Liebe Seeräuberjenny, erläutern Sie doch bitte mal ihre überraschenden soziologischen Befunde. Kommen da alle aus der Mittelschicht auf der Bühne? Sollte dem tatsächlich so sein - ich habe das anders gelesen - worin bestünde das Problem? Mittelschichtsbiografien sind per se ereignislos und irrelevant für das Theater? Können Sie auch dies ein bisschen erläutern? Zählen Missbrauchsfälle nur bei Unterprivilegierten? Ich bin ja leider kein Empiriker, keine Ahnung, wie das die Soziologie löst. Falls Sie dann noch Lust haben, zum Schluss eine persönliche Frage: Kommen Sie aus der Mittelschicht?
#11 Yes but No, Berlin: Mittelschicht schützt nichtInga 2018-09-11 14:54
@ Seeräuberjenny: Das ist Ihre Wertung. Sagt aber nichts dazu aus, dass so etwas nicht auch in Mittelschichtsbiografien möglich ist. Oder ist man allein dadurch gegen Nötigung jeglicher Art gefeit, dass man der Mittelschicht angehört? Anders gefragt: Was zählt denn für Sie persönlich? Nur ein Volker Lösch, der echte Prostituierte auf die Bühne stellt, die ebenso missbraucht werden können und von Freiern erzählen, die Kaviar auf dem Bauch lieben? Ekelhaft. Für mich ist das Sozialvoyeurismus.
#12 Yes but No, Berlin: putzig, banal und hilflosSascha Krieger 2018-09-14 09:05
Die Kunst, das Theater, vor allem aber die Musik, sind der Ort, an dem Unsagbares sagbar und damit veränderbar wird. Es braucht die Show-Elemente, den Slapstick, die Comedy, die künstliche Realität des Musicals – mit den fantastischen Songs von Yaniv Fridel, Shlomi Shaban und Ofer Shabi – die abstrahierende Ästhetisierung und Distanzierung der über der Bühne projizierten Videos (Hannah Slak), es braucht die Kunst, um zurückzutreten, hinter dem Individuellen das Systemische, hinter dem Perversen das kalkulierte und hinter dem Unumstößlichen das Veränderbare zu finden. Denn darum geht es dem ebenso komischen wie erschüüternden Abend. Sekundenschnell kippt er vom Harmlosen ins Furchtbare, vom Hellsten ins Dunkelste, sucht die Unschärfe und reproduziert sie, als Voraussetzung für ihre Überwindung. Die das eigentliche Ziel ist: augenzwinkernd Anregungen zu geben zu einer Kultur des Einvernehmens, eines neuen Zusammenlebens.

Da ist es nur logisch, dass das Publikum irgendwann in den Fokus rückt. Zunächst als Zeugen des Problems. Die Vielzahl von Händen, die in einer Publikumsbefragung etwa bei der frage nach eigenen Missbrauchserfahrungen hochgehen, gehört zum Erschreckendsten des Abends. Hier fällt die Kunst krachend hinein in die Wirklichkeit, ein wahrhafter, sich selbst infrage stellender, unmittelbar angreifender Theatermoment. Der nicht unerwidert bleiben darf. Und so werden die Zuschauer noch nu Mitwirkenden des Gegenentwurfs, schließt sich an die knapp anderthalb Stunden auf der Bühne ein 45-minütiger Workshop in vier Gruppen an, bei dem das Respektieren des Raums des anderen, das Neinsagen und die Einvernehmlichkeit geübt werden. das ist putzig, banal, harm- und ein wenig hilflos, aber auch ein Ausdruck der Hybris dieses Theaters, etwas verändern zu wollen. Dass man dabei zu Bekehrten predigt, wird in Kauf genommen. Ein starker Abend mit gut gemeinter Coda. Und ein Saisonauftakt, der sagt: Wir mögen im sechsten Jahr sein, aber wir treiben die gesellschaftliche Diskussion vor uns her wie an Tag 1. Und das ist auch verdammt gut so.

Komplette Rezension: stagescreen.wordpress.com/2018/09/14/die-kunst-nein-zu-sagen/
#13 Yes but No, Berlin: Nötigung und perverse FrauenInga 2018-09-14 10:46
"So etwa beim älteren Freund, der dem Mädchen Vorwürfe macht, weil sie ihm nicht vorher gesagt habe, dass sie keinen Sex wolle und das deshalb in orale Befriedigung einwilligt." (Sascha Krieger)

Und orale Befriedigung gegen den bewusst und explizit eigenen Willen ist dann also keine Nötigung? Alles Grauzone.

Und noch etwas: Perverse Frauen gibt es also nicht? Glaub ich nicht.
#14 Yes but No, Berlin: am Text vorbeiNils F 2018-09-15 03:13
Ich las die präzise Kritik Herrn Kriegers und wundere mich immens über den von Ihnen gewählten Titel seines dazugehörigen Kommentars.
"Putzig, banal und hilflos" also soll den wunderbar analytischen Text über einen wunderbar nichtanalytischen Theaterabend zusammenfassen. Arg irreführend meiner Meinung nach.
#15 Yes but No, Berlin: Kritik zu Haug und GürlerKonrad Kögler 2018-09-15 12:26
„Ich scheine in einem Repräsentationsvortex gelandet zu sein. Nichts was ich sage, ist, was ich sage. Die Codes sind übergelaufen“, lamentiert Mareike Beykirch. Würde man eine Umfrage machen, aus welchem Stück diese Sätze stammen, das Ergebnis wäre vermutlich eindeutig. Eine überwältigende Mehrheit würde auf René Pollesch tippen, in dessen Diskursverwirbelungen die Spieler*innen sich und das Publikum schwindlig reden. Der Text stammt aber von Lucien Haug und Suna Gürler, die sich im Studio Я auf eine Suche nach Männlichkeits-Bildern gemacht haben: „You are not the hero of this story“!

Die schräg abfallende Rampe (Bühne und Kostüme: Christina Mrosek) nutzen die Spieler*innen für körperbetonte Choreographien. Sie schlittern und rutschen, rennen los und kommen erst unmittelbar vor der ersten Reihe zum Stehen. Ein Körpertheater, wie man es von Sebastian Nübling, mit dem Regisseurin Suna Gürler am Gorki schon mehrfach zusammenarbeitete, kennt. Dies ist der zweite zentrale Strang des nur 70 Minuten kurzen Abends.

Als dritte Zutat werden Straßenumfragen mit Männern eingespielt. Sie stammeln sich durch die Frage, was es für sie bedeutet, Mann zu sehen, regen sich auf, dass man heute gar keine Frau mehr ansprechen könne, ohne zu riskieren, sofort an den #metoo-Pranger gestellt zu werden, und dokumentieren ihre Unsicherheit.

„You are not the hero of this story“ hat tolles Material und viele Ideen. Die Crux des Abends ist, dass die drei Stränge zu wenig verzahnt sind. Die Einspieler stehen unverbunden neben den beeindruckend akrobatischen Choreographien und diese wiederum neben den Streitigkeiten zwischen Adam und seinen Nebenfiguren.

Komplette Kritik: daskulturblog.com/2018/09/15/you-are-not-the-hero-of-this-gorki-studio-theater-kritik/
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