Von diversen Zukünften

21. April 2018. Überstürzt ging es zu Ende: Nachdem über die Berufung des Kunstkurators Chris Dercon zum Theaterintendanten an der Berliner Volksbühne drei Jahre lang erbittert gestritten wurde, ist er Mitte April von seinem Amt zurückgetreten – früher als erwartet. Um die Causa Volksbühne geht es in der April-Ausgabe von "Der Theaterpodcast". Ein weiteres Thema ist das Verhältnis von Theater, Gesellschaft und Digitalisierung. Außerdem sprechen Susanne Burkhardt und Elena Philipp über Beispiele von Theater als "Staatsmedium" in Rechtsruck-Ländern.



Elena Susanne 560 AnjaSchaefer uDas Team von "Der Theaterpodcast": Elena Philipp von nachtkritik.de (links) und Deutschlandfunk-
Kultur-Moderatorin Susanne Burkhardt © Anja Schäfer

Teil 1:

Teil 2:

Teil 3:

 

Folge 4 – die Themen:

Umstritten war der Volksbühnen-Intendant Chris Dercon seit seiner Ernennung 2015. Nun ist klar, dass sich auf Dauer nicht gegen eine ganze Stadt Theater machen lässt: Publikum und Presse, das Volksbühnen-Personal und auch die Politik arbeiteten gegen den Theaterneuling Dercon. Nun musste er aufgrund schlechter Finanz- und Auslastungszahlen seinen Posten räumen, mit sofortiger Wirkung – und nach nur sieben Monaten. So schnell dürfte noch kein Theaterintendant abgedankt haben. Als "Berliner Theaterstreit" hat die Personalie die Stadtgesellschaft bewegt. Das Podcast-Duo fragt: Welche Fehler sind Dercon selbst anzulasten? Und welche Rolle spielte die Kulturpolitik?

Digitalisierung prägt alle Lebensbereiche. Diese Erkenntnis ist auch im Theater angekommen. Ein Impulsgeber war dafür die Konferenz "Theater und Netz", ausgerichtet vom Theater-Online-Feuilleton nachtkritik.de und der Heinrich-Böll-Stiftung. Anfang Mai findet sie zum sechsten Mal in Berlin statt. Thema: Vom Publikum zur Community. Wie können Theater auf den Wandel der Öffentlichkeit reagieren, die zunehmend in partikulare Gemeinschaften zerfällt? "Das" Publikum gibt es nicht mehr, statt dessen sind diverse Communities anzusprechen. Wie neue Medien konkrete Theaterarbeiten prägen und wer auf dem Gebiet vorne mitspielt, bespricht das Podcast-Duo ebenfalls. Stichwort: Theater Dortmund und die CyberRäuber.

In Österreich hat 2017 das damals von der ÖVP geführte Innenministerium der großen Koalitio aus SPÖ und ÖVP ein Klassenzimmerstück zum Thema Flucht und Migration in Auftrag gegeben. Mehr als 70 Mal wurde "Welt in Bewegung" vor Schülerinnen und Schülern gespielt, bevor eine Lehrerin sich öffentlich über die rassistischen Klischees beschwerte, welche die Inszenierung verbreitet. Aufklärung oder Indoktrination? In Rechtsruck-Ländern scheint das Theater eines der gern genutzten Medien, parteipolitische Anliegen unters "Volk" zu bringen. Auch der ungarische Ministerpräsident Viktor Orbán nutzt es für seine Interessen. 2013 besetzte er die Intendanz des Nationaltheaters in Budapest mit Attila Vidnyánszky, der seine Kulturvorstellung teilt. Erstaunliches berichtet nun aber Wilhelm Droste, Korrespondent von Deutschlandfunk Kultur in Budapest.

Shownotes

VOLKSBÜHNE:

– Kurz nach dem rbb meldet auch nachtkritik.de am 13. April 2018 den Rücktritt Dercons.
Kommentiert hat den Rücktritt am gleichen Tag Esther Slevogt.

– Fakten zu den "255 Tagen des Chris Dercon" liefern der Theaterjournalist Peter Laudenbach und der Investigativreporter John Goetz in einem Dossier von rbb, NDR und SZ.

– Die mangelnde Verantwortung der Berliner Kulturpolitik kommentierten Anne Peter und Christian Rakow im Dezember 2017 auf nachtkritik.de

– In Interviews mit der Stuttgarter, der Süddeutschen und der Berliner Zeitung legt der Geschäftsführer und Interimsintendant Klaus Dörr nach Dercons Ausscheiden seine Pläne dar – und bringt weiteres Licht ins Dunkel der Vorgänge.

THEATER UND NETZ:

– Thema der 6. Konferenz Theater und Netz 2018 ist der Wandel der Öffentlichkeit: "Vom Publikum zur Community". Das Programm findet sich hier.

– Wichtiger Player im Kontext von Theater und Digitalisierung ist das Schauspiel Dortmund. Zu Kay Voges' Inszenierung von "Die Borderline Prozession" gab es eine Virtual Reality-Experience.

– Mit Intendant Kay Voges und Dramaturg Alexander Kerlin vom Schauspiel Dortmund hat Esther Slevogt für nachtkritik.de über die geplante Akademie für Theater und Digitalität gesprochen.

– Eine Idee fürs Theater der Zukunft haben die CyberRäuber Björn Lengers und Marcel Karnapke: die "Hyperstage".

ÖSTERREICH-UNGARN:

– Zum Klassenzimmerstück "Welt in Bewegung" hat Sophie Diesselhorst recherchiert und bei nachtkritik.de publiziert.

– Berichtet hatten zuvor nur österreichische Medien unterschiedlicher Couleur: Der ORF griff Ende März den Brief der Lehrerin auf, der auf die rassistischen Stereotype hinwies. Eine Aufführung beschrieben die Niederösterreichischen Nachrichten, die das Gezeigte "sachlich und ausgewogen, aber gleichzeitig auch unterhaltsam und spannend" fanden. Damit über Theater gesprochen werden kann, das man auch gesehen hat, reichte die Recherche-Plattform Addendum einen Mitschnitt nach.

– Über Theater in Ungarn hat Susanne Burkhardt mit dem Dramatiker und Schriftsteller András Forgách für Rang 1 – Das Theatermagazin von Deutschlandfunk Kultur gesprochen.

 

Mehr zum "Theaterpodcast":

Einmal im Monat greift Der Theaterpodcast die wichtigen Debatten rund um das Theater und seine Macher und Macherinnen auf. Über die Kunst und den Betrieb, in dem immer noch zu wenig Frauen das Sagen haben, sprechen zwei Theaterredakteurinnen, Susanne Burkhardt vom Deutschlandfunk-Kultur-Theatermagazin Rang 1 und Elena Philipp vom Online-Portal nachtkritik.de.
Auszüge aus dem Theaterpodcast sendet Deutschlandfunk Kultur an jedem dritten Samstag im Monat im Theatermagazin Rang 1. Hier geht’s zum Theaterpodcast des Monats März.

Die Stimmen:

Susanne Burkhardt studierte Kulturwissenschaft, Betriebswirtschaft und Theaterwissenschaft an der Humboldt-Universität Berlin und in London (Middlesex University). Sie ist Diplom-Medienberaterin und begann ihre Radio-Karriere als Hörspielregieassistentin beim Sender Freies Berlin (später RBB). Nach einem Volontariat beim Deutschlandradio ist sie seit 2001 Redakteurin, Autorin und Moderatorin beim Deutschlandfunk Kultur ("Fazit", "Rang 1 – Das Theatermagazin").

Elena Philipp studierte in Freiburg Politik und Soziologie, entschied sich nach einer Regiehospitanz aber für ein Studium der Theater-, Film und Literaturwissenschaft in Berlin. Dort arbeitete sie für Tanzfestivals, gründete ein Literaturmagazin und ein Text-Ton-Festival mit und etablierte beim Literaturwettbewerb Open Mike das Livebloggen. Seit 2006 schreibt sie für Tageszeitungen und Fachmedien über Theater und Tanz. 2017 wurde sie Redakteurin beim Online-Theaterfeuilleton nachtkritik.de.

 

Ein Podcast in Zusammenarbeit mit Deutschlandfunk Kultur

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Kommentare  
#1 Theaterpodcast: Black Box BerlinIrmela Kammelt 2018-04-21 21:40
Enttäuschung über die Berliner Kulturpolitik - das ist mir zu allgemein. Es gibt doch Verantwortlichkeiten. Und so hätte Michael Müller Dercons Vertrag niemals unterschreiben dürfen, als klar war, dass Tempelhof langfristig nicht bezahlbar war und die personelle Untersetzung für die Sprechtheatersparte mit Rene Pollesch nicht zur Verfügung stand. In Anbetracht der Widerspruche in dem Auftrag an Derson, der aufgrund der Geheimhaltung nur als Vorgänge in einer Black Box zu beobachten waren, ist es doch nur logisch, dass der neue Kultursenator sagt, er überprüfe die Sachlage. Mich würde interessieren, wie die Mitglieder des Kulturausschusses der letzten Legislaturperiode das sehen, dass sie von Müller und Renner so belogen wurden.
Herr Jahnke, SPD, sagte am Montag im Kulturausschuss, man müsse nun nach vorne schauen.
#2 Theaterpodcast: zur Verteidigung Klaus LederersFREIE DRAMATURGIE 2018-04-22 11:05
Ich finde es unfair, dass Lederer immer wieder eine Mitschuld gegeben wird, weil er die Überprüfung der Personalie Dercon ankündigte. Das war sein Recht und er hat es auch nicht nölend oder abwertend geäußert. Dem Wowereit hat auch nie jemand vorgworfen, dass er bestimmte kulturelle Ereignisse und Theater eindeutig persönlich präferierte und andere nicht erwähnenswert fand... Lederer muss sich ständig anhören, dass es ihm als Kultursenator nicht anstehen würde, sich als VB-Fan geoutet zu haben. Ich kann nur sagen, dass er sich m.E. sehr um die Gesamtheit von Kunst, Kultur und auch dabei mit ständigem europäisch geöffneten Blick bemüht und das auch überzeugend darzulegen weiß. Ich erinnere sehr gut seinen Impulsvortrag auf der vorjährigen "Theater und Netz" bei dem man verblüfft denken konnte, der Kultur-Mensch hätte einen Wirtschaftspolitik-Vortrag gehalten und der Politiker einen genreübergeifenden zum Kunst-und Kultur-Management.
#3 Theaterpodcast: LichtblickOH 2018-04-23 05:31
Im Dercon-Dossier der Süddeutschen Zeitung war nachzulesen, dass Rene Pollesch damals Tim Renner angeboten hat, für 5 Millionen Jahresetat der Prater zu bespielen. Das hat Tim Renner mit dem Hinweis abgelehnt, der Prater sei schon von Dercon verplant. Es mag ja stimmen, dass der Prenzlauer Berg sich anders als Tempelhof auch ohne Volksbühnen-Logo gentrifiziert. Trotzdem war das doch ein super kostengünstiges Angebot. Verglichen mit den Etats, die Ostermeiers Schaubühne und Reeses BE bekommen. Hoffentlich also hat sich Klaus Lederer schon ans Telefon gehängt, um herauszufinden, ob Polleschs Angebot noch steht. Denn das wäre doch schon mal ein Lichtblick am ansonsten düsteren Volksbühnenhorizont.
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