Lebensschule am Grund des Bösen

von Maximilian Pahl

Vidy-Lausanne, 30. Mai 2018. Zuerst kommt das Manifest, dann kommt die Studie. Denn wovon lebt Milo Rau? Indem er stündlich, oder zumindest alle paar Wochen, die Welt verbessern will und das auch öffentlich macht. Nicht unumstritten, aber doch mit dem richtigen Begehren und an die richtige Adresse.

Der "informierte Mainstream-Künstler", wie sich Rau einmal im Kreuzverhör der NZZ nannte, kennt Selbstironie. Aber sie mildert nicht seinen Drang, das große Wort zu führen, nicht die Vehemenz seiner Spurensuche. So ergründet "Die Wiederholung" als Auftakt zur Reihe "Histoire(s) du théâtre" dramatische Urprinzipien sowie zukunftsweisende Ideen des Theaters. Und nebenher darf sie sich als erste von Raus Arbeiten an dem frisch selbst auferlegten Genter Manifest messen.

Auf großer Tournee

Darin festgeschrieben steht unter anderem die beschränkte Verbindlichkeit desselben. Fällt das noch unter "Widersprüche aushalten" oder schon in die Trickkiste? Rau befolgt jedenfalls augenscheinlich alles, von der Mehrsprachigkeit über die Anzahl Laien bis hin zum 20-Kubikmeter-Bühnenbild. Und nun geht es auf die vorgeschriebene Tournee in mindestens drei verschiedenen Ländern. An diesem Abend am französischsprachigen Schweizer Theater Vidy-Lausanne befindet man sich bereits an der zweiten Station, die erste war Anfang Mai beim Kunstenfestival in Brüssel.

DieWiederholung2 560 Hubert Amiel uRekonstruktion von Vergangenheit: Johan Leysen auf der Bühne von Anton Lukas
© Hubert Amiel

"Die Wiederholung" ist eine Kriminal-Studie, welcher die Affekte weitestgehend ausgeräumt wurden. An ihrer Stelle arbeiten die sechs Spieler*innen – bei Rau sind sie alle Autoren – mit Belegen und eigenen biografischen Bezügen. Der rekonstruierte Fall ist so konkret wie entsetzlich. Es geht um den 2012 in Lüttich ermordeten Ihsane Jarfi. Vor einer Schwulenbar stieg er in ein fremdes Auto zu drei jungen Männern, die ihn zu Tode schlugen und traten, am Waldrand nackt zurückließen, auf seine Leiche spuckten und urinierten.

Homophobie, Arbeitslosigkeit und Alkohol

Homophobie, Arbeitslosigkeit und Alkoholeinfluss waren Themen im Gerichtsprozess, welchen der Schauspieler Sébastien Foucault damals akribisch mitverfolgte. Er berichtet davon als Beobachter, spielt Täter oder Angehörige, doch eine Erklärung der Tat ist kein Anliegen dieses Kriminal-Theaters.

Vielmehr geht es um die Bedingungen, die Bewandtnis und die Grenzen einer solchen Rekonstruktion. Der Abend reflektiert sein eigenes Zustandekommen: Wie anfangen, wie enden? Über die Aussage, Schauspieler spielten meistens Schauspieler und Regisseure Regisseure, wird gelacht. Schließlich bestelle man doch auch keine Pizza, um den Lieferanten zu sehen.

Das Casting der Laien wird nachgespielt, die Kamera ist gewaltsam nahe an ihren Gesichtern, wenn sie Auskunft geben über ihre bisherige Erfahrung – etwa die triste Statisterie auf Filmsets der Gebrüder Dardenne (die aus Lüttich stammen und auf deren Sozialdramen an diesem Abend mehrfach angespielt wird). Fabian Leenders entdeckt Parallelen zum Täter-Milieu: Auch er ist gelernter Maurer und hat einen Führerschein für Gabelstapler, blöderweise habe das aber in Lüttich jeder zweite, seit die Stahlindustrie eingefallen ist. Berufsberater entdeckten die kreative Ader des Hobby-DJs, und so kam er zu Raus International Institute of Political Murder (IIPM) und hat auch seinen Sampler mit Lieblingssongs dabei.

Die beste Lebensschule

Die Jury fragt: Warum Theater? Und Tom Adjibi muss mit dem Publikum über seine eigene plumpe Antwort lachen: "Weil es die beste Lebensschule ist." Adjibi ist zwar Franzose, wird aber, wie er erklärt, wegen der Herkunft seines Vaters und wegen Äußerlichkeiten meistens als Araber besetzt. Er demonstriert amüsant, wie er so tut, als könne er Fongbe sprechen oder Dänisch, wobei sein Trick ist, dabei vertraute Begriffe wie Youtube oder Jean-Luc Godard einzuflechten.

DieWiederholung3 560 Hubert Amiel uMord am Waldrand: Szene mit Sara De Bosschere, Tom Adjibi (am Boden) und Sébastien Foucault​.
© Hubert Amiel

Die pensionierte Suzy Cocco verdient nebenher Geld mit Hundesitten und antwortet im Casting, dass es mit 67 vielleicht etwas spät sei, eine Nacktszene zu spielen. Kurz darauf sitzt sie als verdrängende Mutter des Opfers nackt auf dem Ehebett.

Aus dieser Betriebsebene und den Reflexionen auf das Kunstschaffen heraus tritt die zentrale nachgestellte Mordszene, die fast wortlos und kühl eskaliert, angefangen beim ersten Schlag des Fahrers bis zum Urinieren. Es ist ungehemmte Brutalität, die losbricht, aber kaum einer der Täter verzieht eine Miene. Als müsste es passieren, als kenne man diese Szene schon, verrutscht das Gesehene, und das Dargestellte wird zu einem unheimlichen Darstellungsritus.

So inszeniert Rau tatsächlich einen raffinierten Dialog zwischen dem Stoff und seinen Produktionsbedingungen. Vorproduzierte Videoaufnahmen spielen mit detaillierten Unterschieden zur tatsächlichen Bühne, und die fünf Akte werden programmatisch benannt. Alles bleibt still, konzentriert, und der Regen sprüht von der Decke. Die Gewalt ist in keinem Gesicht zu suchen, die Bühnenkämpfe, besonders die Geräusche, sind die letzten spitzen Amplituden des Bösen, das hier allen Beteiligten widerfährt. Einer der Akte heißt nach Hannah Ahrendt "Die Banalität des Bösen".

Schlinge um den Hals

Rau inszeniert eine Untersuchung, die sich zugleich selbst untersucht. Und er forscht nach den Abgründen der Authentizität. Im Finale wird auf eine Idee von Wajdi Mouawad rekurriert, nach der die reinste Szene aus einem Schauspieler mit einer Schlinge um den Hals bestehe, der vor den Augen der Zuschauer vom Stuhl springt. Und dann? Wäre das noch sehenswert? Die Forschung führt an die Grenzen der Repräsentation und der theatralen Möglichkeiten.

Der kongolesische Choreograf Faustin Linyekula wird "Histoire(s) du théâtre" kommende Saison fortsetzen. Milo Rau spricht von einer Langzeitstudie, die er kuratiert. Die Regeln stehen also, die Vorbereitungen sind getroffen. Unverkrampft, aber ernst und ergebnisoffen ist der Vortrupp die erste Meile gegangen.

 

Die Wiederholung. Histoire(s) du Théâtre (I)
von Milo Rau und Ensemble
Regie: Milo Rau, Bühne und Kostüme: Anton Lukas, Musik, Sounddesign: Jens Baudisch, Kampfchoreographie: Cédric Cerbara, Dramaturgie und Recherche: Eva-Maria Bertschy, Dramaturgische Mitarbeit: Stefan Bläske, Carmen Hornbostel, Licht: Jürgen Kolb.
Mit: Sara De Bosschere, Suzy Cocco, Sébastien Foucault, Fabian Leenders, Johan Leysen, Tom Adjibi. 
Dauer: 1 Stunde 50 Minuten, keine Pause

www.kfda.be
www.vidy.ch

 
Kritikenrundschau

'La Reprise / Die Wiederholung' ist aus Sicht von Eberhard Spreng im Deutschlandfunk (5.5.2018 - nach der Brüssler Premiere) "ein Theaterlabor mit sympathischer Zielsetzung, aber im Kern kaum mehr als performatives Dokumentartheater ohne große neue Erkenntnisse."

Kritiken nach dem Berlin-Gastspiel (Premiere 1. September 2018 in der Schaubühne)

Diese neue "Selbstbefragung" von Milo Rau erinnert Mounia Meiborg "mehr an eine Pflichtübung. Ein halbherzig ausgeführtes Ritual, das unbequeme Fragen scheut". Und das so mit seinem hohen moralischen Anspruch mitunter selbstgerecht wirke. "Das Meta-Theater unterliegt dem Tarantino-Effekt", schreibt Meiborg in der Süddeutschen Zeitung (3.9.2018). "Irgendwie wirkt sie auch sexy, die Gewalt. Das ist keine gute Nachricht, aber vielleicht ein Teil der Lektion. Auch für Milo Rau."

Milo Rau komme "sichtlich an einem Tiefpunkt seines Thesentheaters an", schreibt Doris Meierhenrich in der Berliner Zeitung (3.9.2018). Eine gute Idee scheitere an einer "erschreckend ignoranten Oberflächenbehandlung". Es werde "viel zitiert, aber nichts richtig plausibel (...), geschweige denn verdichtet", so Meierhenrich. "Die drei professionellen Schauspieler Sara De Bosschere, Johan Leysen und Sebastien Foucault bringen den beiden Laien die billigsten Als-ob-Tricks bei (...) und bleiben dabei so unkritisch, eindimensional, dass man bald mehr um das Theater bangen muss als um Ihsane."

Ausgiebig reflektiert Simon Strauß in der Frankfurter Allgemeinen Zeitung (4.9.2018, aktualisiert 8.9.2018) über Milo Raus Methode das Gemachte des Theaters als Gemachtes zu zeigen und es dann mit schrankenlos naturalistischem Spiel wieder zum Einsturz zu bringen. Aber: "Im­mer wenn die Dar­stel­ler pur, oh­ne zwi­schen­ge­scho­be­ne Re­fle­xi­on ih­rer Pro­duk­ti­ons­be­din­gun­gen vom Er­leb­ten be­rich­ten, wird die Er­zäh­lung stark". Raus "Grun­d­im­puls, sein Pu­bli­kum her­aus­zu­for­dern und exis­ten­zi­ell zu er­schüt­tern, ist be­deut­sam. Was dar­aus al­ler­dings bis­her an Pro­gramm und Äs­the­tik folgt, bleibt am En­de doch zu af­fek­tiert, um die Wirk­lich­keit wirk­lich zu be­grei­fen."

"Natürlich ist die Reflexion über die Dialektik von Spiel und Realität sowie über Repräsentation auf der Bühne nicht neu," schreibt Christine Wahl im Berliner Tagesspiegel (4.9.2018. Was jedoch theoriehintergründige Künstler wie René Pollesch seit Jahren mehr oder weniger performativ thematisieren würden, behandele Milo Rau nun praktisch, würden "die Vorgänge auf der Bühne permanent meta-erklärt, via Live-Kamera gedoppelt – und so als buchstäblich unsicheres, da vielperspektivisches Geschehen vorgeführt." Weniger seminaristisch genau nimmt es Rau der Einschätzung der Kritikerin zufolge "indes mit der Kohärenz der Spuren, die er so üppig ausstreut an dem vergleichsweise kurzen Abend: Was ist Zufall? Welchen Anteil hat die sozial prekäre Lage der Mörder an der Tat? Was genau unterscheidet ein dokumentarisches Drama von der antiken Tragödie, die hier qua Aktstruktur sowie Formulierung von Schuld- und Schicksalsfragen aufgerufen wird?"

"Bei diesem Theater scheint ähnlich wie bei dem Marthalers vieles einfach und ist doch gleichzeitig alles auch so wohltuend vielschichtig und komplex", findet Andreas Fanizadeh in der taz (5.9.2018). Über die Frage, ob der Mord an Ihsane Jarfi kein Hassverbrechen war, weil die Rauschhaftigkeit der Täter kaum rational fassbar sei, lohne sich zu diskutieren – weniger darüber, ob die Darstellung des Mords auf der Bühne zu drastisch ausgefallen sei (ist nicht, meint Fanizadeh, "auch wenn sie an die Grenzen geht, bleibt sie künstlerisch deutlich gebrochen").

 

Kommentare  
#1 Die Wiederholung, Berlin: Exzess als BelohnungKonrad Kögler 2018-09-02 01:37
"Mist, alstublieft!“, ruft Johan Leysen auf Niederländisch. Schon wallt der Kunstnebel über die Bühne, das richtige Ambiente für seinen tragischen Hamlet-„Monolog“. Kurz vor Schluss darf der Bühnenmeister noch mal ran. Profi-Schauspieler Tom Adjibi und sein Laien-Kollege, der Gabelstablerfahrer Fabian Leenders, drehen zu erlesenen Barock-Klängen („The Cold Song“, Henry Purcell) einige Runden. Klassisches Einfühlungs- und Wohlfühl-Theater, das dem bildungsbürgerlichen Abo-Publikum das Herz wärmt.

Aber Vorsicht, wir sind hier bei Milo Rau, dem für seine akribischen Reenactments bekannten Theater-Theoretiker. Über die längste Zeit ist sein 105 Minuten langer, getreu dem klassischen griechischen Tragödien-Prinzip in fünf Akte gegliederter Abend ein recht blutleeres Metatheater. Wie tritt man auf, wie tritt man ab? Wie nähert man sich einer Figur? Wie findet man beim Casting die richtigen Schauspieler? Was müssen die Laien, die nach Raus selbst verfasstem „Genter Manifest“ zwingend zu einer Produktion seines Hauses dazugehören, mitbringen? Wie lässt sich ein brutaler Mord darstellen? All diese Fragen, die sich das Team vor und während der Proben sonst nur hinter den Kulissen stellt, werden hier ausführlich seziert und dem Publikum demonstrativ vor Augen geführt.

Minutenlang wird der Mord in all seinen Vorstufen ausgestellt: „So wie Hollywood die Gewalt, den Exzess als Belohnung für dialogstarke, handlungsarme Szenen offeriert und den Zuschauer mit Blut für seine Geduld entschädigt, so macht es auch Rau. Zwar „problematisiert“ er diese Ästhetik, aber er feiert sie auch, er badet in ihr“, brachte Peter Kümmel in seiner ZEIT-Rezension von der Brüsseler Uraufführung das Zwiespältige an Raus Arbeitsansatz auf den Punkt.

Der fünfte Akt ist Sara de Bosschere, auch sie eine feste Größe in Milo Raus Arbeiten, vorbehalten. Sie darf einen theatertheoretischen Text der polnischen Literaturnobelpreisträgerin Wislawa Szymborska sprechen, die über das Wesen der unterschiedlichen Akte reflektierte, und erinnert uns daran: Wir sind nicht hier, um wie im Kino einen Thriller zu konsumieren, sondern im Meta-Theater-Seminar „Die Wiederholung“, erster Teil der auf mehrere Akte angelegten Reihe „Histoire(s) du théâtre“.

Komplette Kritik: daskulturblog.com/2018/09/02/die-wiederholung-milo-rau-schaubuehne-kritik/
#2 Wiederholung, Berlin: Umgang mit GefühlenInga 2018-09-02 13:38
Sollte man (die Darstellung von) Aggression wiederholen? Oder danach fragen, warum so etwas passiert. Meines Erachtens ist das das ursprüngliche Wesen des Theaters. Nach Motivationen, Ursachen, möglichen Wendepunkten und Lösungsversuchen bzw. deren Verquickung im Kontext bestimmter Situationen und Figurenkonstellationen zu suchen. Ist es das, was Milo Rau tut? Okay, aber dafür gehe ich persönlich nicht ins Theater. Denn was wären das Leben und das Theater ohne Affekte? Genau daraus, und aus dem Umgang damit, besteht doch das Leben. Aus (verletzten) Gefühlen.

Und ich füge hinzu, nicht nur negativer Affekte. Anders gefragt: Warum muss hier ein Mord im Einzelfall rekonstruiert werden? Ich möchte jedenfalls nicht durch "Blut" entschädigt werden. Sondern durch Läuterung/Erhebung/Versöhnung. Das ist es doch, was ein Publikum am Ende will. Das Happy End. Super Wings. Gerettet!
#3 Die Wiederholung, Berlin: Fragen ohne AntwortSascha Krieger 2018-09-04 10:30
Immer wieder wird über die Bedingungen, Möglich- und Unmmöglichkeiten von Repräsentation und Authentizität gesprochen. Figuren und Darsteller*innen, oft nur schwer zu trennen, reflektieren über das gerade Gespielte, Erzählsequenzen berichten von der Wirklichkeit und sind doch selbst Darstellung, Maurer-DJ Fabian Leenders berichtet von seiner Annäherung an den Mörder, den er spielen soll, von all den Ähnlichkeiten ihrer im Arbeitermilieu der ehemaligen Stahlmetropole Lüttich, Opfer der Deindustrialisierung, verwurzelten Lebensläufe und fragt, wie er ihn spielen solle. Das alte Theaterthema von Einfühlung und Aneignung einer Figur, es stellt sich erneut in aller Schärfe, seine Unmöglichkeit ebenso mitdenkend wie die Notwendigkeit, es zu versuchen. All das kulminiert im vierten Kapitel, überschrieben „Die Anatomie des Verbrechens“, in der Rau den Mord samt seiner Entstehung minutiös nachspielen lässt. Ein grauer Polo wird auf die Bühne geschoben, Regen prasselt. Kein Detail wird ausgelassen, die sinnlose, effektive, entmenschlichte Brutalität der Tat haarklein vorgeführt. Hier triumphiert die Repräsentation des Theaters und kommt zugleich an ihre Grenzen. Warum zeigt man das, was wird damit erreicht? Und wie wahrhaftig kann Theater sein? Es bleiben Fragen ohne Antwort. Die Szene wirkt nicht kathartisch – tatsächlich folgt ihr eine ironisch alberne, doch anrührende Klischee-Katharsis in Kapitel fünf – sie reinigt nicht, löst nichts, führt nirgendwohin. Das Rätsel der Repräsentation ist nicht gelöst, dem Opfer nicht Genüge getan, bei aller Einfühlung, allem Bemühen, aller Perfektion der Darstellung des Geschehenen. Das Theater scheitert im Moment seines Erfolgs.

Und so gibt es noch eine Coda. Der Abspann ist gelaufen, alles wartet auf den zuvor thematisierten „sechsten Akt“, den Applaus, bei dem die Toten auferstehen, die Feinde sich die Hände reichen. Nein, das reicht nicht. Wie weiterkommen, über die Grenzen treten, den Kokon der Repräsentation in seiner stetigen Distanz, wie gerade erlebt, hinter sich lassen? Also folgt Adjibi einer Idee des französischen Autors Wajdi Mouawad, der sich die reinste Theaterszene so vorstellte: Ein Schauspieler steigt auf einen Stuhl, legt sich eine Schlinge um den Hals und offenbart dem Publikum, dass er gleich den Stuhl wegtreten werde. Springen Zuschauer dann auf die Bühne, wird er gerettet, wenn nicht, stirbt er. Ein radikaler Bruch mit der passiven Konsumierbarkeit, die bei aller Immersion noch immer im Mittelpunkt des Theatralen steht, die ultimative Authentizität, der Einbruch des Existenziellen. Doch es wird dunkel, als der Darsteller noch auf dem Stuhl steht. Die radikale Sebstzerstörung und -erneuerung findet nicht statt. Doch der Effekt ist spürbar, die plötzliche Verunsicherung, der Schock, die Selbsthinterfragung des Publikums, die selbst die brutalstmögliche Mordszene überstanden hat, nicht zu leugnen. Das Theater, so heißt es vorher, sei ein Ort an dem die Toten vielleicht nicht sprechen, aber womöglich zuhören könnten. Nicht erst im Schlussapplaus. Um so wichtiger, dass wir wissen, was wir ihnen sagen.

Komplette Rezension: stagescreen.wordpress.com/2018/09/04/wenn-die-toten-horen/
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